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Published Online:https://doi.org/10.1026/1616-3443/a000448

Angst- und assoziierte Störungen gehören zu den häufigsten psychischen Störungen (Baxter, Scott, Vos & Whiteford, 2013). Ohne eine adäquate Behandlung verlaufen sie in den meisten Fällen chronisch und sind mit einem steigenden Leidensdruck verbunden (Wittchen et al., 2011). Eine effiziente Behandlung bildet daher einen zentralen Schwerpunkt in der psychotherapeutischen Arbeit. Hierbei kommt expositionsbasierten Methoden eine zentrale Rolle zu. Exposition beinhalten allgemein die gezielte Konfrontation mit einem angstauslösenden Reiz oder einer angstauslösenden Situation in der Abwesenheit realer Gefahr, bei der durch ein regelgeleitetes Vorgehen neue Lernerfahrungen ermöglicht werden sollen, um einen neuen Umgang mit der Angst zu ermöglichen. Dabei stellt Expositionstherapie ein umfassendes, hoch strukturiertes Protokoll dar, das aus den Komponenten funktionale Diagnostik, Psychoedukation und den eigentlichen Expositionsübungen besteht (Neudeck & Wittchen, 2012). Während der Expositionsübung findet die Konfrontation mit realen, äußeren Reizen oder Situationen (in vivo), in der Vorstellung oder mit Erinnerungen (in sensu) oder mit eigenen Körperempfindungen wie dem eigenen Herzschlag (interozeptiv) statt.

Durch die Forschung der letzten Jahrzehnte ist die Wirksamkeit expositionsbasierten Methoden vielfach nachgewiesen. Dies gilt sowohl für Exposition im Rahmen eines umfassenden kognitiv-behavioralen Behandlungskonzepts (z. B. Hofmann & Smits, 2008; Watts, Turnell, Kladnitski, Newby & Andrews, 2015) als auch für Exposition allein (Bakker, van Balkom, Spinhoven & Blaauw, 1998). Eine hohe Wirksamkeit konnte nicht nur in klinisch-kontrollierten Studien, sondern auch in naturalistischen Studien und der Routineversorgung belegt werden (Hoyer et al., 2017; Stewart & Chambless, 2009). Darüber hinaus zeigte sich eine expositionsbasierte Verhaltenstherapie nicht nur im Vergleich zu Nicht-Behandlung als effektiver, sondern auch verglichen mit anderen Therapieformen wie der psychodynamischen Psychotherapie (Tolin, 2010). Als Folge dieser umfangreichen Wirksamkeitsnachweise werden expositionsbasierte Methoden als Methode der ersten Wahl zur Behandlung von Angststörungen aufgeführt (z. B. Bandelow, Lichte, Rudolf, Wiltink & Beutel, 2014). Exposition ist somit ein zentrales Kapitel der Erfolgsgeschichte der verhaltenstherapeutischen Psychotherapie.

Gerade durch die fortschreitende klinische Forschung und psychotherapeutischen Erfahrungen haben sich in den letzten Jahren jedoch diverse unbeantwortete Fragen und Ansätze zur Verbesserung und Optimierung von expositionsbasierten Behandlungen offenbart (siehe auch Richter, Pittig, Hollandt & Lueken, 2017). Beispielsweise basieren die hohe Effektstärken ausschließlich auf Gruppenvergleichen, auf Einzelfallebene wird jedoch ersichtlich, dass nicht alle Behandelten im vollen Ausmaß profitieren (z. B. Loerinc et al., 2015). Bedarf es also gezielter Anpassungen oder Ergänzungen, um besser auf den Einzelfall eingehen zu können? Wie könnte dies in einem Behandlungsansatz aussehen, der nicht nach einzelnen Störungskategorien differenziert, sondern störungsübergreifend auf zugrundeliegenden pathologische Prozesse von Angststörungen und den neuesten Ergebnissen zur Wirksamkeitsmechanismen der Exposition wie dem Extinktionslernen fokussiert (z. B. Craske et al., 2008; Pittig et al., 2015). Trotz der hohen Wirksamkeit expositionsbasierter Methoden, wird Exposition in der psychotherapeutischen Routinepraxis nur selten eingesetzt (z. B. Neudeck & Einsle, 2010; Roth, Siegl, Aufdermauer & Reinecker, 2004). Welche Barrieren stehen einer Verbreitung entgegen? Könnten neue Technologien wie die virtuelle Realität den Zugang zur Exposition erleichtern und hierbei wirksam Abhilfe schaffen? Lässt sich das Prinzip der Exposition auch jenseits der Angststörungen, zum Beispiel bei Störungen der Emotionsregulation, nutzen? Durch die vier Schwerpunktbeiträge dieses Themenheft sollen einige dieser aufgeworfenen Fragen und Optimierungsansätze aufgegriffen werden.

Der Beitrag von Pittig und Hoyer beschäftigt sich mit der Anwendung und potentiellen Barrieren von expositionsbasierten Methoden in der ambulant niedergelassenen Verhaltenstherapie (Pittig & Hoyer, 2017). In der Befragung von fast 700 niedergelassenen Verhaltenstherapeut_innen zeigt sich, dass trotz hoher Wirksamkeit und der Empfehlung durch entsprechende Leitlinien Exposition nicht umfassend eingesetzt wird. Darüber hinaus liefert der Beitrag erste Einblick in die Barrieren, die die Behandelnden im Gesundheitssystem sehen. Unklare rechtliche Aspekte sowie die als unvorteilhaft empfundene Aufwand-Vergütungs-Balance im Vergleich zu anderen Interventionsmethoden geben hierbei wichtige Anhaltspunkte zur Verbesserung des Transfers expositionsbasierter Methoden in die Routineversorgung.

Eine Möglichkeit, den Einsatz von Expositionen durch eine schnelle und einfache Verfügbarkeit in der Versorgungspraxis zu erhöhen, könnte die Exposition in virtueller Realität (VR) darstellen. Im Bereich der Spezifischen Phobien und der komplexeren Phobien liegen Wirksamkeitsnachweise schon vor. Der Beitrag von Reichenberger, Diemer, Zwanzger, Notzon und Mühlberger stellt die Validierung von VR Szenarien eines Sozialen Kompetenztrainings vor (Reichenberger, Diemer, Zwanzger, Notzon & Mühlberger, 2017). Die Probanden erlebten die virtuellen Interaktionszenarien und Rollenspiele als realistisch und zeigten signifikante physiologische Angstreaktionen. Ein Training sozialer Kompetenz in VR könnte daher eine alternative Möglichkeit zu Methoden in vivo darstellen, zumal es den Vorteil bietet, dass die Interaktionssituationen standardisiert und der Schwierigkeitsgrad individuell angepasst werden kann.

Die Überblicksarbeit von Dyer stellt ein hoch-strukturiertes Therapieprogramm für die Posttraumatische Belastungsstörung vor, dass den Einsatz expositionsbasierter Methoden bei Patient_innen mit schwerwiegenden Störungen der Emotionsregulation, die für die Borderline-Persönlichkeitsstörung charakteristisch sind, erleichtern soll (Dyer, 2017). In dem der Dialektisch-Behavioralen-Therapie (DBT) entlehnten Therapieprogramm werden Expositionsübungen gezielt mit Skills zur Emotionsregulation integriert, um eine Balance zwischen Gegenwartsbezug und Exposition mit traumatischen Ereignissen zu ermöglichen. Erste Befunde aus der stationären Behandlung zeigen vielversprechende Ergebnisse, während die Übertragung ins ambulante Setting aktuell erforscht wird. Nicht zuletzt liefert die Kernaussage der Übersichtsarbeit ein wichtiges Argument im Hinblick auf Vorbehalte gegen den Einsatz von Exposition: Auch bei komplexen Fällen mit chronischen Suizidgedanken und Selbstverletzung kann Exposition erfolgreich und sicher eingesetzt werden.

Im letzten Jahrzehnt stieg das Interesse an störungsübergreifenden expositionsbasierten Behandlungskonzepten. So entwickelte das Team um David Barlow, das Unified Protocol for Transdiagnostic Treatment of Emotional Disorders, das erfolgreich bei der Behandlung von Angsstörungen und komorbiden depressiven Erkrankungen eingesetzt wird. In ihrem Übersichtsartikel fassen Neudeck, im Brahm und Hamm Therapiestudien zu transdiagnostischen Behandlungsansätzen der letzten 15 Jahre zusammen (Neudeck, im Brahm & Hamm, 2017). Die Autoren folgern, dass transdiagnostische Behandlungskonzepte gerade in der Praxis eine geeignete Ergänzung störungsspezifischer Behandlungen von Angststörungen und komorbiden Störungen darstellen. Angelehnt an das Vorgehen und die Behandlungskomponenten störungsübergreifender expositionsbasierter Therapiekonzepte, stellen die Autoren erste Überlegungen zu den Erfordernissen eines solchen Behandlungsmanuals für den deutschsprachigen Raum an.

Unser Themenschwerpunkt zeigt damit vielfältige Perspektiven dafür auf, wie die erwähnte Erfolgsgeschichte expositionsbasierter Behandlungen fortgeschrieben werden könnte.

Literatur

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Dr. Andre Pittig, Dr. Peter Neudeck, E-Mail , E-Mail