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DGPs-Vorstand. Der Kulturwandel in unserer Forschung muss in der Ausbildung unserer Studierenden beginnen

Published Online:https://doi.org/10.1026/0033-3042/a000563

Kommentare zum Positionspapier Brachem, J. et al. (2022). Replikationskrise, p-hacking und Open Science. Eine Umfrage zu fragwürdigen Forschungspraktiken in studentischen Projekten und Impulsen für die Lehre

DGPs-Vorstand

Der Kulturwandel in unserer Forschung muss in der Ausbildung unserer Studierenden beginnen

Der Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Psychologie (DGPs) hat sich sehr über die vorliegende empirische Studie der PsyFaKo zur Frage der Forschungsqualität in studentischen Forschungsprojekten gefreut und möchte den Autorinnen und Autoren sehr für diese wichtige Initiative danken! Sehr gerne nehmen wir daher die Möglichkeit wahr, zu den aus dieser Arbeit folgenden Implikationen für die Lehre im Psychologiestudium Stellung zu nehmen.

Dass die Qualitätssicherung psychologischer Forschung nicht nur Forschenden, Universitäten und Forschungsförderern, sondern auch Studierenden eine Herzensangelegenheit ist, zeigt sich in der intensiven Auseinandersetzung mit Ursachen und Konsequenzen der Replikationskrise sowie der andauernden Diskussion von Ansätzen zur Verbesserung der Qualität psychologischer Forschung (Brachem, Frank, Kvetnaya, Schramm & Volz, 2022; Konferenzrat der Psychologie-Fachschaften-Konferenz, 2018; 2019). Aus dem Engagement der Studierenden wird für uns deutlich, dass die Debatte um die Replizierbarkeit psychologischer Forschung für sie eine besondere Rolle spielt. Das Kennenlernen und kritische Diskutieren wichtiger Kernbefunde des Fachs kann nur dann Sinn ergeben, wenn diese Kernbefunde eine hinreichende Robustheit aufweisen und unabhängig replizierbar sind.

In den Ergebnissen der Umfrage von Brachem et al. (2022) zeigt sich eindrücklich, dass die Debatte um die Replizierbarkeit und Robustheit psychologischer Forschung auch in der universitären Lehre angekommen ist. Insgesamt 76 % der Befragten gaben im Winter 2018/19 an, dass an ihren Instituten die Replikationskrise im Rahmen von Lehrveranstaltungen diskutiert wurde. Die Diskussion um die Replizierbarkeit wissenschaftlicher Befunde ist mittlerweile Thema im Studium und in das Kerncurriculum universitärer Lehre aufgenommen worden. Auch dass mehr als die Hälfte der Antwortenden mit der Problematik spezifischer fragwürdiger Forschungspraktiken wie der post-hoc Hypothesenbildung, einer fehlenden Stichprobenumfangsplanung, dem selektiven Berichten von Daten sowie der datenanalytischen Flexibilität vertraut waren, spricht für eine insgesamt gute Informiertheit der Studierenden. Aus den Ergebnissen der Umfrage lässt sich weiterhin ableiten, dass die Studierenden dieses Wissen nicht nur passiv rezipieren, sondern auch aktiv in eigenen Forschungsprojekten umsetzen, da die ohnehin sehr geringe Prävalenz fragwürdiger Forschungspraktiken im Rahmen studentischer Projektarbeiten im Laufe des Studiums noch weiter abnimmt. Insgesamt ist es sehr erfreulich zu sehen, dass die Studierenden für das Thema in hohem Maße sensibilisiert sind. Da ein Teil der heutigen Studierenden die Forschenden von morgen sein werden, besteht Anlass zur Hoffnung, dass zukünftige Generationen von Promovierenden ein besonderes Augenmerk auf die Reproduzierbarkeit und Nachvollziehbarkeit ihrer eigenen Forschung legen werden.

Um einen nachhaltigen Kulturwandel zu offener und reproduzierbarer Forschung sicherzustellen, lassen sich aus unserer Sicht drei Maßnahmen aus den Ergebnissen der Umfrage ableiten:

(1) Die Behandlung der Replikationskrise und der Rolle fragwürdiger bzw. guter Forschungspraktiken sollte schon früh im Curriculum stattfinden. Insbesondere sollten Forschungspraktiken, die reproduzierbare Ergebnisse begünstigen (wie z. B. Präregistrierungen, Stichprobenumfangsplanungen und die Dokumentation von Analysen), von den Studierenden bereits im Experimental- / Empiriepraktikum selbst erprobt werden. Vorschläge zur Umsetzung, die sich am Kerncurriculum der LMU München orientieren, finden sich im ebenfalls in dieser Ausgabe erschienenen Kommentar der DGPs-Kommission Studium und Lehre (Gollwitzer et al., 2022).

(2) Die Replikationskrise sollte nicht nur im Rahmen methodischer oder diagnostischer, sondern auch im Rahmen inhaltlicher Lehrveranstaltungen diskutiert werden. Aus den Ergebnissen der Befragung von Brachem et al. (2022) ergibt sich, dass die Replikationskrise zurzeit vor allem in der Methodenlehre, dem Experimental- / Empiriepraktikum sowie der Diagnostik thematisiert wird. Da die Replikationskrise weitreichende Implikationen für zahlreiche Grundlagen- und Anwendungsfächer der Psychologie hat, halten wir es für wichtig, die Robustheit und Replizierbarkeit vorgestellter Befunde auch in diesen Fächern explizit zu thematisieren. Dabei wäre es einerseits denkbar, besonders robuste Befunde als solche zu kennzeichnen und exemplarisch einzelne Replikationsstudien zu diskutieren (dies findet in vielen Einführungsveranstaltungen ohnehin statt, könnte aber mit einem konkreten Bezug zur Replikationskrise schon früh ein Bewusstsein für reproduzierbare Forschung schaffen und Anwendungsbeispiele für die in der Methodenlehre vermittelten Inhalte liefern). Andererseits wäre es auch vorstellbar, einzelne nicht replizierbare Befunde vertieft zu diskutieren und die Debatte um diese Replikationsversuche am konkreten Beispiel zu beleuchten. Schließlich ergibt sich aus den Lehren der Replikationskrise leider eine noch größere Notwendigkeit, Curricula in regelmäßigen Abständen dahingehend zu überprüfen, ob Lehrbuchinhalte noch den aktuellen Stand des Wissens wiedergeben.

(3) Und zuletzt halten wir es für wichtig, sicherzustellen, dass unsere hervorragend ausgebildeten Studierenden im Laufe ihrer weiteren akademischen Karriere nicht aufgrund falscher Anreizstrukturen dazu verleitet werden, fragwürdige Forschungspraktiken trotz ihres Wissens um die teils verheerenden Folgen selbst anzuwenden. Insgesamt zeigen die Ergebnisse der Umfrage, dass fragwürdige Forschungspraktiken in studentischen Projekt- und Abschlussarbeiten nur sehr selten auftreten. Abhängigkeitsverhältnisse während der Promotionsphase, ein hoher Publikations- und Erfolgsdruck sowie weitere strukturelle Aspekte des Wissenschaftssystems können jedoch zur Folge haben, dass Nachwuchswissenschaftler_innen trotz einer sehr guten methodischen Ausbildung in Situationen geraten, in denen sie im Laufe ihrer wissenschaftlichen Karriere fragwürdige Forschungspraktiken anwenden. Wir betrachten es als Aufgabe unserer Fachgesellschaft, diese strukturellen Aspekte des Wissenschaftssystems im Austausch mit anderen Fachdisziplinen zu identifizieren und eine offene Debatte über die Veränderung von Anreizstrukturen zu führen, die zur Anwendung fragwürdiger Forschungspraktiken beitragen können. Dazu möchten wir auch an dieser Stelle noch einmal zur aktiven Teilnahme an der fachpolitischen Diskussion zur Identifikation und Reform struktureller Probleme im Wissenschaftssystem aufrufen (siehe Bühner et al., 2021).

Wir hoffen sehr, dass sich die Studierenden weiterhin proaktiv in die Debatte um gute und reproduzierbare psychologische Forschung einbringen werden. Insgesamt sind wir vorsichtig optimistisch, dass sich bei einer Folgeerhebung im Vergleich zu den von den Autor_innen im Winter 2018/19 erhobenen Daten eine noch größere Vertrautheit der Studierenden mit Themen der Replikationskrise und guter wissenschaftlicher Praxis zeigen würde.

Literatur