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Open AccessStudie

Untersuchung der Entwicklungsgeschwindigkeit in der Umgebungssprache Deutsch bei mehrsprachigen Vorschulkindern

Published Online:https://doi.org/10.1026/0942-5403/a000419

Abstract

Zusammenfassung:Theoretischer Hintergrund: Mehrsprachige Kinder unterscheiden sich in ihren Sprachfähigkeiten deutlich voneinander, bislang liegen jedoch kaum Daten zu Entwicklungsverläufen für unterschiedliche Sprachmaße vor. Fragestellung: Wie entwickeln sich Sprachfähigkeiten in der Umgebungssprache Deutsch bei mehrsprachigen Kindern über das Alter von drei bis sechs Jahren? Methode: Bei 243 mehrsprachigen Kindern werden Entwicklungsverläufe für den rezeptiven und expressiven Wortschatz, das Sätze-Nachsprechen und die Erzählfähigkeit untersucht. Ergebnisse: In allen untersuchten Sprachmaßen steigen die durchschnittlichen Leistungen an. Gleichzeitig zeigen sich deutliche interindividuelle Unterschiede in der Entwicklungsgeschwindigkeit, die für den expressiven Wortschatz am ausgeprägtesten sind. Ausgangsleistung und Entwicklungsgeschwindigkeit stehen für den rezeptiven Wortschatz und das Sätze-Nachsprechen in einem negativen Zusammenhang. Für den expressiven Wortschatz ergibt sich ein positiver Zusammenhang, d. h. Kinder mit höheren Ausgangsleistungen zeigen hier schnellere Entwicklungsanstiege als Kinder mit geringeren Ausgangsleistungen. Diskussion und Schlussfolgerung: Mehrsprachige Kinder unterscheiden sich deutlich in der Geschwindigkeit, in der sie ihre Fähigkeiten in der Umgebungssprache erweitern. Das Ausmaß interindividueller Unterschiede und der Zusammenhang zwischen Ausgangssprachstand und Entwicklungsgeschwindigkeit variieren jedoch in Abhängigkeit vom untersuchten Sprachmaß. In nachfolgenden Analysen müssen Prädiktoren für die interindividuellen Unterschiede in der Entwicklungsgeschwindigkeit identifiziert werden, auch um Fördermaßnahmen zielgerichtet implementieren zu können.

Analysing Language Growth in the Majority Language German in Bi-/Multilingual Preschool Children

Abstract:Theoretical background: Multilingual children differ substantially in their language abilities, however data on the developmental trajectories for different language measures are scarce. Objective: To describe developmental trajectories for different language measures in the majority language German in multilingual children over the age of 3 to 6 years. Method: We examined the developmental trajectories for several language abilities (receptive and expressive vocabulary, sentence repetition, narrative abilities) in the majority language German in 243 multilingual children. Results: Average language performance increased in all language measures, though there were substantial interindividual differences in the developmental rates which were most pronounced for expressive vocabulary. The relationship between the children’s initial language proficiency and their developmental rate differed between the language measures. Negative correlations were found for sentence repetition and receptive vocabulary, whereas a high positive correlation resulted for expressive vocabulary. This indicates that children with higher initial expressive vocabulary showed faster growth than children with lower initial vocabulary. Discussion and conclusion: Multilingual children differ substantially in the rate at which they increase their proficiency in the majority language German. However, the magnitude of these interindividual differences and the relationship between initial proficiency level and the rate of development depend on the language ability measured. We plan follow-up analyses to identify child-internal and environmental factors that account for the identified differences in developmental rates.

Mehrsprachiges Aufwachsen, hier definiert als regelmäßiger Kontakt zu mindestens zwei Sprachen in kommunikativ relevanten Interaktionssituationen (vgl. Reich, 2010), ist in Deutschland kein Sonderfall sprachlicher Entwicklung (Chilla, 2020). Im Jahr 2019 sprachen ca. 22 % aller in Kindertageseinrichtungen (Kitas) betreuten Kinder zu Hause vorrangig nicht Deutsch (Autorengruppe Bildungsberichterstattung, 2020). Zusätzlich nutzen weitere Kinder im familiären Umfeld zwar nicht vorrangig eine nichtdeutsche Herkunftssprache, verwenden diese jedoch innerhalb der Familie zusätzlich zur Umgebungssprache Deutsch (Schneller et. al., 2022). Somit wächst in Deutschland ein substanzieller Anteil der Kinder im Kitaalter mehrsprachig auf, wobei sich die Bedingungen des mehrsprachigen Aufwachsens, etwa die Kontaktmenge zu den einzelnen Sprachen, zwischen einzelnen Kindern deutlich unterscheiden (Schneller et al., 2022).

Entsprechend der unterschiedlichen Spracherwerbsbedingungen unterscheiden sich mehrsprachige Kinder auch hinsichtlich ihrer Sprachleistungen in den einzelnen Sprachen deutlich voneinander (Lautenschläger et al., 2022; Collins et al., 2014). Die durchschnittlichen Sprachleistungen in der Umgebungssprache liegen bei mehrsprachigen Kindern allerdings sowohl zu Beginn als auch zu Ende des Kitaalters häufig unterhalb der Leistungen einsprachiger Kinder (z. B. Ebert et al., 2013; Ronniger et al., 2019; Hoff & Ribot, 2017). Da die jeweilige Umgebungssprache meist die mehrheitlich in Bildungseinrichtungen genutzte Sprache darstellt, bildet eine gelingende Entwicklung von Sprachfähigkeiten in dieser Sprache jedoch eine wichtige Grundlage für eine erfolgreiche Bildungsteilhabe (Kempert et al., 2016).

Umfangreiche längsschnittliche Untersuchungen zum Verlauf der Sprachentwicklung in der Umgebungssprache liegen für mehrsprachige Kinder im Kitaalter bislang nur wenige vor (Lauro et al., 2020). Für den rezeptiven Wortschatz in der Umgebungssprache Deutsch zeigen Ebert et al. (2013) für Kinder mit zwei Elternteilen mit nichtdeutscher Herkunftssprache, dass sich der durchschnittliche Wortschatzumfang vom Alter von drei bis zum Alter von fünf Jahren etwa verdreifacht. Ebenfalls ansteigende mittlere Leistungen zeigen Hoff und Ribot (2017) für den expressiven Wortschatz in der Umgebungssprache Englisch bei Kindern mit Herkunftssprache Spanisch zwischen dem Alter von zweieinhalb bis fünf Jahren. Weitere internationale Studien weisen zudem darauf hin, dass bei älteren Vorschulkindern ab dem Alter von fünf Jahren die durchschnittlichen Sprachleistungen in der Umgebungssprache bis ins frühe Grundschulalter ansteigen (z. B. Jackson et al., 2014 für den rezeptiven Wortschatz; Rojas & Iglesias, 2013 für die Erzählfähigkeit).

Angesichts der Unterschiede in den Spracherwerbsbedingungen bedeuten die beschriebenen mittleren Anstiege jedoch nicht zwingend, dass sich sprachliche Fähigkeiten bei allen mehrsprachigen Kinder mit ähnlicher Geschwindigkeit entwickeln. Entsprechend zeigen sich in der Untersuchung von Rojas und Iglesias (2013) deutliche Unterschiede in der Entwicklungsgeschwindigkeit zwischen einzelnen Kindern. Hierbei zeigen zudem Kinder mit geringeren Ausgangsleistungen schnellere Zuwächse in der Erzählfähigkeit, wodurch sich Leistungsunterschiede zwischen Kindern bis ins mittlere Grundschulalter verringern könnten.

Ziel und Fragestellung

Umfassende Erkenntnisse zu Sprachentwicklungsverläufen mehrsprachiger Kinder liegen bislang weder zur durchschnittlichen Entwicklungsrate noch zu potenziellen Entwicklungsunterschieden zwischen einzelnen Kindern vor. Zudem fehlen Erkenntnisse dazu, ob sich Entwicklungsverläufe zwischen sprachlichen Teilleistungen (z. B. rezeptiver und expressiver Wortschatz) voneinander unterscheiden. Mithilfe entsprechender Erkenntnisse könnten Hypothesen zu Unterschieden in der Bedeutsamkeit einzelner Einflussfaktoren auf die Leistungsentwicklung in unterschiedlichen Sprachmaßen aufgestellt werden (siehe querschnittliche Ergebnisse zum unterschiedlichen Einfluss der Kontaktmenge auf den Umfang des rezeptiven und expressiven Wortschatzes bei Thodardottir (2011). Zudem könnte ermittelt werden, ob interindividuelle Unterschiede in der Entwicklungsgeschwindigkeit in einzelnen Sprachbereichen stärker ausgeprägt sind als in anderen und somit Kinder mit relativ langsamen Entwicklungsfortschritten möglicherweise in bestimmten Sprachbereichen ein vergleichsweise höheres Ausmaß an Unterstützung benötigen.

In der vorliegenden Untersuchung sollen für verschiedene Sprachmaße (rezeptiver und expressiver Wortschatz, Sätze nachsprechen, Erzählfähigkeit) jeweils die durchschnittliche Entwicklungsgeschwindigkeit, interindividuelle Unterschiede in der Entwicklungsgeschwindigkeit sowie der Zusammenhang zwischen Ausgangsniveau und Entwicklungsgeschwindigkeit betrachtet und folgende Fragestellungen beantwortet werden:

  1. 1.
    Welche durchschnittlichen Entwicklungszuwächse in der Umgebungssprache Deutsch zeigen sich zwischen dem Alter von drei und sechs Jahren bei mehrsprachigen Kindern in verschiedenen Sprachmaßen (rezeptiver und expressiver Wortschatz, Sätze nachsprechen, Erzählfähigkeit)?
  2. 2.
    Welche interindividuellen Unterschiede in der Entwicklungsgeschwindigkeit zeigen sich in den untersuchten Sprachmaßen?
  3. 3.
    Welcher Zusammenhang besteht für die untersuchten Sprachmaße zwischen der Ausgangsleistung und der Geschwindigkeit der weiteren Entwicklung?

Angenommen wird, dass die Leistungen in allen untersuchten Sprachmaßen im Durchschnitt über die Kitazeit hinweg ansteigen und dass Kinder mit geringeren Ausgangsleistungen ihre sprachlichen Fähigkeiten schneller weiterentwickeln als Kinder mit höheren Ausgangsleistungen, sodass sich initial bestehende Leistungsunterschiede zwischen Kindern reduzieren. Vor dem Hintergrund unterschiedlicher Erwerbsbedingungen wird davon ausgegangen, dass deutliche interindividuelle Unterschiede in der Entwicklungsgeschwindigkeit bestehen, wobei unklar ist, ob das Ausmaß dieser Unterschiede für verschiedene Sprachmaße variiert oder Entwicklungsverläufe jeweils im gleichen Maß heterogen ausfallen.

Methode

Die berichteten Daten stammen aus dem Forschungsprojekt IMKi (Effekte einer aktiven Integration von Mehrsprachigkeit in Kindertagesstätten, siehe Sawatzky et al., 2022), innerhalb dessen die Sprachentwicklung mehrsprachiger Kinder über die Kitazeit untersucht wird. Sprachleistungen in der Umgebungssprache Deutsch wurden zwischen 2015 und 2020 jährlich erhoben und die Spracherwerbsbedingungen anhand von Elternfragebögen erfasst. Als mehrsprachig gelten Kinder, die laut Elternangaben mindestens eine nichtdeutsche Sprache sprechen oder zu einem früheren Zeitpunkt gesprochen haben oder über Mitglieder der Kernfamilie (Eltern, Geschwister) regelmäßigen Input in mindestens einer nichtdeutschen Sprache erhalten.

Stichprobe

Insgesamt wurden Sprachdaten von 423 mehrsprachigen Kindern erhoben. In die vorliegende Auswertung werden Verläufe aus einer Teilstichprobe von 243 Kindern einbezogen, für die innerhalb des Projekts zu mindestens drei Messzeitpunkten (MZP) Sprachdaten vorliegen (drei MZP n = 198 (82 %), vier bis fünf MZP n = 45 (18 %)). Zum ersten MZP waren die Kinder im Durchschnitt 47 Monate alt (4.93, 36 – 61 Monate), zum jeweils letzten MZP lag das durchschnittliche Alter bei 73 Monaten (4.48, 59 – 88 Monate). Alle Kinder besuchen Kitas, in denen die pädagogischen Fachkräfte vorrangig Deutsch nutzen und der Anteil mehrsprachiger Kinder mindestens 50 % beträgt.

Bei 83 % der Kinder besteht Kontakt zu einer, bei 17 % Kontakt zu mehr als einer nichtdeutschen Sprache. Insgesamt sind mindestens 23 nichtdeutsche Herkunftssprachen vertreten, wobei für sechs Kinder aus den Elternangaben zwar Kontakt zu einer nichtdeutschen Herkunftssprache, nicht jedoch die genaue Sprache hervorgeht. Für insgesamt n = 208 Kinder liegen Angaben zum Geburtsland vor, wobei der überwiegende Anteil dieser Kinder (86 %, n = 178) in Deutschland geboren ist. Bei 90 % der Kinder wurde mindestens ein Elternteil nicht in Deutschland geboren. Angaben bzgl. des Kontaktbeginns zum Deutschen liegen für n = 210 Kinder vor. Für knapp die Hälfte dieser Kinder (47 %) begann der Kontakt zum Deutschen ab der Geburt, für 22 % im Alter von einem oder zwei Jahren, für 28 % ab dem Alter von drei Jahren und für 3 % ab dem Alter von vier Jahren. Auf Grundlage der n = 206 Datensätze zur Sprachnutzung der Kernfamilie hatte der überwiegende Teil der Kinder (91 %) zum ersten Messzeitpunkt, zu dem für das jeweilige Kind Daten vorliegen, innerhalb der Familie neben mindestens einer nichtdeutschen Herkunftssprache auch zu Deutsch Kontakt, wobei die Kontaktmenge zwischen den Kindern variiert (siehe Tabelle 1). Kinder, für die angegeben wurde, dass sie in der Familie ausschließlich mit Deutsch in Kontakt kommen (2 %), hatten gemäß der Angaben aus dem Elternfragebogen zu einem früheren Zeitpunkt Kontakt zu einer nichtdeutschen Sprache. Bei 72 % der Kinder sind beide Elternteile selbst nicht mit Deutsch als Herkunftssprache aufgewachsen (von 181 vorliegenden Angaben). Entsprechend nutzen auch Familien Deutsch als (eine) Familiensprache, in denen kein Elternteil selbst mit Deutsch als Herkunftssprache aufgewachsen ist.

Tabelle 1 Sprachverwendung der Kernfamilie (Eltern, Geschwister)

Verfahren

Die Sprachleistungen der Kinder wurden jährlich in der jeweiligen Kita erhoben. Erhebende waren geschulte Projektmitarbeitende, die eine supervidierte Probetestung absolviert hatten. Untersucht wurden der rezeptive und expressive Wortschatz, das Sätze-Nachsprechen und die Erzählfähigkeit. Alle Verfahren wurden gemäß der Vorgaben des jeweiligen Testmanuals durchgeführt. Die Erhebungen wurden aufgezeichnet und durch geschulte studentische Hilfskräfte ausgewertet. Für alle Kinder liegt eine schriftliche Einverständniserklärung vor, die innerhalb des Ethikvotums für die Studie abgestimmt wurde.

Rezeptiver Wortschatz

Der rezeptive Wortschatz wurde mit dem PPVT (Peabody Picture Vocabulary Test; Dunn & Dunn, 2007/2015) erfasst, innerhalb dessen aus vier Bildern gewählt werden muss, welches Bild ein genanntes Wort am besten repräsentiert. Die Testung erfolgt adaptiv mit einem altersangepassten Startpunkt. Abgebrochen wird sobald das Kind innerhalb eines Sets aus zwölf Items mindestens acht Fehler macht. Das Verfahren ist für Kinder zwischen 3;0 und 16;11 Jahren normiert. Für das Kitaalter verfügten 18,2 % der Normierungsstichprobe über einen Migrationshintergrund.

Expressiver Wortschatz

Der expressive Wortschatz wurde mit dem AWST-R (Aktiver Wortschatztest-Revision, Kiese-Himmel, 2005) erfasst. Hierbei müssen 75 Bilder mit Nomen und Verben benannt werden. Ein Abbruch erfolgte gemäß des Manuals, wenn keines der ersten zehn Items richtig benannt wurde. Die Testleistung wurde in diesem Fall mit null Punkten bewertet. Der Test ist für monolinguale Kinder im Alter zwischen 3;0 und 5;5 Jahren normiert.

Sätze nachsprechen

Das Sätze-Nachsprechen wurde anhand des Untertests „Sätze nachsprechen“ aus dem HASE (Heidelberger auditives Screening in der Einschulungsuntersuchung, S‍c‍h‍ö‍l‍e‍r & Brunner, 2008) erfasst. Nachgesprochen werden zehn grammatisch korrekte und semantisch sinnvolle Sätze mit steigender grammatischer Komplexität und Länge (zwei bis zehn Wörter). Bei Satzreproduktionsaufgaben dieser Art ist insbesondere bei längeren Sätzen ein passives Memorieren einzelner Wörter nicht ausreichend, um den jeweiligen Satz korrekt nachzusprechen. Stattdessen muss der Satz inhaltlich verarbeitet und die Satzstruktur unter Nutzung bereits erworbener grammatischer Strukturen rekonstruiert werden, sodass das gelingende Nachsprechen von Sätzen neben phonologischen Gedächtnisleistungen auch semantische und grammatische Fähigkeiten in der jeweiligen Testsprache erfordert (Marinis & Armon-Lotem, 2015). Das Verfahren wird daher innerhalb der vorliegenden Untersuchung als Indikator für bereits erworbene semantische und grammatische Fähigkeiten in der Umgebungssprache Deutsch eingesetzt. In der Originalauswertung wird die Anzahl der vollständig richtig nachgesprochenen Sätze bewertet. Diese Auswertungsform erschien für die Darstellung von Entwicklungsverläufen aufgrund einer unzureichenden Differenzierung von Nachsprechleistungen ungeeignet, da sowohl einzelne reproduzierte Wörter („Dusche Lied“) als auch Sätze mit nur einem morphologischen Fehler (*Unter die Dusche singt Lisa ein Lied) mit null Punkten bewertet werden. Um zwischen Leistungen eines Kindes zu verschiedenen Messzeitpunkten differenzieren zu können, wurde daher die Anzahl der korrekt nachgesprochenen Wörter (maximal 59) erfasst (siehe für ein ähnliches Auswertungsvorgehen Grimm, 2015).

Erzählfähigkeit

Das freie Erzählen zu einer Bildergeschichte wurde über die Geschichtenvorlage „Baby Birds“ aus dem für mehrsprachige Kinder entwickelten Verfahren MAIN (Multilingual Assessment Instrument for Narratives, Gagarina et al., 2012) erfasst. Bewertet wird, wie viele durch das Verfahren vordefinierte inhaltliche Kernelemente, u. a. die Handlungen der Protagonisten („die Katze fängt den Vogel“), in nachvollziehbarer Weise versprachlicht werden (max. 17). Eine Normierung des Verfahrens liegt aktuell nicht vor. Die Auswertung erfolgte anhand der revidierten Version des Verfahrens (Gagarina et al., 2019), wobei für die im Verfahren vordefinierten Elemente in der vorliegenden Untersuchung weitere als korrekt sowie inkorrekt bewertete Äußerungen aufgenommen und zusätzlich Auswertungskriterien, etwa hinsichtlich der Bewertung von Äußerungen mit fehlerhafter Referenz, formuliert wurden, um die Auswertungsobjektivität zu gewährleisten (siehe Lautenschläger et al., 2021).

Auswertungsvorgehen

Dargestellt werden zunächst die durchschnittlichen Sprachleistungen für den ersten sowie den letzten Messzeitpunkt. Für Verfahren mit Normwerten werden zudem T-Werte berichtet, wobei für den expressiven Wortschatz Kindern ab 5;6 Jahren Normwerte für die älteste Normierungsgruppe (5;0 – 5;5 Jahre) des eingesetzten Verfahrens zugeordnet werden. Für das Sätze-Nachsprechen werden zur Orientierung Normwerte für die Originalauswertung (Anzahl korrekt nachgesprochener Sätze) berichtet.

Entwicklungsverläufe sind anhand der Rohwerte des jeweiligen Testverfahrens abgebildet. Hierfür werden separate Mehrebenen-Regressionsanalysen für die einzelnen Sprachmaße berechnet. Die Modellschätzung wird anhand von R über das Paket lme4 (Bates et al., 2015) unter Nutzung der Optimierungsfunktion bobyqua (Powell, 2009) vorgenommen. Neben der Abbildung von Gesamttrends ermöglichen es Mehrebenenmodelle, Unterschiede zwischen einzelnen Kindern im durch das Modell geschätzten Ausgangsniveau (Achsenabschnitt) sowie im monatlichen Leistungszuwachs (Steigung) zu ermitteln. Sowohl das Ausgangsniveau (zentriert auf das Alter von 36 Monaten) als auch der Leistungszuwachs werden hierfür als sogenannte zufällige Effekte modelliert, d. h. als für die einzelnen Kinder um den allgemeinen Entwicklungstrend variierend angenommen (Random intercept – random slope Modell) und betrachtet, wie stark die für die einzelnen Kinder geschätzten Zuwächse (Steigungen) variieren. Da angenommen wird, dass die Steigungen einer Normalverteilung um den durchschnittlichen Zuwachs folgen, kann deren Standardabweichung als Maß für die interindividuellen Unterschiede in der Entwicklungsgeschwindigkeit herangezogen werden (Snjiders & Boskers, 2012). Des Weiteren wird über die Bestimmung der Korrelation der zufälligen Effekte, d. h. zwischen Achsenabschnitt und Steigung, ermittelt, inwiefern der Leistungszuwachs mit dem jeweiligen Ausgangsniveau zusammenhängt.

Ergebnisse

Die durchschnittlichen Leistungen liegen in allen Sprachmaßen am Ende der Kitazeit (letzter MZP) höher als zu Beginn der Kitazeit (erster MZP). Anhand der Standardabweichungen (SD) sowie der Spannweiten (Spw.) zeigt sich jedoch eine deutliche Streuung um die mittlere Leistung (Tabelle 2).

Tabelle 2 Sprachleistungen in Rohwerten

Die mittleren T-Werte liegen sowohl zu Beginn als auch zu Ende der Kitazeit unterhalb des Normbereichs monolingualer Kinder (expressiver Wortschatz, Sätze nachsprechen) bzw. vorwiegend monolingualer Kinder (rezeptiver Wortschatz) (Tabelle 3). Für den expressiven Wortschatz fallen die Unterschiede zu monolingualen Kindern am deutlichsten aus. Obwohl hier bei 97 % der Kinder zum letzten Messzeitpunkt Normdaten jüngerer Kinder als Vergleichsmaßstab genutzt wurden, liegen die Leistungen mehr als zwei Standardabweichungen unterhalb des Mittelwerts monolingualer Kinder.

Tabelle 3 Sprachleistungen in T-Werten

Um eine Schätzung der Unterschiedlichkeit in den Entwicklungsgeschwindigkeiten für einzelne Sprachmaße vornehmen zu können, werden für alle Sprachmaße Mehre‍benenmodelle herangezogen, in denen die geschätzten Zuwächse (slopes) als zwischen den Kindern variierend angenommen werden (Random intercept – random slope Modell). Bei der Prüfung der Modellgüte anhand verschiedener Modellgüteindizes (Tabelle 4) ergibt sich für den rezeptiven Wortschatz für drei von fünf Indizes eine bessere Passung des Modells mit einem random slope-Term verglichen mit einem Modell ohne random slope-Term. Für den expressiven Wortschatz, das Nachsprechen von Sätzen und die Erzählfähigkeit zeigen alle fünf Indizes eine bessere Passung des Modells mit einem random slope-Term verglichen mit einem Modell ohne random slope-Term. Leistungszuwäche sind sich damit im rezeptiven Wortschatz ähnlicher als in den anderen betrachteten Sprachleistungen, da die Modellgüteindizes für die anderen Sprachmaße die Wahl eines Modells mit zwischen Kindern variierenden Steigungen, d. h. unterschiedlichen Leistungszuwächsen, eher nahelegen als für den rezeptiven Wortschatz.

Tabelle 4 Modellfit Indizes

In Tabelle 5 sind die durch das Mehrebenenmodell geschätzte mittlere Ausgangsleistung der Kinder im Alter von 36 Monaten (Achsenabschnitt) sowie der durchschnittliche Leistungszuwachs pro zusätzlichem Lebensmonat (Steigung) angegeben. Für den expressiven Wortschatz und die Erzählfähigkeit weist das jeweils geschätzte Ausgangsniveau auf sehr geringe mittlere Ausgangsleistungen der Kinder hin. Hinsichtlich der Entwicklungsgeschwindigkeit ergeben sich für alle Sprachleistungen positive (feste) Regressionsgewichte und somit mit zunehmendem Alter steigende Leistungen. Die Standardabweichungen geben die zufälligen Effekte an, d. h. das Ausmaß der Streuung im Ausgangsniveau und der Entwicklungsgeschwindigkeit. Beachtet werden muss, dass ein direkter Vergleich zwischen der Höhe der Anstiege für einzelne Sprachmaße aufgrund von Unterschieden in den einzelnen Verfahren (z. B. Itemzahl) nicht möglich ist.

Tabelle 5 Ausgangsniveau und monatlicher Leistungszuwachs (in Rohwertpunkten)

In Abbildung 1 sind die individuellen Verläufe aller Kinder dargestellt und die über das Mehrebenenmodell ermittelte Regressionsgerade abgetragen. Hierbei zeigt sich für alle Sprachleistungen eine große Streubreite der Verläufe um den mittleren Entwicklungstrend. Auffällig ist, dass für die Erzählfähigkeit der insgesamt ansteigende lineare Gesamttrend die tatsächlichen Verläufe der Kinder nur unzureichend zu repräsentieren scheint. Weiterführende Betrachtungen zeigen, dass hier in insgesamt 31 % der Fälle Leistungen zwischen zwei Messzeitpunkten absinken oder stagnieren. Für andere Sprachmaße liegt dieser Anteil zwischen 6 % (rezeptiver Wortschatz) und 12 % (Sätze nachsprechen). Für die Erzählfähigkeit wird daher auf eine Betrachtung interindividueller Unterschiede im Leistungszuwachs verzichtet, jedoch werden mögliche Hintergründe für den hohen Anteil absinkender und stagnierender Leistungen in der Diskussion aufgegriffen.

Abbildung 1 Entwicklungsverläufe und durchschnittliche Entwicklungsgeschwindigkeit.
Tabelle 6 Entwicklungsgeschwindigkeit pro Monat (in Rohwertpunkten)

Bezüglich der Quantifizierung interindividueller Unterschiede für die drei anderen untersuchten Sprachmaße zeigt sich anhand der Standardabweichungen der zufälligen Effekte (Tabelle 5), dass der monatliche Leistungszuwachs deutlich zwischen einzelnen Kindern variiert. Aus Tabelle 6 lässt sich ablesen, wie weit der monatliche Leistungszuwachs im Bereich von zwei Standardabweichungen um die durchschnittliche Entwicklungsrate schwankt. Hierbei zeigt sich, dass sich einzelne Sprachmaße dahingehend unterscheiden, in welchem Ausmaß Verläufe mit sehr langsamem und sehr schnellem Zuwachs (jeweils zwei Standardabweichungen über bzw. unter der durchschnittlichen Entwicklungsrate) differieren. Für den rezeptiven Wortschatz unterscheiden sich langsame und schnelle Entwicklungsverläufe um weniger als das Doppelte (Entwicklungsrate von 2.54 Wörtern pro Monat für Kinder mit vergleichsweise schneller Entwicklung gegenüber einer Entwicklungsrate von 1.42 Wörtern pro Monat für Kinder mit vergleichsweise langsamer Entwicklung), für die Anzahl korrekt nachgesprochener Wörter beim Sätze nachsprechen um das knapp Dreifache. Die deutlichsten interindividuellen Unterschiede im monatlichen Leistungszuwachs zeigen sich für den expressiven Wortschatz und betragen hier mehr als das Dreifache (1.14 gegenüber 0.34 Wörter pro Monat). Rechnet man diese Unterschiede auf den Verlauf eines dreijährigen Kitabesuchs (36 Monate) hoch, unterscheidet sich der Leistungszuwachs zwischen Kindern mit sehr schneller und sehr langsamer Entwicklungsgeschwindigkeit um 40 korrekt verstandene Wörter im rezeptiven Wortschatztest (1.42 x 36 = 51; 2.54 x 36 = 91; 91 – 51 = 40), um 29 korrekt benannte Wörter im expressiven Wortschatztest und um 26 nachgesprochene Wörter beim Sätze nachsprechen.

Anhand der Korrelationen zwischen dem geschätzten Ausgangsniveau und dem monatlichen Leistungszuwachs zeigt sich zudem, dass zwischen verschiedenen Sprachleistungen Unterschiede dahingehend bestehen, in welchem Zusammenhang das Ausgangsniveau zur weiteren Leistungsentwicklung steht. Negative Korrelationen für den rezeptiven Wortschatz (r = -.38) und das Nachsprechen von Sätzen (r = -.72) weisen darauf hin, dass Kinder mit niedrigerem Ausgangsniveau eine schnellere Entwicklungsgeschwindigkeit aufweisen als Kinder mit höherem Ausgangsniveau, wobei dieser Effekt für das Nachsprechen von Sätzen ausgeprägter ausfällt. Für den expressiven Wortschatz lässt sich dagegen ein hoher positiver Zusammenhang (r = .57) erkennen. Kinder mit niedrigeren Ausgangsleistungen zeigen hier einen langsameren Entwicklungszuwachs als Kinder mit bereits initial höheren Leistungen.

Diskussion

Untersucht wurden Sprachentwicklungsverläufe in der Umgebungssprache Deutsch bei 243 mehrsprachigen Vorschulkindern. Anhand längsschnittlicher Daten wurde die Entwicklung des rezeptiven und expressiven Wortschatzes, des Sätze nachsprechens und der Erzählfähigkeit über den Verlauf des Kitaalters betrachtet.

Entsprechend der Ergebnisse bisheriger Untersuchungen (z. B. Ebert et al., 2013; Ribot & Hoff, 2017) steigen die durchschnittlichen Sprachleistungen über die Kitazeit hinweg an. Allerdings zeigen sich für alle untersuchten Sprachmaße deutliche interindividuelle Unterschiede in der Entwicklungsgeschwindigkeit. Trotz des Leistungsanstiegs liegen die Sprachleistungen im Durchschnitt am Ende der Kitazeit noch deutlich unterhalb des Normbereichs der überwiegend an monolingualen Kindern normierten Testverfahren, was auch in anderen Untersuchungen berichtet wird (z. B. Ronniger et al., 2019). Diese Ergebnisse spiegeln allerdings nicht unbedingt das Potenzial mehrsprachiger Vorschulkinder wider, vergleichbare Leistungen wie monolinguale Kinder zu zeigen bzw. ihre Sprachleistungen in der Umgebungssprache über die Kitazeit den Leistungen einsprachiger Kinder anzunähern. Zum einen bestehen große interindividuelle Unterschiede in den Spracherwerbsbedingungen mehrsprachig aufwachsender Kinder (Schneller et al., 2022). Zum anderen müssen bei der Interpretation der sehr geringen Sprachleistungen der hier untersuchten Stichprobe auch mögliche Einflüsse ungünstiger Umweltfaktoren berücksichtigt werden. Bei den meisten der untersuchten Kinder wird innerhalb der Familie neben mindestens einer nichtdeutschen Herkunftssprache auch Deutsch als Familiensprache genutzt, jedoch sind nur wenige Eltern selbst mit Deutsch als Herkunftssprache aufgewachsen. Forschungsergebnisse weisen diesbezüglich darauf hin, dass sich sprachlicher Input durch Personen, die selbst nicht mit der jeweiligen Sprache aufgewachsen sind, häufig nicht positiv auf die Entwicklung dieser Sprache auswirkt (Hoff & Ribot, 2017). Darüber hinaus besuchen alle einbezogenen Kinder Kitas, in denen ein überwiegender Teil der Kinder mehrsprachig aufwächst, sodass Interaktionen in der Umgebungssprache reduziert sein könnten (Kuger & Kluszniok, 2008).

Die untersuchte Stichprobe stellt eine nicht vorselektierte Gruppe migrationsbedingt mehrsprachig aufwachsender Kinder aus zwei mittelgroßen Industriestädten dar und dürfte entsprechend typische Spracherwerbsbedingungen für mehrsprachige Kinder in Deutschland repräsentieren. Nachfolgend soll daher untersucht werden, inwiefern sich Umweltfaktoren wie der Sprachgebrauch der Bezugspersonen oder Merkmale der Kita auf die Geschwindigkeit des Spracherwerbs und den Sprachentwicklungsstand am Ende der Kitazeit auswirken. Insgesamt weisen die überdauernden Unterschiede zu monolingualen Kindern jedoch darauf hin, dass ein wesentlicher Teil der mehrsprachigen Kinder für den Aufbau von Sprachleistungen in der Umgebungs- und späteren Schulsprache Deutsch eine intensive Förderung über die gesamte Kitazeit sowie auch noch nach Schuleintritt benötigt.

Die vorliegenden Ergebnisse weisen dabei darauf hin, dass bei der Ermittlung von Einflussfaktoren auf den mehrsprachigen Spracherwerb und für die Planung von Fördermaßnahmen Unterschiede zwischen einzelnen sprachlichen Teilleistungen beachtet werden müssen. Die ermittelten Unterschiede betreffen sowohl das Ausmaß der Heterogenität in der Entwicklungsgeschwindigkeit als auch den Abstand zu mittleren Leistungen monolingualer Kinder. Hierbei zeigt sich, dass interindividuelle Unterschiede in der Entwicklungsgeschwindigkeit sowie Unterschiede zu den Leistungen monolingualer Kinder für den expressiven Wortschatz am deutlichsten ausfallen. Zudem scheinen sich im expressiven Wortschatz zu Kitabeginn bestehende Leistungsunterschiede zwischen Kindern mit geringeren und höheren Ausgangsleistungen über den Verlauf der Kitazeit eher zu vergrößern, während für den rezeptiven Wortschatz und das Nachsprechen von Sätzen Kinder mit geringeren Ausgangsleistungen eher zu den Leistungen von Kindern mit höheren Ausgangsleistungen aufholen könnten.

Diese Unterschiede zwischen sprachlichen Teilleistungen könnten darauf hindeuten, dass sich Unterschiede in den Spracherwerbsbedingungen (z. B. Kontaktmenge) auf den expressiven Wortschatz stärker auswirken als auf den rezeptiven Wortschatz oder das Sätze-Nachsprechen (siehe hierzu auch Thodardottir, 2011), möglicherweise, da für die selbstständige Produktion eines Wortes eine stärker ausdifferenzierte Repräsentation von Wortbedeutung und Wortform und somit vermutlich mehr Sprachkontakt erforderlich ist als für das Verstehen eines Wortes. Allerdings könnten die erfassten Unterschiede zwischen sprachlichen Teilleistungen auch auf Eigenschaften der eingesetzten Verfahren zurückführbar sein, sodass etwa Unterschiede in der Komplexität des jeweils abgeprüften Wortschatzes zu den erfassten Unterschieden zwischen rezeptivem und expressivem Wortschatz geführt haben könnten.

Für die Erzählfähigkeit ergeben sich im Gegensatz zu den anderen Sprachmaßen Hinweise darauf, dass der ermittelte Gesamttrend linear ansteigender Leistungen die tatsächlich erfassten Leistungsveränderungen der Kinder nicht ausreichend gut repräsentieren könnte. Gründe hierfür könnten neben einer tatsächlich nicht linear erfolgenden Entwicklung ebenfalls in potenziellen Testeffekten liegen. Die untersuchten Kinder erzielen innerhalb des eingesetzten Verfahrens eine geringe mittlere Gesamtpunktzahl und der durchschnittliche Entwicklungszuwachs über die Kitazeit beträgt lediglich drei Rohwertpunkte. Dies erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass zwischen einzelnen Messzeitpunkten stagnierende bzw. vermeintlich absinkende Leistungen abgebildet werden, während dies bei Verfahren mit höheren mittleren Leistungen und entsprechend höheren mittleren Leistungsanstiegen weniger wahrscheinlich ist. Die Mittelwerte der untersuchten Stichprobe entsprechen dabei den Ergebnissen aus bisherigen querschnittlichen Untersuchungen, innerhalb derer die Erzählfähigkeit mehrsprachiger Kinder gleichen Alters mit dem hier eingesetzten Untersuchungsverfahren erfasst wurden (z. B. Gagarina, 2016; Bohnacker, 2016), sodass reine Stichprobeneffekte unwahrscheinlich sind.

Eine Limitation der vorliegenden Untersuchung liegt darin, dass die Ergebnisse keine Aussagen dazu ermöglichen, inwiefern sich die Entwicklungsgeschwindigkeit sowie das Ausmaß der Heterogenität in der Entwicklungsgeschwindigkeit zwischen ein- und mehrsprachigen Kindern unterscheiden. Daten, die den Entwicklungsverlauf bzw. Unterschiede in der Entwicklungsgeschwindigkeit bei monolingualen Kindern im Kitaalter für die hier untersuchten Sprachmaße in vergleichbarer Weise beschreiben, liegen aktuell nicht vor. Zudem wurde an dieser Stelle noch nicht untersucht, inwiefern Unterschiede in den Spracherwerbsbedingungen der Kinder, z. B. in der Menge des Sprachkontakts, die erfassten interindividuellen Unterschiede in der Entwicklungsgeschwindigkeit erklären. Auch wurde nicht betrachtet, inwiefern sich Entwicklungsunterschiede in Abhängigkeit vom Alter zum ersten Messzeitpunkt zeigen, d. h., ob die Entwicklung bei dreijährigen Kindern anders erfolgt, als bei Kindern, die bei der ersten Sprachstandserhebung bereits vier Jahre alt waren. Entsprechend sind weiterführend Auswertungen zu Prädiktoren geplant, wobei unter Berücksichtigung der hier dargestellten Ergebnisse angenommen wird, dass sich die Bedeutung einzelner Faktoren für unterschiedliche sprachliche Teilleistungen unterscheidet und mögliche Prädiktoren somit für einzelne Sprachmaße separat betrachtet werden sollten.

Zusammenfassend zeigen sich in der Umgebungssprache Deutsch bei mehrsprachigen Kindern über die Kitazeit Entwicklungszuwächse in allen untersuchten Sprachmaßen. Jedoch bestehen auch zu Ende der Kitazeit deutliche Leistungsunterschiede zu monolingualen Kindern, sodass eine intensive Sprachförderung über die Kitazeit erforderlich ist und gleichzeitig bei Schuleintritt fortbestehende Leistungsunterschiede zu monolingualen Kindern berücksichtigt werden müssen. Allerdings entwickeln mehrsprachige Kinder ihre Sprachfähigkeiten in der Umgebungssprache sehr unterschiedlich schnell weiter. Während diese heterogenen Entwicklungsgeschwindigkeiten in der Entwicklung des rezeptiven Wortschatzes und des Nachsprechens von Sätzen eher dazu zu führen scheinen, dass sich zu Kitaeintritt bestehende Leistungsunterschiede zwischen einzelnen mehrsprachigen Kindern verringern, scheinen sich Leistungsunterschiede im expressiven Wortschatz über die Kitazeit eher zu vergrößern. Mehrsprachige Kinder, die bei Kitaeintritt über vergleichsweise geringe Sprachfähigkeiten in der Umgebungssprache verfügen, benötigen somit insbesondere beim Auf- und Ausbau eines differenzierten expressiven Wortschatzes über die Kitazeit intensive Unterstützung. Die ermittelten Unterschiede zwischen einzelnen sprachlichen Teilleistungen legen zudem nahe, dass bei der Darstellung von Sprachentwicklungsverläufen und der Untersuchung von Einflussfaktoren auf den Spracherwerb mehrsprachiger Kinder unterschiedliche Sprachleistungen getrennt voneinander betrachtet werden sollten.

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