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Open AccessOriginalarbeit

Was misst der Wahl-O-Mat

Eine explorative Faktorenanalyse zur Validität des Wahl-O-Mat als diagnostisches Instrument der politischen Orientierung

Published Online:https://doi.org/10.1026/0012-1924/a000330

Abstract

Zusammenfassung: Der Wahl-O-Mat ist ein Online Tool zur politischen Bildung, das im Vorfeld einer Wahl über die Positionen der teilnehmenden Parteien informiert. Zu diesem Zweck beantworten Nutzer_innen eine Reihe von Thesen und das Programm berechnet die Übereinstimmung der Antworten mit denen der Parteien. So soll die Identifikation mit Parteien verbessert und die Wahlbeteiligung erhöht werden. Die faktorielle Validität des Wahl-O-Mat in Bezug auf die Abbildung politischer Orientierungen wurde bisher auf Basis der Parteienähnlichkeit beurteilt. Diese Studie bestimmt die faktorielle Validität des Wahl-O-Mat der Bundestagswahl 2021 auf Basis der Übereinstimmung von Nutzer_innen und Parteien mittels explorativer Faktorenanalyse anhand von drei Stichproben. Die Analyse ergab eine inhaltlich valide Struktur mit drei Faktoren. Diese Faktoren lassen sich darstellen als eine Dimension, welches ein Links-Rechts-Spektrum repräsentiert, eine rechtsorientierte Populismus- und eine ökonomische Konservatismusdimension. Die Fähigkeit des Wahl-O-Mat, das grundlegende politische Spektrum in ausreichender Komplexität darzustellen, spricht für seine Validität und für den Auswahlprozess der Thesen.

What Does the Wahl-O-Mat Measure? Testing the Validity of the Wahl-O-Mat as a Diagnostic Tool of Political Orientation via Explorative Factor Analysis

Abstract: The Wahl-O-Mat is an online tool for political education intended to provide information about the positions of the electable parties in the run-up to an election. For this purpose, users answer a series of theses, whereupon the program calculates the agreement of their answers with those of the respective parties. This serves to improve identification with parties and increase voter turnout. To date, the factorial validity of the Wahl-O-Mat – in terms of its ability to represent the German political spectrum – has been assessed solely based on the parties’ answers without including users. This study uses explorative factor analysis to close this gap and calculate the factorial validity of the Wahl-O-Mat for the Bundestag election 2021 based on the agreement between users and parties. The analysis resulted in an externally valid structure with three factors, representing a general left-right spectrum that included social and economic characteristics as well as a right-wing populist and an economically conservative dimension. Correlations with established political questionnaires regarding authoritarianism and conservatism confirmed the interpretation. The ability of the Wahl-O-Mat to represent the fundamental political spectrum in sufficient complexity speaks for its validity and for the selection process of the theses.

Repräsentative parlamentarische Staaten wie Deutschland erhalten den Großteil ihrer Legitimität durch regelmäßige demokratische Wahlen (Graichen, 2021). Eine Beteiligung des Volkes an diesen Wahlen ist daher entscheidend, doch die Wahlbeteiligung bei deutschen Bundestagswahlen ist seit 1976 nicht mehr nahe 90 % gekommen (Stövsand & Roßteutscher, 2019). Lediglich 76 % der Wahlberechtigten haben bei der letzten Bundestagswahl 2021 gewählt (Bundeswahlleiter, 2022). Befragungen von Nichtwähler_innen enthüllten verschiedene Gründe. Zwei davon scheinen zentral: eine mangelnde Identifikation mit den etablierten Parteien und mangelndes Interesse an der Politik (Stövsand & Roßteutscher, 2019). Um der Politikverdrossenheit beizukommen und um eine Orientierung in der komplexen Parteienlandschaft mit ihren politischen Programmen zu ermöglichen, wurde der Wahl-O-Mat entwickelt (WOM; Marschall, 2009).

Der WOM ist ein Online-Tool zur Wahlinformation, das von der Bundeszentrale für politische Bildung zur öffentlichen Verfügung gestellt wird. Die Nutzer_innen werden darüber informiert, zu welchem Grad ihre eigenen politischen Einstellungen mit den zur Wahl stehenden Parteien übereinstimmen, und können die Begründungen der Parteien zu deren Standpunkten einholen. Das soll ihnen die Möglichkeit geben, eine informierte Wahlentscheidung zu treffen, und soll politisch Unentschlossene oder Uninteressierte zur Wahl motivieren.

Diese Ziele werden nur zum Teil erfüllt – ein Großteil der Nutzer_innen ist bereits politisch interessiert und motiviert. Der WOM dient diesen Nutzer_innen vor allem zur Überprüfung und Bestätigung des eigenen Standpunktes sowie zum Einholen zusätzlicher Informationen (Marschall, 2011). Die Nutzung des WOM kann auch tatsächlich das Faktenwissen über politische Parteien erhöhen und Fehlinformationen ausräumen (Schultze, 2013). Dennoch nutzen den WOM auch Menschen mit geringem politischen Interesse, primär um ihn als Orientierung für ihre mögliche Wahlentscheidung zu Rate zu ziehen (Marschall, 2011). Der Anteil an solchen politikfernen Bürger_innen unter den Nutzer_innen ist relativ gering, zwischen 10 % und 20 %, was jedoch in absoluten Zahlen vor der Bundestagswahl 2021 über drei Millionen Nutzer_innen bedeutet hat (Bundeszentrale für Politische Bildung, 2021a). Da diesem Tool wichtige politisch-edukative Aufgaben zukommen, sollte seine Validität eingehend geprüft werden.

Im Vorfeld einer Wahl auf Landes- oder Bundesebene werden von einem unabhängigen Team aus Jungwähler_innen sowie Expert_innen aus Bildung, Wissenschaft und Journalismus Thesen formuliert, die streitbare Positionen zu gegenwärtigen politischen Themen umfassen. Dabei orientierte sich die Auswahl an den jeweiligen Wahlprogrammen der Parteien. Es werden dann alle zur Wahl zugelassenen Parteien gebeten, zu diesen Thesen Stellung zu beziehen – durch Zustimmung, neutrale Haltung oder Ablehnung. Danach wird die Anzahl der Thesen auf solche reduziert, die bedeutsam für die Wahl sind und von den Parteien unterschiedlich beantwortet werden und daher Differenzierung erlauben (Bundeszentrale für Politische Bildung, 2021a). Die Auswahl der Thesen ist ein kritischer Schritt, da unterschiedliche Thesen zu teilweise starker Variation in den Ergebnissen führen können (Walgrave, Nuytemans & Pepermans, 2009). Kleinere Parteien haben oft kein umfängliches Wahlprogramm und gehen mit wenigen, aber stark fokussierten Themen in den Wahlkampf. Um Verzerrungen der Profile durch diese eingeschränkte Fokussierung entgegenzuwirken, werden zu den jeweiligen Standpunkten Begründungen erbeten. Sobald das Tool online veröffentlicht ist, können Nutzer_innen ihre eigene Meinung zu diesen Thesen abgeben. Der WOM berechnet die prozentuale Übereinstimmung ihrer Meinungen mit den Positionen aller Parteien (Marschall, 2009).

Es sind spezifische, klar umrissene und aktuelle Fragen, welche die Basis des WOM bilden. Eine direkte Betrachtung der zugrundeliegenden ideologischen Überzeugungen der Parteien oder der Nutzer_innen findet nicht statt. Diese Reduktion auf tagespolitische Themen könnte als Schwäche des WOM gesehen werden. Daher wird auch von Seiten des Bundesministeriums betont, dass das Tool bei der Wahlorientierung helfen kann, jedoch keine konkreten Wahlempfehlungen ausspricht (Bundeszentrale für Politische Bildung, 2021b; Marschall & Schrenk, 2021).

Zur Berechnung der Übereinstimmung zwischen Parteien und Nutzer_innen wird die sogenannte City-Block oder Manhattan-Methode (Van der Linden & Dufresne, 2017) zur Bestimmung der individuellen Distanz zu einer Partei genutzt. Die drei Antwortmöglichkeiten (stimme zu, neutral, stimme nicht zu) werden für jede These zwischen Nutzer_in und Partei abgeglichen. Dabei gibt es für exakte Übereinstimmung zwei Punkte, für gegensätzliche Antworten keinen Punkt, und sonst einen Punkt. Die Verwendung dieser Methode ist diskutabel, da ihr Ergebnis von der Auswahl der Items stark beeinflusst werden kann. Das Auslassen mancher politischen Themen oder die Überrepräsentation anderer Themen kann die angebliche Übereinstimmung verzerren (Van der Linden & Dufresne, 2017). Solche Probleme machen den Bedarf nach einer Überprüfung der Validität des WOM klar.

In einem validen WOM sollten sich die ideologischen Standpunkte der Parteien beziehungsweise die grundlegenden interindividuellen Unterschiede in den soziopolitischen Einstellungen und Überzeugungen der Parteianhänger_innen in ihren spezifischen Antwortmustern und Positionierungen niederschlagen (Jost, Federico & Napier, 2009; Neundorf, 2011). Wenn der WOM also wie gewünscht funktioniert und die Unterschiede zwischen den Parteien und ihren Standpunkten akkurat darstellt, ist anzunehmen, dass trotz Übereinstimmungen in einzelnen Fragen Parteien (und Nutzer_innen) mit grundlegend anderen ideologischen Ausrichtungen auch andere Antwortmuster zeigen. Eine Arbeit von Wagschal und König (2015) hat die Parteidaten des WOM von den Bundestagswahlen 2005 bis 2013 genutzt, um die Unterschiedlichkeit der Parteien erfolgreich auf einem Links-Rechts-Spektrum darzustellen. Dass der WOM dazu in der Lage ist, spricht für seine Validität.

Zahlreiche Arbeiten haben jedoch gezeigt, dass eine einzelne Dimension nicht ausreicht, um die Diversität der politischen Landschaft in Deutschland darzustellen (Linhart & Shikano, 2009) und die ideologischen Werte und politischen Standpunkte von Personen abzubilden (siehe Kandler, Riemann & Hufer-Thamm‍(2022) für einen Überblick). Eine klassische Links-Rechts-Dimension vereint mehrere Aspekte politischer Orientierungen und ist trotz ihrer unbestreitbaren Nützlichkeit eine Abstraktion realer politischer Komplexität. Mindestens zwei ideologische Dimensionen sind erforderlich, die je nach Rotation in einem zweidimensionalen Raum unterschiedlich interpretiert wurden. So unterscheiden Jost et al. (2009) beispielsweise zwischen einer soziokulturellen und einer sozioökonomischen Dimension politischer Ideologie. Diese Dimensionen können mit zwei unterschiedlichen motivationalen Merkmalen in Zusammenhang gebracht werden: (1) Rechtsgerichteter Autoritarismus, welcher mit einer Resistenz gegenüber soziokultureller Veränderung assoziiert ist, und (2) Soziale Dominanzorientierung, welche mit einer Akzeptanz sozioökonomischer Unterschiede in einer Gesellschaft einhergeht (Grünhage & Reuter, 2021; Harnish, Bridges & Gump, 2018; Jost et al., 2009).

Beide Dimensionen werden oft als orthogonal postuliert, sind aber in den meisten westlichen Gesellschaften positiv korreliert (Azevedo, Jost, Rothmund & Sterling, 2019; Jost et al., 2009; Kandler, Bell, Shikishima, Yamagata & Riemann, 2015). Politische Gruppen, die in sozialen und ökonomischen Belangen entgegengesetzte Ansichten haben, sind kaum vertreten (Jost et al., 2009), zumindest in Nationen mit einer historisch kapitalistischen Ausrichtung (Malka et al., 2019). In Übereinstimmung damit können soziokultureller und sozioökonomischer Konservatismus in einer deutschen Stichprobe als positiv korreliert erwartet werden.

In einer umfangreichen Dissertation von Graichen (2021) wurden die Daten der Parteien zu einer Reihe verschiedener WOM-Versionen genutzt, um die relative Parteinähe und Positionierung im politischen Spektrum darzustellen, aufgespannt nach einer soziokulturellen und einer sozioökonomischen Dimension. Diese Positionen wurden dann anhand externer Instrumente zur Messung von parteipolitischer Positionierung überprüft. Graichen kam zu dem Schluss, dass der WOM sich sowohl zur Quantifizierung von Parteipositionen als auch als valide Wahlhilfe eignet.

Eine aktuelle Arbeit von Tangian (2022) hatte dasselbe Ziel mit anderem Ansatz verfolgt: Mit den Daten vom WOM der Bundestagswahl 2021 wurde die relative Ähnlichkeit der Parteien untereinander berechnet und dann zur Dimensionsreduktion eine Hauptkomponentenanalyse durchgeführt. Eine Struktur mit zwei Hauptkomponenten wurde gewählt. Dabei wurde die erste Komponente als Abbildung des Links-Rechts-Spektrums interpretiert und die zweite als eine Autoritär-Libertär-Dimension. Bei letzterer handelt es sich um eine alternative Klassifizierung politischer Orientierung, welche die Forderungen nach einem starken vs. schwachen Staat auf zwei Extremen eines Spektrums platziert (Mehrabian, 1996).

Diese Studien sprechen alle für die diagnostische Validität des WOM in Bezug auf die Messung grundlegender parteipolitischer Orientierungen. Verhältnismäßig weniger Forschung existiert zur Validität des WOM in Bezug auf die individuelle politische Orientierung.Grünhage und Reuter (2020a) konnten zeigen, dass Übereinstimmungsraten mit rechts-konservativen Parteien bzw. mit links-progressiven Parteien korreliert sind mit spezifischen Persönlichkeitsskalen. Diese Befunde sind kohärent mit bekannten Korrelationen zwischen Persönlichkeitsunterschieden und Links-Rechts-Selbsteinstufungen sowie ideologischen Überzeugungen (siehe Kandler et al., 2015; Kandler et al., 2022). In einer weiteren Studie fanden sie konsistente Korrelationen von Parteiübereinstimmungen auf der Basis des WOM und dem Verhalten von Proband_innen in sogenannten Public-Good- und Trust-Games (Grünhage & Reuter, 2020b). Diese Arbeiten liefern wertvolle Evidenz für die externe Validität des WOM.

Das Ziel der vorliegenden Arbeit war eine faktorielle Validierung des WOM als diagnostisches Instrument der individualpolitischen Orientierung im Sinne der Parteiähnlichkeit. Es soll mittels einer explorativen Faktorenanalyse untersucht werden, ob den Übereinstimmungen mit Parteipositionen verschiedene latente Dimensionen zugrunde liegen, und wenn ja, welche Aspekte des politischen Spektrums diese latenten Dimensionen repräsentieren. Es soll die Frage beantwortet werden, ob der WOM trotz der Beschränkung auf spezifische aktuelle Themen die Nutzer_innen in der deutschen Politiklandschaft gemäß ihren politischen Orientierungen verorten kann, entlang soziokultureller und sozioökonomischer Dimensionen, wie sie sich in früheren Studien gezeigt haben.

Methode

Teilnehmer_innen

Es wurden im Rahmen dieser Studie drei separate Datenerhebungen herangezogen. Die erste Stichprobe (N = 325; Alter: 18 – 82, Median = 26) wurde im Umfeld der Universität Bremen erhoben. Die zweite Stichprobe (N = 462; Alter: 18 – 86, Median = 25) wurde freundlicherweise von Dr. Grünhage der Universität Bonn zur Verfügung gestellt (siehe Monzel et al., in press). Die dritte Stichprobe (N = 220; Alter: 18 – 83, Median = 51) war geografisch etwas weiter über die Bundesrepublik verteilt (z. B. Bremen: n = 56, Nordrhein-Westfalen: n = 75, und Niedersachsen: n = 37) mit einer etwas breiteren Altersverteilung.

Tabelle 1 enthält die detaillierten demografischen Informationen aller drei Stichproben. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass alle Stichproben zu einem größeren Anteil weiblich und höher gebildet waren als die Grundgesamtheit.

Tabelle 1 Demografie aller Stichproben

Erhebung

Die Details zur Erhebung der zweiten Stichprobe sind nachzulesen bei Monzel et al. (in press). Die Befragung der ersten und dritten Stichprobe fand mit einem Onlinefragebogen des Anbieters SoSci-Survey statt (SoSci Survey GmbH, 2023). Vor Beginn wurden die Teilnehmer_innen über den generellen Inhalt des Fragebogens aufgeklärt, also die Beantwortung politischer Aussagen, sowie über den Datenschutz, die Anonymität der Erhebung, und das Recht auf jederzeitigen Abbruch. Sie wurden nicht explizit informiert, dass die Thesen dem WOM entnommen waren, um zu verhindern, dass die Antworten einer bereits präferierten Parteilinie folgen. Durch Bestätigen der Teilnahme signalisierten sie ihre informierte Einwilligung.

Zuerst wurden drei soziodemografische Größen abgefragt: Alter (in Jahren), Geschlecht (männlich, weiblich, divers), und höchster Bildungsabschluss. Im Anschluss beantworteten Teilnehmer_innen die Thesen des WOM zur Bundestagswahl 2021; 38 Aussagen (37 in der dritten Stichprobe; die These zu Nordstream 2 wurde entfernt) über gegenwärtig relevante politische Themen. Es gab drei mögliche Antworten: Stimme zu, Neutral und Stimme nicht zu. Die Beantwortung einzelner Thesen konnte auch übersprungen werden, woraufhin die Antwort als fehlender Wert eingetragen wurde. Teilnehmer_innen wurden jedoch in der ersten Stichprobe nicht explizit auf diese Option hingewiesen. Nach der Beantwortung aller Thesen wurden sie erneut vorgelegt und Teilnehmer_innen sollten markieren, welche Thesen sie als besonders wichtig betrachten. Dieser Teil fehlte in der ersten Stichprobe.

Die WOM-Daten liegen, minus der Gewichtung in der ersten, für alle Stichproben vor. In der ersten und dritten Stichprobe wurden zusätzlich zwei weitere Skalen gemessen, die als externe Validierung für politische Orientierungen dienten: (1) Eine ins Deutsche übertragene Version der 12 Item Social and Economic Conservatism Scale (Everett, 2013) und (2) die Kurzskala für rechtsgerichteten Autoritarismus (Beierlein et al., 2014). Der Konservatismus-fragebogen besteht aus zwölf Items zu Themen aus Politik und Gesellschaft, bei denen Uneinigkeit zwischen Konservativen und Progressiven besteht. Diese Themen umfassen soziale Aspekte (z. B. Traditionelle Ehe, Patriotismus) und wirtschaftliche Aspekte (z. B. Privatisierung, Sozialleistungen). Teilnehmer_innen werden aufgefordert, ihre Zustimmung oder Ablehnung der Themen auf einer Skala von eins bis 100 zu indizieren. Nach Umpolung der inversen (progressiv gepolten) Items wird ein Mittelwert aller Items für den Konservatismus-Score gebildet und jeweils ein Mittelwert der sozialen und wirtschaftlichen Items für die spezifisch sozialen und wirtschaftlichen Konservatismus-Scores. Ein Item wurde ausgeschlossen (Waffenbesitz), weil eine Itemanalyse eine geringe Trennschärfe (< .3) für dieses Item ergab. Die zweite Skala misst autoritäre Aggression, autoritäre Unterwürfigkeit und Konventionalismus mit jeweils drei Items auf einer fünf-stufigen Likert-Skala. Ein Mittelwert soll die autoritäre Einstellung darstellen. Diese Skala geht zurück auf das Konzept des Right-Wing Authoritarianism nach Altemeyer (1983), welches das ältere Konstrukt der autoritären Persönlichkeit nach Adorno auf drei Subskalen reduzierte. Die Skala wurde zu einem etablierten Messinstrument für Autoritarismus (Beierlein et al., 2014). Autoritarismus korreliert in westlichen Stichproben konsistent mit konservativen Einstellungen (Azevedo et al., 2019), und kann als eine motivationale Basis des soziokulturellen Konservatismus aufgefasst werden (Duckitt & Sibley, 2010).

Ein letztes Item in den Erhebungen eins und drei gab Teilnehmer_innen die Möglichkeit anzugeben, dass ihre Daten aufgrund von Ablenkung oder unehrlicher Beantwortung ausgeschlossen werden sollten.

Ein externer Datensatz enthielt die Antworten auf die Thesen von 38 zur Wahl zugelassenen Parteien. Es sind nicht alle zugelassenen Parteien vertreten, da manche nicht auf die Anfrage geantwortet hatten. Dieser Datensatz ist öffentlich verfügbar (Bundeszentrale für Politische Bildung, 2021c).

Analyse

Die Datenaufbereitung und explorativen statistischen Analysen wurden mit R durchgeführt (R Core Team, 2022) – unter Zuhilfenahme folgender Pakete: psych (Revelle, 2022), FactoMineR (Lê, Josse & Husson, 2008), factoextra (Kassambara & Mundt, 2020), latentFactoR (Christensen et al., 2022) und tidyverse (Wickham et al., 2019). Von den Teilnehmer_innen wurden im ersten Analyseschritt solche ausgeschlossen, die minderjährig waren oder angegeben hatten, dass ihre Daten ausgeschlossen werden sollten. Eine weitere Person in der ersten Stichprobe hatte unehrlich geantwortet (Null-Streuung trotz invers gepolter Items) und wurde ausgeschlossen.

Um die Übereinstimmung der Teilnehmer_innen-Positionen mit den Positionen der 38 Parteien zu bestimmen, wurde für jede Person die prozentuale Ähnlichkeit zu jeder Partei bestimmt. Eine exakte Übereinstimmung auf der Skala (Stimme zu, Neutral und Stimme nicht zu) zwischen Partei und Person in einem Item bedeutet zwei Punkte Ähnlichkeit, eine Annäherung (z. B. Neutral und Stimme zu) einen Punkt und eine komplette Abweichung null Punkte. Die Summe dieser Punkte wurde gewichtet mittels Division durch das Maximum der möglichen Punkte. Wenn eine These als besonders wichtig markiert wurde, dann ging der assoziierte Wert zweifach ein und das Maximum wurde dementsprechend um zwei Punkte erhöht. Dieses Vorgehen entspricht der Berechnung, die das online WOM-Programm anwendet (Bundeszentrale für Politische Bildung, 2021b). Da bei der ersten Stichprobe die Erhebung der Gewichtung fehlte, musste dieser Berechnungsschritt hier entsprechend übersprungen werden.

Mit der Nutzung der Übereinstimmungswerte grenzt sich unsere Analyse von einer direkten Modellierung der Thesen des WOM ab. Eine Untersuchung z. B. der Faktorstruktur der Thesen würde ohne Zweifel ebenfalls wertvolle Informationen über die Validität des WOM liefern. Da jedoch im Zentrum des Online-Angebotes die Erstellung der prozentualen Übereinstimmung steht, ist die vorliegende Studie darauf fokussiert.

Es wurden zwei Analysen zur Variablenreduktion durchgeführt. Zum einen wurde eine Hauptkomponentenanalyse (PCA) über die 38 Übereinstimmungswerte mit zwei Hauptkomponenten ohne Rotation berechnet, um den Ansatz von Tangian (2022) bezüglich der parteipolitischen Orientierungen auf unsere Daten der individualpolitischen Orientierungen anzuwenden und zu prüfen, ob die Ergebnisse repliziert werden können. Die PCA wurde mit den ipsativen Werten berechnet, die sich durch die Subtraktion des jeweils individuellen Mittelwerts über alle 38 Übereinstimmungswerte von den einzelnen Übereinstimmungswerten jeder Person ergaben. Letzteres erlaubt einer Verzerrung der Ergebnisse durch eine eher linksorientierte Stichprobe entgegenzuwirken. Um eine Interpretation der resultierenden Komponenten zu unterstützen, wurden die Scores aller Teilnehmer_innen aus der ersten und dritten Stichprobe auf den Komponenten korreliert mit den Variablen Konservatismus (generell sowie separat wirtschaftlich und sozial) und Autoritarismus (generell sowie auf Facettenebene mit autoritärer Aggression, autoritärer Unterwürfigkeit, und Traditionalismus).

Zum anderen wurde eine Explorative Faktorenanalyse (EFA) durchgeführt. Im ersten Schritt wurde zur Ermittlung der optimalen Faktorenzahl für eine hinreichende Beschreibung der Daten die R-Funktion estimate_dimensions aus dem Paket latentFactoR verwendet, welche verschiedene Schätzmethoden anwendet. Eine einzelne Methode ist oft nicht ausreichend für reliable Ergebnisse (Auerswald & Moshagen, 2019). Für die EFA wurde ML als Schätzalgorithmus gewählt, da sie, solange die Daten nicht bedeutsam von der Normalverteilung abweichen, die besten Ergebnisse liefert (Costello & Osborne, 2005). Die schiefwinklige Promax-Rotation wurde gewählt, weil, wie eingangs beschrieben, Korrelationen verschiedener Aspekte des politischen Spektrums zu erwarten sind und diese damit zwischen den Dimensionen auch zugelassen werden sollten. Da die Daten vor der Übereinstimmungsberechnung diskret waren, wurde dieselbe Analyse zusätzlich mit der Weighted Least Sqaures (WLS) Schätzmethode durchgeführt (siehe Goretzko, Pham & Bühner, 2021).

Für das resultierende mehrdimensionale Modell wurden die Faktor-Scores für alle Teilnehmer_innen aus der ersten und dritten Stichprobe mittels der Thurstone Methode berechnet (Grice, 2001). Die Faktor-Scores wurden miteinander und mit den Maßen zu Konservatismus (generell sowie wirtschaftlich und sozial) und Autoritarismus korreliert. Auf diese Weise sollte die Validität der Faktoreninterpretation gestützt werden.

Von den 38 Variablen, welche die prozentuale Übereinstimmung mit den 38 Parteien darstellen, wurde die Partei Gesundheitsforschung komplett ausgeschlossen, da sie sich zu allen Thesen neutral positioniert hat. Die Partei Team Todenhöfer wurde von der EFA ausgeschlossen. Der Test des Kaiser-Meyer-Olkin Kriteriums ergab für diese Variable Werte unter 0.5, weshalb sie nicht für eine Faktorenanalyse geeignet war (Klopp, 2010). Da Tangian (2022) diese Partei jedoch in seiner Analyse inkludiert hatte, wurde sie für die PCA beibehalten.

Ergebnisse

Alle drei Stichproben waren tendenziell politisch links orientiert. Die durchschnittlichen Übereinstimmungen mit progressiven Partien waren höher als mit konservativen Parteien. Eine vollständige Übersicht zu den zentralen Verteilungen der Übereinstimmungen mit allen Parteien aus allen Stichproben findet sich im Elektronischen Supplement (ESM 1).

Der Mittelwert für Konservatismus in der ersten Stichprobe lag bei 40 (Skala von eins bis 100; SD = 15.19) und für Autoritarismus bei 2.02 (Skala von eins bis fünf; SD = 0.61). Für die zweite Stichprobe liegen diese Werte nicht vor, und in der dritten Stichprobe betrug der Mittelwert für Konservatismus 40 (SD = 15.2) und für Autoritarismus 2.15 (SD = 0.73). Hier zeichnet sich auch eine Tendenz nach links ab.

Hauptkomponentenanalyse

Die PCA der ipsativen Werte der ersten, zweiten und dritten Stichprobe sind in Abbildung 1 dargestellt. Beide Komponenten wurden durch Multiplikation der Werte mit -1 gespiegelt, um sie mit den Darstellungen bei Tangian (2022) leichter vergleichbar zu machen (siehe Abbildung 1A). Die Ladungen auf die Komponenten werden durch dieses Verfahren nicht verändert.

Abbildung 1 Anmerkungen: (A) Eigenvektor Plot von Tangian (2022), der die Eigenvektoren der Parteien strukturiert nach den zwei in der PCA extrahierten Komponenten zeigt (reproduziert mit freundlicher Erlaubnis). Die x-Achse wurde invertiert, um der intuitiven Assoziation mit dem Links-Rechts Spektrum zu folgen. (B, C, D) Ladungs-Plots der ersten, zweiten, und dritten Stich-probe, der die Ladungen der Parteien auf die zwei in der PCA extrahierten Komponenten zeigt. Abbildung 1. Eigenvektoren (A) und Ladungen (B, C, D) der Hauptkomponentenanalyse (PCA) der Parteien auf die zwei in der PCA extrahierten Komponenten zeigt.

Tabelle 2 zeigt die Korrelationen der berechneten Hauptkomponenten-Scores mit Konservatismus und Autoritarismus sowie deren jeweiligen Facetten. Hierbei stellen sich durchweg positive Korrelationen der ersten Komponente mit Konservatismus und Autoritarismus ein, während die zweite Komponente moderat negativ mit ökonomischem Konservatismus korreliert (in der ersten Stichprobe) und ansonsten nur schwache Korrelationen aufzeigt.

Tabelle 2 Korrelationstabelle Hauptkomponentenanalyse (PCA)

Explorative Faktorenanalyse

Die Verfahren zur Schätzung der Dimensionen ergaben voneinander abweichende Ergebnisse für die drei Stichproben (Tabelle 3). Die Methoden sind nicht auf eine optimale Faktorzahl konvergiert, daher wurde die EFA für alle Stichproben mit acht bis zu einem Faktor durchgeführt und die Ergebnisse verglichen. Das dreidimensionale Modell wurde zusätzlich mit einer kombinierten Stichprobe überprüft, in welche die Übereinstimmungswerte aller insgesamt 1 007 Teilnehmer_innen eingegangen sind.

Tabelle 3 Dimensionalitätsbestimmung Explorative Faktorenanalyse (EFA)

Die Ergebnisse der vier- bis achtdimensionalen EFAs sind in ESM 2 aufgelistet. Die Varianzaufklärung der Modelle lag zwischen 78 % und 90 %. In jedem Fall gab es mindestens einen, oft mehrere Faktoren mit weniger als 5 % Varianzaufklärung, auf die nur Übereinstimmungen mit Kleinparteien geladen haben.

Die Faktorlösung mit drei Dimensionen konnte 76 % der Varianz der Übereinstimmungswerte in der ersten Stichprobe erklären, 81 % in der zweiten, und 81 % in der dritten. In absteigender Reihenfolge erklärten die Faktoren 34 %, 26 %, 16 % der Varianz in der ersten Stichprobe, 53 %, 16 % und 11 % in der zweiten und 60 %, 13 % und 8 % in der dritten. Die Mittelwerte der Kommunalitäten betrugen .76 (SD = .20), .81 (SD = .14) und .81 (SD = .19). Die im Mittel hohe Varianzaufklärung bei einer großen Menge von Variablen weist auf eine gute Modellpassung hin. Im Gegensatz zu den Modellen mit mehr Faktoren erklärt jeder Faktor einen substanziellen Anteil der Varianz.

Die zwei- und eindimensionalen EFAs konnten zwischen 59 % und 75 % der Varianz aufklären (mit großer Variation zwischen den Stichproben, siehe ebenfalls ESM 2). Basierend auf den mittleren Komunalitäten waren die Modellpassungen jedoch schlechter.

Alle folgenden Ergebnisse beziehen sich daher auf das Modell mit drei Dimensionen (3D-Modell), das vornehmlich auch durch die Parallelanalysen erhärtet werden kann. Die schiefwinklige Promax-Rotation hat eine Einfachlösung ergeben, bei der fast jedes Item primär auf eine Dimension lädt. Abbildung 2 veranschaulicht die Ladungen der Items auf die drei Faktoren separat für jede Stichprobe.

Abbildung 2 Anmerkungen: Die Ladungen der 36 Parteien auf die drei Dimensionen sind durch horizontale Balkendiagramme visualisiert. Die Länge des Balkens gibt die Stärke der Ladung an (x-Achse) und die Farbe das Vorzeichen (blau = positiv; rot = negativ; Intensivere Farben bedeuten stärkere Ladungen). (A) zeigt die Ergebnisse aus der ersten Stichprobe, (B) aus der zweiten, und (C) aus der dritten. (D) zeigt dasselbe Modell für die Gesamtstichprobe. Abbildung 2. Ladungen der Explorativen Faktoranalyse (EFA).

Die drei Faktoren waren in allen Stichproben untereinander korreliert. Moderate bis substanzielle Korrelationen fanden sich in der ersten Stichprobe mit Werten von r = -.69 (1 und 2), r = -.45 (1 und 3), und r = .55 (2 und 3). Dasselbe Muster, jedoch mit nur moderaten Zusammenhängen, zeigte sich in der zweiten Stichprobe mit r = -.35 (1 und 2), r = -.38 (1 und 3) und r = .54 (2 und 3) und in der dritten Stichprobe mit r = -.31 (1 und 2), r = -.35 (1 und 3) und r = .19 (2 und 3).

Die Ergebnisse der 3D-Modelle blieben stabil bei einer Veränderung der Schätzmethode von ML zu WLS (ESM 3). Die Korrelationen der berechneten Faktor-Scores und Konservatismus sowie Autoritarismus sind in Tabelle 4 aufgeführt.

Tabelle 4 Korrelationstabelle Faktorenanalyse (FA)

Diskussion

Das Ziel dieser Arbeit war die Validierung des WOM als diagnostisches Instrument zur Abbildung von individualpolitischen Orientierungen. Alle Ergebnisse dieser Analysen sind daher als Aussagen über den WOM als Messmethode zu interpretieren und nicht als Aussagen über das politische Spektrum Deutschlands.

Hauptkomponentenanalyse

Bei unserer PCA wurden dieselben Methoden angewandt wie bei der Arbeit von Tangian (2022), aber mit einer anderen Datengrundlage. Statt der Ähnlichkeit der Parteien untereinander wurde in dieser Studie die Übereinstimmung von Teilnehmer_innen mit Parteien als Datengrundlage herangezogen. Trotzdem stimmen die Ergebnisse aller drei Stichproben in vielen Punkten mit denen von Tangian überein. Die erste Komponente spiegelt die Links-Rechts Ausrichtung der Parteien wider, wobei die Übereinstimmungen mit den linksorientierten Parteien negativ und die mit den rechtsorientierten positiv auf die Komponente laden (siehe Abbildung 1, die in A die Ergebnisse von Tangian und in B, C und D die Ergebnisse dieser Studie darstellt).

Die zweite Komponente ist weniger direkt zu interpretieren. Es laden am auffälligsten die Übereinstimmungen mit wirtschaftskonservativen Parteien negativ auf diese Komponente, wie zum Beispiel die FDP, die Freien Wähler, die Humanisten, und die PdF. Passend dazu wurde in der ersten Stichprobe eine moderate negative Korrelation zwischen dieser Komponente und Wirtschaftskonservatismus gefunden. Positiv laden vor allem Übereinstimmungen mit rechtspopulistischen Parteien und solchen, die durch Verschwörungstheorien bekannt wurden: Die Menschliche Welt, die Basis, die NPD, und der III. Weg. Die Interpretation der Komponente entlang eines autoritär-libertär Spektrums, wie Tangian (2022) es vorgenommen hat, ist jedoch inkongruent mit unseren Daten. Autoritarismus korreliert nicht mit der Komponente, und auf Facettenebene korreliert autoritäre Unterwürfigkeit schwach negativ während Traditionalismus schwach positiv korreliert (bzw. nicht korreliert in Stichprobe 3). Daher soll die Interpretation dieser Komponente vorerst zurückgestellt werden – die explorative Faktorenanalyse mit drei Faktoren wird hierzu weitere Informationen liefern.

Im Gesamten zeigt sich im Vergleich zu Tangian (2022) fast die gleiche Verteilung von Parteien entlang der von zwei Hauptkomponenten aufgespannten Ebene, jedoch gestaucht auf die erste Komponente. Bezogen auf individuelle Übereinstimmung mit den Parteien hat also die Links-Rechts Orientierung mehr Erklärungskraft. Es spricht für die diagnostische Validität des WOM bezüglich individualpolitischer Orientierung, dass dieses Spektrum auch mit Teilnehmer_innen-Daten repliziert werden kann.

Explorative Faktorenanalyse

Nach Evaluation der Modelle im Vergleich wurde das 3D–Modell für die weitere Analyse ausgewählt. Die Modelle mit mehr als drei Dimensionen erlaubten jeweils keinen substantiellen Zuwachs an Varianzaufklärung (< fünf Prozentpunkte) mehr, was auf übersättigte Modelle hindeutet. Der Eigenwerteverlauf wies auf drei Dimensionen als ökonomisch hinreichend aber notwendig zur Erklärung der Daten hin. Die relative Verteilung der Varianzaufklärung, die Einfachstruktur und damit die erleichterte Interpretierbarkeit unterstützen die Entscheidung für das 3D-Modell. Die zwei- und eindimensionalen Modelle waren ebenfalls interpretierbar, allerdings mit ≥ fünf Prozentpunkten Verlust an Varianzaufklärung für die zwei- und ≥ 10 Prozentpunkten für die eindimensionalen Modelle. Daher fiel die Entscheidung zugunsten des aufklärungsstärkeren und besser interpretierbaren 3D-Modells aus.

Die Ergebnisse der zweiten und dritten Stichprobe sind weitestgehend identisch. Auf Dimension eins laden vor allem die Nähe zu Parteien aus dem links-progressiven Spektrum positiv, wie zum Beispiel die Piraten, die Grünen, die SPD, und die LINKE. Diese Dimension könnte daher Progressivität, also den prinzipiell linken Teil des parteipolitischen Spektrums repräsentieren. Die Übereinstimmung mit der AfD weist negative Ladungen auf, genauso wie diejenigen mit der CDU / CSU und FDP, was die Interpretation einer generellen Links-Rechts-Dimension nahelegt. Die negativen Korrelationen der Faktor-Scores mit Konservatismus und Autoritarismus untermauern die Interpretation. Die Ladungen der rechts-konservativen Parteien sind jedoch generell geringer. Es werden vom ersten Faktor mehr Aspekte des progressiven als des konservativen Spektrums erfasst.

Die erste Dimension korreliert konsistent negativ mit der zweiten und dritten, die wiederum untereinander positiv korrelieren. Diese könnten dementsprechend verschiedene Aspekte von rechts-konservativen Ausrichtungen darstellen, die in der ersten Dimension nicht vertreten waren. Tatsächlich finden sich in der zweiten Dimension positive Ladungen mit der Nähe zu rechtspopulistischen Parteien wie der Basis, dem III. Weg, und der NPD. Die Menschliche Welt ist zwar in einigen Punkten links, lädt daher auch positiv auf den ersten Faktor, teilt aber mit den rechten Parteien unwissenschaftliche Verschwörungstheorien z. B. zur Corona-Pandemie. Die dritte Dimension zeigt vor allem positive Ladungen von Übereinstimmungen mit der FDP und der CDU / CSU, sowie mit kleinen neoliberalen Parteien. Eine Interpretation spezifisch entlang sozioökonomisch konservativer Linien liegt nahe, was sich auch in der höheren Korrelation der Faktor-Scores mit ökonomischem Konservatismus als mit sozialem Konservatismus in der dritten Stichprobe bestätigt. Die Korrelationen sprechen für die Kriteriumsvalidität der extrahierten Faktor-Scores vor dem Hintergrund des politischen Parteienspektrums.

Das 3D-Modell der ersten Stichprobe ist prinzipiell mit denen aus der zweiten und dritten vergleichbar, trotz gewisser Unterschiede. Diese Unterschiede sind möglicherweise auf die abweichenden Methoden, also das Fehlen der Überspring- und Gewichtungsoptionen, zurückzuführen. Es ergab sich ebenfalls ein links-progressiver Faktor als erste Dimension, wobei jedoch die negativen Ladungen rechts-konservativer Parteien schwächer waren. Einige der links-progressiven Parteien luden auch negativ auf den zweiten Faktor, der in diesem Modell die Ladungen der sozioökonomisch konservativen Parteien bündelte. Die Übereinstimmungen mit rechtspopulistischen Parteien laden in diesem Modell auf den dritten Faktor. Die Verteilung der Varianzaufklärung der einzelnen Dimensionen ist hier aufschlussreich: In der ersten Stichprobe erklären die ersten zwei Dimensionen mit 34 % und 26 % vergleichbare Anteile, während die ersten Dimensionen in der zweiten und dritten Stichprobe mit 53 % und 60 % deutlich überwiegen. Was dort ein genereller Links-Rechts Faktor ist, und viel Varianz in sich vereint, ist in der ersten Stichprobe auf die erste und zweite Dimension aufgeteilt. Eine Interpretation der ersten Dimension entlang primär soziokultureller und der zweiten Dimension entlang primär sozioökonomischer Aspekte der Politik bietet sich an basierend auf den Ladungen von Parteien wie der FDP oder der LINKEN, aber auch kleiner ökonomisch konservativer Parteien. Doch die Korrelationen der Faktor-Scores aus Stichprobe eins zeigen, dass Dimensionen eins und zwei gleichermaßen mit sozialem sowie ökonomischen Konservatismus korrelieren. In beiden Dimensionen sind diese politischen Aspekte vermengt. Das erklärt auch die höheren Faktorkorrelationen in der ersten Stichprobe (mit -.71), da sie überlappende Aspekte desselben Links-Rechts Spektrums darstellen. Der partiell sozioökonomisch lehnende Faktor zwei (Faktor drei in Stichprobe drei) korreliert höher mit dem rechtspopulistischen Faktor in Stichprobe eins als in Stichprobe drei, weil er hier auch soziale Aspekte enthält. Im Gesamten sind die Ergebnisse konsistent interpretierbar. Für die Erklärung des Online-Wahl-O-Mat sollten allerdings die übereinstimmenden Ergebnisse der zweiten und dritten Stichprobe herangezogen werden, da hier die Methoden identisch mit dem Wahl-O-Mat sind.

Im Vergleich mit der PCA ist zu bemerken, dass die orthogonale Struktur aufgehoben wurde, und eine wietere Dimension eingeführt wurde. Die Addition dieser Modell-Komplexität führte zur Auflösung der in der PCA uneindeutigen inhaltlichen Struktur. Die zweite Komponente, die auf einem Extrem wirtschaftsliberale Parteien und auf dem andern Extrem rechtspopulistische Parteien verortete, scheint Aspekte der zweiten und dritten Dimension der 3D-Modelle vereint zu haben. Demnach erlauben drei Dimensionen die Differenzierung des parteipolitischen Spektrums, zu der der WOM in der Lage ist, hinreichend wiederzugeben.

Limitationen

Die Ergebnisse der ersten Stichprobe sind durch das Fehlen der Thesengewichtung in ihrer Aussagekraft limitiert. Dieser Unterschied verringert die Vergleichbarkeit mit dem online WOM. Ebenfalls fehlte der explizite Hinweis auf die Option, einzelne Thesen zu überspringen. Diese Unterschiede scheinen jedoch einen geringen Einfluss auf die Ergebnisse gehabt zu haben, wie der Vergleich mit Stichproben zwei und drei zeigt.

Eine zweite Einschränkung der Aussagekraft sind die nicht repräsentativen Stichproben. Trotz Bemühungen einen breiteren Teil der Bevölkerung zu erreichen, sind alle Stichproben überwiegend weiblich, höher gebildet und politisch nach links ausgerichtet. Stichproben eins und zwei beinhalten auch eher jüngere Teilnehmer_innen, und Stichprobe eins ist zusätzlich auf den Raum Bremen beschränkt. Die EFA war zwar in der Lage, zwischen verschiedenen Strömungen im rechts-konservativen Spektrum zu unterscheiden, aber die Akkuratesse dieser Differenzierung mag durch die politische Linksschiefe der Stichproben eingeschränkt sein. Zukünftige Studien sollten diese Ergebnisse an politisch ausgewogenen und repräsentativen Stichproben testen.

Implikationen und Konklusion

Basierend auf den Ergebnissen kann festgehalten werden, dass es dem WOM zu gelingen scheint, das deutsche parteipolitische Spektrum mit hinreichender Komplexität abzubilden. Die prozentualen Übereinstimmungen, die den Nutzer_innen ausgegeben werden, lassen sich auf latente Variablen zurückführen, die gängige soziale und ökonomische Dimensionen politischer Einstellung entlang eines Links-Rechts-Spektrum abbilden. Derartige faktorielle Validität erhöht die Chance, dass Nutzer_innen sich mit ihren jeweils spezifischen Ausprägungen auf diesen latenten Variablen in den vorgeschlagenen Partien reflektiert sehen. Das Ziel, die Wahlbeteiligung durch Identifikation mit den zur Wahl stehenden Parteien zu erhöhen, kann daher gut erreicht werden. Zukünftige Studien in dieser Richtung könnten die Identifikation vor und nach Anwendung des WOM messen oder zwischen Nutzer_innen und potentiellen Nicht-Nutzer_innen, um die Gültigkeit dieses Schlusses zu überprüfen. Die latenten Dimensionen, die in dieser Studie extrahiert wurden, könnten auch quantitativ auf ihre Vorhersage von politischen Entscheidungen und Verhalten weiter untersucht werden, etwa die Vorhersage von Wahlentscheidungen oder Unterstützungen von bestimmten Parteien.

Die Thesen, auf denen die Berechnungen des WOM basieren, scheinen differenziert genug, um die diversen Komponenten der politischen Orientierung im Antwortmuster darzustellen. Das macht den WOM zu einer guten Informationsquelle für Bürger_innen, die sich am Wahlsystem beteiligen wollen.

Wir bedanken uns ausdrücklich bei Dr. Thomas Grünhage für die Daten, die er uns zur Analyse zur Verfügung gestellt hat. Dank dieser zusätzlichen Stichprobe konnten wir das 3D-Modell überprüfen und die Aussagekraft dieser Publikation verbessern. Wir wissen diese unkomplizierte und gewinnbringende wissenschaftliche Kooperation sehr zu schätzen.

Wir danken allen Studierenden aus dem Experimentalpraktikum für Ihre wertvolle Unterstützung in der Rekrutierung von Personen außerhalb des universitären Kreises.

Literatur