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Open AccessForum – Diskussionsbeitrag

Supervision in der Neuropsychologie

Published Online:https://doi.org/10.1024/1016-264X/a000352

Abstract

Zusammenfassung: Was ist neuropsychologische Supervision? Häufig steht das Verständnis des Befundes im Zentrum: So z. B. die Frage, wie hängen unterschiedliche kognitive Funktionsbeeinträchtigungen und -ressourcen zusammen und wie sind sie ätiologisch bzw. funktionell-neuroanatomisch einzuordnen? Weitere Aufgabe der Supervision ist es, die Entwicklung einer reflektierten therapeutischen Persönlichkeit zu unterstützen. Dabei ist der/die Supervisor_in stets auch Lehrer_in, er/sie fördert die Qualitätssicherung bei der Erbringung heilkundlicher Aufgaben und ermöglicht die Reflektion persönlicher Anteile. Bisher sind die meisten Supervisor_innen in der Neuropsychologie autodidaktisch tätig, da es bislang kaum definierte Methoden gibt. Der Artikel versteht sich als Einladung, im Rahmen der Reform der Weiterbildung auch die Charakteristika, Methoden und Inhalte der Supervision in der Klinischen Neuropsychologie weiterzuentwickeln.

Supervision in Clinical Neuropsychology

Abstract: How does supervision in clinical neuropsychology function as a complement to supervision in other psychotherapeutic fields? Supervision in neuropsychology often focuses on understanding the neuropsychological findings: How are different cognitive impairments and resources related to each other and how are they best classified based on etiology and functional neuroanatomy? On this basis, therapeutic goals and methods are selected and applied. In addition, this means considering the institutional framework conditions as well as personal relationships. The therapeutic procedure is examined and, if necessary, adapted. Supervision may help to understand the extent to which barriers in the therapeutic process are indicators of barriers in the therapeutic relationship or the personality of the therapist. The goal of supervision therefore, is to support the development of a reflected therapeutic personality. By doing so, the supervisor is also a teacher who promotes the quality assurance of the therapeutic process and enables reflection on personal strengths and weaknesses as well as personal attitudes. The paper concludes that most supervisors in neuropsychology are currently self-taught, as there are hardly any defined methods or curricula, neither in Germany nor internationally. In the context of the reform of advanced training in clinical neuropsychology in Germany, the paper serves to initiate a discussion not only concerning the content of the advanced training itself, but also concerning the characteristics, methods, and content of supervision in clinical neuropsychology.

Einleitung – Begrifflichkeit

Es gibt eine umfangreiche Literatur zum Thema Supervision im psychotherapeutischen Kontext, sowohl international als auch im deutschsprachigen Raum (z. B. Hamburger & Mertens, 2017; Mertens & Hamburger, 2016; Möller et al., 2017). Im Gegensatz dazu sucht man Beiträge, die sich spezifisch mit neuropsychologischer Supervision oder Supervision in der Neuropsychologie befassen, fast vergebens. Das Thema scheint seit der Arbeit von König (2003), mit dem schönen Untertitel „Beginn einer Diskussion“, nicht weiterverfolgt worden zu sein. Zumindest finden sich im deutschsprachigen Raum bis auf ein Internetdokument ohne Datum von Schreyögg (o. J.) keine Publikationen zu diesem Thema. Die Schlussfolgerung von König, „eine theoretische Diskussion über Supervision in der Neuropsychologie findet bis dato so gut wie nicht statt und sollte so schnell wie möglich initiiert werden“ (S. 39), gilt daher 18 Jahre nach der Veröffentlichung weiterhin. Zwar ist die Supervision mit 100 Stunden für die Erlangung des Zertifikates der Gesellschaft für Neuropsychologie e. V. (GNP) und entsprechender Stundenanzahl in den verschiedenen Weiterbildungsordnungen der Psychotherapeutenkammern zentraler Bestandteil der Weiterbildung, die inhaltliche Gestaltung und eine mögliche Differenzierung gegenüber der sonst in der Psychotherapie üblichen Supervision ist jedoch offen. Als Supervisor_in kann sich zertifizieren lassen, wer über ausreichend Berufserfahrung nach Approbation verfügt (Kriterien der GNP: mindestens 5 Jahre klinisch-neuropsychologische Berufstätigkeit nach Abschluss der Weiterbildung sowie mindestens 3-jährige Tätigkeit in der neuropsychologischen Lehre) und sich regelmäßig weiterbildet (mindestens 100 Fortbildungsstunden in den 5 Jahren vor Antragstellung). Der Inhalt dieser Weiterbildung ist jedoch offen. Immerhin fordert die GNP für eine Rezertifizierung nach 7 Jahren 140 Stunden Weiterbildung nachzuweisen, von denen sich 32 Stunden auf supervisionsspezifische Inhalte beziehen (Gesellschaft für Neuropsychologie, 2017).

Die Etablierung neuer Standards im Rahmen der Reform der Aus- und Fortbildung Fachpsychotherapeut_in, Gebietsweiterbildung neuropsychologische Psychotherapie, bietet eine Chance, Inhalt und Qualität der neuropsychologischen Supervision zu verbessern. Dieses Papier will hierzu einen Beitrag leisten.

Von der Supervision abzugrenzen ist die Rolle der oder des Weiterbildungsermächtigten, häufig gleichzeitig die dem oder der Weiterbildungskandidat_in vorgesetzte Abteilungsleitung. Dieser obliegt die konkrete Anleitung im klinischen Alltag, z. B. in der Auswahl und Durchführung der neuropsychologischen Untersuchungen und der Interpretation der Ergebnisse, der Formulierung der Therapieziele, der Auswahl entsprechender Therapiemethoden, deren Umsetzung und Evaluation sowie die Berichterstellung. Um diese alltägliche Anleitung gewähren zu können, ist sie oder er idealerweise vor Ort bzw. für Fragen jederzeit erreichbar. In der Supervision findet hingegen die Reflektion des therapeutischen Handelns und der eigenen Rolle als Therapeut_in statt. Näheres dazu folgt im nächsten Abschnitt. Zuvor sei noch auf eine wichtige Abgrenzung hingewiesen: Häufig ist der oder die Weiterbildungsermächtigte gleichzeitig Vorgesetzte_r der Weiterbildungskandidat_innen. Nicht selten übernimmt diese Person in Personalunion auch die Supervision. In der Rolle der Leitung kann die Fallsupervision als Führungsinstrument genutzt werden, um Mitarbeitende in das angestrebte Arbeitskonzept zu integrieren und entsprechende Qualitätskriterien zu etablieren (Schreyögg, o. J.). So kann z. B. eine gemeinsame Besprechung von Befunden im Team einerseits als Rückmeldung zur Fortbildung und inhaltlichen Supervision genutzt werden, gleichzeitig aber auch dazu, das Vorgehen im Team zu harmonisieren und zu homogenisieren. Dabei muss allerdings betont werden, dass Vorgesetzte in der Rolle als Supervisor_in keine „Psychotherapie-orientierte Beratung im Sinne biografischer Defizitbearbeitung auf Seiten der Mitarbeiter“ durchführen sollten. Schreyögg (o. J.) spricht hier von einer „Abstinenz von vorgesetzten Supervisoren“ gegenüber den unbewussten Anteilen der Mitarbeitenden. Sehr deutlich bezeichnet sie einen „Zwang zur Selbsteröffnung von Mitarbeitern gegenüber Vorgesetzten“ als „Unding“. Gleiches gilt, wenn im (multiprofessisonellen) Klinikteam Fallsupervision von einer externen Supervisionsperson vorgenommen wird. Auch hier empfiehlt Schreyögg (o. J.) den Verzicht auf biografische Vertiefung, um unangemessene Beschämung oder Konfrontation mit Kolleg_innen zu vermeiden. Ist die Supervisionsperson also gleichzeitig Weiterbildungsermächtigte und Vorgesetzte, so ist zu empfehlen, eine weitere Person für die Reflektion der eigenen personbezogenen Anteile (s. u.) hinzuzuziehen.

Was aber genau verstehen wir unter Supervision?

„Supervision dient der kontinuierlichen Qualitätssicherung und -verbesserung der neuropsychologischen Behandlungskompetenzen wie dem Aufbau und dem Erhalt einer fachlich und persönlich gefestigten Therapeutenpersönlichkeit. In der Weiterbildung zum/r Klinischen Neuropsychologen/Klinischen Neuropsychologin GNP ist sie elementarer und unverzichtbarer Bestandteil der klinisch-praktischen Tätigkeit.

In der Supervision werden das berufliche Handeln für Patienten mit hirnorganisch bedingten psychischen Störungen unter Berücksichtigung der neuropsychologischen Fachkenntnisse, der professionellen Beziehungen und des formalen bzw. strukturellen Handlungsrahmens reflektiert, Konflikte bzw. fehlende Handlungsalternativen identifiziert und geeignete Lösungsansätze erarbeitet.

Der/die Supervisor_in leitet diesen Reflektionsprozess vor dem Hintergrund eigener umfangreicher neuropsychologischer Fachkenntnisse und Behandlungserfahrungen sowie supervisionsspezifischer Methodenkompetenzen.“ (https://www.gnp.de/aus-und-weiterbildung/fuer-institutionen-kursanbieter-und-supervisoren/unterlagen-zur-zertifizierung-von-supervisoren)

„Personale Kompetenz

Fähigkeit zur Wahrnehmung und Reflektion persönlicher sowie mit der therapeutischen Rolle verbundener Denk- und Handlungsschemata und ihrer Wirkung auf die Behandlungsgestaltung bei verschiedenen neuropsychologischen Störungsmustern

Fähigkeit zur Empathie und Rollenübernahme unter besonderer Berücksichtigung der Auswirkungen eines hirnorganisch veränderten Selbstempfindens

Fähigkeit zur Selbststeuerung eigener Affekte und Verhaltensimpulse, zur Selbstwirksamkeit und Selbstintegration sowie zur Belastungsregulation und Herstellung emotionaler Stabilität

Beziehungskompetenz

Fähigkeit, unter Berücksichtigung der störungsspezifischen Besonderheiten eine von Wertschätzung und Neutralität getragene therapeutische Beziehung aufzubauen, aufrechtzuerhalten und zu beenden

Fähigkeiten zur Wahrnehmung von und zum differenzierten Umgang mit prämorbiden und hirnorganisch bedingten Persönlichkeitsaspekten

Fähigkeiten zur Wahrnehmung und Differenzierung eigener und fremder Affekte, Kognitionen, Wünsche und Erwartungen besonders im Kontext spezifischer Störungsbilder und Settings

Fähigkeiten zu und Fertigkeiten in der systematischen Analyse und Gestaltung von Beziehungen, insbesondere Fähigkeiten zum Umgang mit Erwartungen beteiligter komplexer Systeme (Familien, interdisziplinäres Team, Helfersysteme außerhalb der neurologischen Rehabilitation)“ (Gesellschaft für Neuropsychologie, 2019, S. 6).

Supervision in verschiedenen Settings

Supervision wird in unterschiedlichen Settings durchgeführt.

Einzelsupervision

In der Einzelsupervision, häufig als Fallsupervision konzipiert, steht ein einzelner Kasus im Zentrum. In einer vertieften Auseinandersetzung wird dessen Krankengeschichte vor dem Hintergrund biografischer Informationen beleuchtet. In der neuropsychologischen Supervision geht es dabei häufig um das Verständnis des neuropsychologischen Befundes: Wie hängen unterschiedliche kognitive Funktionsbeeinträchtigungen und -ressourcen miteinander zusammen und wie sind sie ätiologisch bzw. funktionell-neuroanatomisch einzuordnen? Auf dieser Basis werden geeignete therapeutische Ziele und Methoden ausgewählt und umgesetzt. Dabei sind die institutionellen Rahmenbedingungen ebenso zu berücksichtigen wie die Beziehungen z. B. zwischen Patient_in und Therapeut_in, zu den Mitpatient_innen oder zu anderen Bezugspersonen. Unter diesem Aspekt wird das therapeutische Vorgehen in der Supervision beleuchtet und ggf. angepasst. Barrieren im therapeutischen Prozess können dabei als Hinweis auf Barrieren in der therapeutischen Beziehung bearbeitet werden, deren Schlüssel häufig in der Biografie oder der Persönlichkeit der Therapeutin oder des Therapeuten zu finden sind. Diese gilt es im Prozess der Supervision herauszuarbeiten, wozu die Einzelsupervision einen besonders geschützten Rahmen bieten kann.

Gruppensupervision

In der Gruppensupervision bringen in der Regel mehrere therapeutisch tätige Kolleg_innen ihre Fälle oder Fragestellungen ein. Die Gruppe wird aus ihren jeweiligen Erfahrungen den Kasus und das therapeutische Handeln beleuchten; häufig spiegeln sich in der Gruppe auch Beziehungsmuster der Therapeut-Patient-Beziehung wider, die so besser verstanden werden können. Gleichzeitig lernt jedes Mitglied der Gruppe am Modell der Kolleg_innen, sei es über die Art des diagnostischen und therapeutischen Vorgehens, sei es über unterschiedliche Behandlungssettings (z. B. Akutklinik vs. Behandlung in verschiedenen Phasen der Rehabilitationskliniken). Die Rolle der Supervisionsperson erweitert sich in der Gruppe insofern, dass sie neben ihren primär supervisorischen Aufgaben auch die Rolle des/der Moderator_in übernimmt und entscheidet, wie und mit welchen Methoden sie die Gruppe in das Gespräch einbezieht, ggf. bestimmte Rollen in der Gruppe verteilt oder auch das Gespräch durch gezielte Fragen in eine bestimmte Richtung lenkt. Auch erweitert die Gruppe das Spektrum der für die Supervision eingesetzten Methoden, z. B. indem der Supervisand oder die Supervisandin im Rollenspiel in die Position ihrer Patienten_innen schlüpft und ein anderes Gruppenmitglied die Rolle des oder der Therapeut_in übernimmt.

König (2003) hat in einer Übersicht verschiedene Vor- und Nachteile von Einzel- und Gruppensupervision gegenübergestellt (vgl. Tabelle 1).

Tabelle 1 Vor- und Nachteile verschiedener Supervisionsformen nach König (2003)

Kollegiale Supervision/Supervision der Supervision

Kollegiale Supervision in mehr oder weniger formalisierter Form findet immer dann statt, wenn Fachkolleg_innen sich treffen, um Fälle miteinander zu besprechen und die unterschiedlichen Expertisen einzubringen. Die unterschiedlichen Erfahrungen von Kolleg_innen mit verschiedenen klinischen Tätigkeitsfeldern auszutauschen, stellt in sich schon einen großen Wert dar. Vor- wie Nachteil dieser Supervisionsform ist das Fehlen der Supervisionsperson, die die Moderation übernimmt, die Methodenauswahl und den Supervisionsprozess leitet. Hier müssen die Supervisionsteilnehmenden Rollen untereinander klären, das methodische Vorgehen abstimmen und im weiteren Verlauf die Umsetzung verfolgen. Auch wenn die Fallarbeit auf einen lockeren Austausch und Anregungen der Kolleg_innen zum Fall begrenzt bleibt, regen Fragen der Kolleg_innen die Selbstreflektion des eigenen Handelns an. Die Erfahrung der Autorin in unterschiedlichen kollegialen Supervisionsgruppen zeigt, dass mit zunehmender beruflicher Erfahrung die Hemmschwelle steigen kann, sich selbst eigene Grenzen im therapeutischen Vorgehen einzugestehen und vor den Kolleg_innen auszusprechen. Auch haben die Kolleg_innen möglicherweise Hemmungen, dem oder der „erfahrenen Kolleg_in“ Persönlichkeitsanteile zu spiegeln, die sie in seinem oder ihrem Verhalten erkennen. Nicht selten wird das Zusammenkommen dann eher für den Austausch über institutionelle und berufspolitische Rahmenbedingungen und Entwicklungen genutzt und die Fallarbeit kommt zu kurz („ich habe heute keinen Fall“). Regeln, die die Gruppe sich selbst auferlegt (z. B. festlegen, wer beim nächsten Mal einen Fall mitbringt; jeder soll mindestens einen Fall mitbringen), oder die wechselnde Zuweisung der Rolle des oder der Moderator_in/Supervisor_in in der Gruppe können hier ein gezielteres Vorgehen erleichtern und Hemmschwellen abbauen.

Eine besondere Form der kollegialen Supervision stellt die „Supervision der Supervision“ dar. Hier ist das Ziel nicht die Reflektion der therapeutischen Arbeit mit einem oder einer Klient_in, sondern die eigene Tätigkeit als Supervisor_in. Um das eigene Verhalten als Supervisor_in zu reflektieren, bieten sich mindestens zwei Möglichkeiten an:

  1. 1
    Der oder die Supervisor_in berichtet über einen Supervisionsprozess mit einer oder einem seiner Supervisand_innen. Die Kolleg_innen können den Supervisionsprozess noch besser nachvollziehen, wenn (selbstverständlich mit Einverständnis aller beteiligten Personen) Video- oder Tonaufnahmen aus der Supervision vorgespielt werden. Auf dieser Basis reflektiert der oder die Supervisor_in seine bzw. ihre Rolle mit den Kolleg_innen.
  2. 2
    Eine Person aus der Gruppe stellt einen eigenen Fall vor, eine andere Person supervidiert diesen Kasus „life“ und erhält im Anschluss Feedback zu dieser Supervision von den anderen Teilnehmenden.

Vor- und Nachteile der kollegialen Supervision stellt König (2003) gegenüber (vgl. Tabelle 2).

Tabelle 2 Vor- und Nachteile kollegialer Supervision nach König (2003)

Supervision face to face oder online

Spätestens seit der Coronapandemie stellt sich die Frage, ob die persönliche Präsenz der beteiligten Personen in einem Raum für den Prozess der Therapie ebenso wie für den Prozess der Supervision erforderlich ist. Bislang ist der Anteil erforderlicher Supervisionsstunden, die als Onlinesupervision eingebracht werden dürfen, auf 25 % begrenzt (https://www.gnp.de/aus-und-weiterbildung/weiterbildungsinteressierte-kandidaten/curriculum-2017), wobei die Begrenzung während der Pandemiezeit bis auf weiteres ausgesetzt ist.

Durch die zunehmenden interaktiven digitalen Möglichkeiten der Kommunikation und Begegnung und vorangetrieben durch die Notwendigkeit der sozialen Distanz im Rahmen der Pandemie stellen sich die Fragen neu. Romanczuk-Seiferth (2020) hat sich in einem Überblick mit den Möglichkeiten und Grenzen von Onlinesupervision auseinandergesetzt und einige Hinweise für die Praxis formuliert. Die Autorin betont folgende Vorteile der Onlinesupervision:

  • Durch die Ortsungebundenheit der Supervision lassen sich Zeit sowie Reise- und Klimakosten sparen und die Kontinuität, auch z. B. bei Elternzeit oder Auslandsaufenthalt, kann aufrechterhalten werden.
  • Für Menschen, die im Rahmen der Pandemie auf Onlinetherapie umgestiegen sind, empfiehlt sie die Supervision im gleichen Medium durchzuführen wie die Therapie, um sich so besser in die Situation der Patient_innen hineinversetzen zu können.

Bei der Frage der Besonderheiten und Herausforderungen der Onlinesupervision betont sie, dass der Unterschied zwischen einer Begegnung in Präsenz und der in einer Videokonferenz „keine gänzlich andere Supervisionssituation“ darstelle (S. 336). Sie betont, dass die Supervisionsperson ihre eigene Medienkompetenz für die Supervision ausbilden muss und auf dieser Basis entscheiden sollte, für welche Fragestellungen oder Personen sie das Medium für geeignet hält oder nicht. Zu beachten ist,

  • dass die Aufmerksamkeit am Bildschirm unter Umständen schneller nachlässt und daher auf regelmäßige Pausen zu achten ist,
  • dass die rechtlichen und vor allem Datensicherheitsaspekte des Mediums ebenso zu beachten sind wie bei Durchführung von Onlinetherapie
  • und dass der Sicherstellung einer geschützten Umgebung z. B. in der Wohnung des Supervisanden oder der Supervisandin besondere Beachtung zukommen sollte.

Die Herstellung einer empathischen, verständnisvollen Haltung und die Gestaltung der Beziehung können in der Onlinesupervision mit gezielten Methoden (z. B. Engelhardt, 2000) durchaus gelingen. Was allerdings im Onlinesetting kaum herzustellen ist, ist das informelle Gespräch, das im Face-to-Face-Kontakt etwa vor Beginn der eigentlichen Supervision oder in den Pausen stattfindet. Dieses ist jedoch für den Zusammenhalt zwischen den beteiligten Personen, insbesondere in der Gruppensupervision und für das gegenseitige Kennenlernen über den fachlichen Austausch hinaus von großer Bedeutung. So können über den Zusammenhalt in der Supervisionsgruppe während der Weiterbildung Kontakte entstehen, die zu einem späteren Zeitpunkt in eine selbstorganisierte kollegiale Supervision münden.

Während der Autorin keine Studien zur Zufriedenheit von Supervisand_innen oder zur Wirksamkeit von Supervision im Vergleich von Online- oder Face-to-Face-Supervision bekannt sind, gibt es für die Psychotherapie einige Studien. Diese finden bezüglich der therapeutischen Arbeitsbeziehung kaum Unterschiede, verweisen aber auf viele offene Fragen (z. B. Berger, 2016). Ob zukünftige Weiterbildungsordnungen an der 25 %-Grenze für die Onlinesupervision festhalten, wird sich wahrscheinlich weniger am Inhalt der Supervision als an der Medienkompetenz der Personen entscheiden, die die Weiterbildungsordnungen erstellen. Die Bedürfnisse der Weiterbildungskandidat_innen sollten dabei in jedem Fall mitberücksichtigt werden.

Die Rolle der Supervision im Rahmen der Aus- und Fortbildung

Der/die Supervisor_in als „Lehrer_in“ beim Erwerb fachspezifischer Kompetenzen

Stucky, Bush und Donders (2010) definieren Supervision als Methode, die häufig im Rahmen der Ausbildung genutzt wird, um eine Vielzahl von Kompetenzen zu vermitteln, einschließlich Diagnostik, Erstellen von Berichten, differenzialdiagnostischer Erwägungen und Aufstellung eines Behandlungsplans. Dabei sollte die Supervision – wie auch das therapeutische Vorgehen – ein wissenschaftlich fundiertes und evidenzbasiertes Vorgehen bevorzugen. Auch sollte es ein möglichst formalisierter und objektivierter Prozess sein, für den es allerdings bislang kaum Leitlinien gibt (Shultz, Pedersen, Roper & Rey-Casserly, 2014). Das Logbuch der GNP (Gesellschaft für Neuropsychologie, 2019) kann hier ein wichtiger Leitfaden sein, werden doch zumindest wichtige Aspekte, die bei der Fallbesprechung thematisiert werden sollten, durch den Protokollbogen vorgegeben (vgl. Abbildung 1).

Abbildung 1 Protokoll Supervision aus dem Logbuch Klinische Neuropsychologie (Gesellschaft für Neuropsychologie, 2019, S. 22).

In Deutschland sind die Rolle des oder der Weiterbildungsermächtigten und des oder der Supervisor_in zu unterscheiden. Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf die bisherige Regelung der GNP-Weiterbildung. Analoges gilt für die länderspezifischen Weiterbildungsordnungen der Psychotherapeutenkammern. Der oder die Weiterbildungsermächtigte vor Ort stellt die Rahmenbedingungen der Weiterbildung in der anerkannten Weiterbildungsinstitution sicher. Dies beinhaltet die fachspezifische Betreuung der klinisch-neuropsychologischen Tätigkeit und die hausinterne theoretische Weiterbildung im Sinne des Curriculums Klinische Neuropsychologie. Der oder die Weiterbildungsermächtigte ist wichtigste Ansprechperson vor Ort, um die Weiterbildungskandidat_innen im alltäglichen Klinik- oder Praxisbetrieb anzuleiten und Fragen auf kurzem Wege zu klären. Der Umfang und die Ausgestaltung dieser Anleitung sind nicht festgelegt. Sie kann z. B. darin bestehen, im klinischen Alltag auf kurzem Wege Fragen zu klären oder Anregungen zu geben, sie kann jedoch auch z. B. die gemeinsame Behandlung von Patient_innen beinhalten. Auch die Befundbesprechung wird vor allem durch die Weiterbildungsermächtigten erfolgen. Letztlich ist es den individuellen Bedingungen vor Ort überlassen, in welchem Umfang die Anleitung durch die Weiterbildungsermächtigten erfolgt.

Im Gegensatz dazu ist die Anzahl der erforderlichen Supervisionseinheiten im Rahmen der Weiterbildung festgelegt. Häufig ist in der Supervision mehr Zeit, einen Kasus im Detail zu besprechen, sich die diagnostischen Befunde sorgfältig anzuschauen, diese im Kontext der Ätiologie, der Anamnese und unter Berücksichtigung der person- und umweltbezogenen Kontextfaktoren zu interpretieren und hieraus Empfehlungen für das therapeutische Vorgehen abzuleiten. So beschreiben Shultz et al. (2014), dass der Prozess der Diagnostik in der Neuropsychologie im Vergleich zu anderen Psychotherapiemethoden fokussierter sei. Ziele und Inhalte der Supervision in der Neuropsychologie hätten häufig einen eher didaktischen Anteil, da mehr Zeit damit verbracht wird, psychometrische Befunde, typische Testverläufe oder auch die Formulierung des Berichtes zu diskutieren.

Die Abfassung des schriftlichen Berichtes stellt die Dokumentation der klinischen Leistung dar. Auch wenn den Bericht der oder die Fachvorgesetzte in der Klinik verantwortet, sollte das Verfassen von Berichten zumindest exemplarisch auch Teil der Supervision im Rahmen der Weiterbildung sein. Gerade in der Gruppensupervision können Weiterbildungskandidat_innen sehr gut voneinander lernen und einander Feedback geben, wie klinische Informationen und Überlegungen in der schriftlichen Aufzeichnung dargestellt werden und wie die Formulierungen bei den Adressaten (Patient_innen oder Weiterbehandelnde) ankommen. Das einfache Hin- und Herschieben eines Dokuments mit Textverarbeitungstools wie „Änderungen nachverfolgen“ und die Bereitstellung von Kommentaren reichen nicht, um die sorgfältigen Besprechungen und die Lehre zu ersetzen (Nelson et al., 2016). Den angehenden Neuropsycholog_innen sollte dabei vor Augen geführt werden, dass der Bericht neben dem Aufklärungsgespräch die wichtigste Form ist, dem oder der Patient_in die Befunde zu erläutern (Postal & Armstrong, 2013).

Weitere wichtige Themen der Supervision im Rahmen der Weiterbildung könnten z. B. sein:

  • Die professionelle Begleitung der Patient_innen in ihrem Erleben,
  • der Umgang mit herausforderndem Verhalten,
  • der Umgang mit Diskrepanzen zwischen Zielen von Patient_in und Therapeut_in,
  • die Frage, wann kann/sollte eine Therapie beendet werden
  • oder mit welchen Empfehlungen sollten die Patient_innen entlassen werden.

Dies sind nur einige Beispiele aus der Praxis der Supervision, die gerade für Weiterbildungskandidat_innen zu Beginn ihres beruflichen Weges eine große Herausforderung darstellen. Hier kann die Supervision Anregungen geben, wissens- und angewandte Kompetenzen erweitern und emotional entlasten.

Qualitätssicherung bei der Erbringung heilkundlicher Aufgaben

Neben fundierten Kenntnissen der Neuropsychologie und der professionellen Psychologie sollte der oder die Supervisor_in stets Kenntnisse über wichtige gesetzliche Regeln und ethische Überlegungen in die Supervision einbringen. Zwar sollten diese in der theoretischen Weiterbildung erworben werden, die praktische Anwendung und die Reflektion des eigenen Handelns vor dem Hintergrund gesetzlicher und ethischer Überlegungen gehen jedoch über die reine Theorievermittlung hinaus. Hierzu gehört auch die Auseinandersetzung mit den institutionellen Rahmenbedingungen des therapeutischen Handelns. Immer wieder stehen die Supervisand_innen vor der Frage: Welche Aufträge übernehme ich und welche nicht (z. B. wenn das Kriseninterventionsgespräch bei Verdacht auf Suizidalität von der Fachärztin an den Psychologen im ersten Weiterbildungsjahr delegiert wird)? Wieviel Zeit steht für den oder die Patient_in zur Verfügung und wie kann ich diese möglichst gut nutzen? Welche Patient_innen werden von der Neuropsychologie gesehen etc.? Auch wenn die Personen in der Weiterbildung sich häufig als kleines Rad im Getriebe fühlen und wenig Einfluss auf die Regeln der Klinik zu haben scheinen, sollte im Rahmen der Supervision die Diskrepanz z. B. zur Evidenzbasierung oder auch zum Berufsrecht (was ist delegationsfähig, was steht unter Approbationsvorbehalt etc.) herausgearbeitet werden und gemeinsam mit dem oder der Supervisand_in Möglichkeiten der Stärkung und der Solidarisierung (z. B. im Arbeitskreis Neuropsychologie in Institutionen oder im Arbeitskreis Weiterbildung der GNP) erarbeitet werden. Letztlich kann dadurch ein Empowerment zur aktiven Gestaltung des eigenen beruflichen Umfelds entstehen.

Hierzu kann auch die Thematisierung von kritischen Situationen im Team, die Auseinandersetzung mit Vorgesetzten oder auch mit der Rolle der Neuropsychologie im Team gehören.

Nicht zuletzt stellt auch die Psychohygiene und Resilienz der Supervisand_innen einen wichtigen Bestandteil der Qualitätssicherung dar. Hierfür sollte zwar auch der oder die Vorgesetzte bzw. die Institution, in der eine Person arbeitet, Verantwortung übernehmen, es kann jedoch durchaus Thema im Rahmen der Supervision sein. Menschen in Gesundheitsberufen allgemein und junge Kolleg_innen in der Weiterbildung im Besonderen müssen eine Vielzahl von Anforderungen im Alltag bewältigen und neigen häufig dazu, die Bedürfnisse anderer über die eigenen zu stellen (Rehahn-Sommer & Kämmerer, 2019). Neben der beruflichen Tätigkeit stehen da die Gründung und Versorgung einer Familie, häufig mit kleinen Kindern, und die zeitlichen, finanziellen und inhaltlichen Herausforderungen der Weiterbildung selbst. Supervision sollte auch dazu dienen, Selbstaufmerksamkeit und angemessene Selbstfürsorge zu lernen‚ Abgrenzungs- und Selbstunterstützungskompetenzen zu fördern und gleichzeitig Kenntnis von persönlichen vulnerablen Punkten zu identifizieren sowie die Erwartungen an die eigene Leistungsfähigkeit, sowohl beruflich wie privat, realistisch zu formulieren. Hier ist allerdings schon die Schnittstelle zu den Aufgaben der Supervision, die im nächsten Abschnitt dargestellt werden.

Reflektion persönlicher Anteile, Stärken und Schwächen, Haltungen und Einstellungen

Wesentlicher Inhalt der Supervision ist die Entwicklung einer „therapeutischen Persönlichkeit“. Dies ist wichtiger Teil der Weiterbildung und gleichzeitig lebenslange Aufgabe jedes und jeder klinischen Neuropsycholog_in. Hierzu gehören laut Logbuch der GNP folgende personale und Beziehungskompetenzen:

Dieser Aspekt der Supervision ist wohl derjenige, der sich am stärksten von den Aufgaben der Weiterbildungsermächtigten unterscheidet. Gleichzeitig ist es auch derjenige, bei dem der oder die Supervisor_in eigene psychotherapeutische Kompetenzen und Methoden am stärksten einbringen sollte. Nach Erfahrung der Autorin spiegelt sich hier die Rolle von Patient_innen in der Neuropsychologie mit denen der Weiterbildungskandidat_innen: Ein Patient, der wegen seiner Angststörung oder seiner Eheprobleme ganz bewusst eine psychotherapeutische Behandlung aufsucht, wird (wahrscheinlich) zumindest eine Idee davon haben, dass es in einer psychotherapeutischen Behandlung um die Auseinandersetzung mit den eigenen Gefühlen gehen wird. Im Gegensatz dazu, sucht der oder die typische Patient_in in der Neuropsychologie eine Behandlung für die Grunderkrankung, z. B. den Schlaganfall oder das Schädelhirntrauma. Er oder sie möchte sich wieder besser konzentrieren können und die Gedächtnisleistung verbessern. Viele unserer Patient_innen würden nicht auf die Idee kommen, sich in psychotherapeutische Behandlung zu begeben. Vielmehr kommt diese in Gestalt des Neuropsychologen oder der Neuropsychologin zu ihnen.

Ähnlich ergeht es auch den Weiterbildungskandidat_innen in der Neuropsychologie. Sie möchten lernen, eine gute Aufmerksamkeitsdiagnostik zu machen, ein neuropsychologisches Profil zu erstellen, kognitive Störungen zu behandeln. Dass hierzu die Auseinandersetzung mit der eigenen Persönlichkeit gehört, dass z. B. der oder die sogenannte „schwierige“ Patient_in ein Spiegel der eigenen Beziehungsgestaltung sein kann, ist für sie, insbesondere für diejenigen, die nicht gleichzeitig in einer Psychotherapieausbildung sind, eher befremdlich. Dies sei am Beispiel typischer Supervisionsfragen aus der Praxis der Autorin veranschaulicht (vgl. Tabelle 3). Auch die fehlende Wahrnehmung eigener blinder Flecken, die wir häufig bei unseren Patient_innen beobachten, ist bei dem einen oder der anderen Supervisand_in erkennbar.

Tabelle 3 Typische Supervisionsfragen aus der Praxis der Autorin

Hier liegt eine besonders verantwortungsvolle Aufgabe der Supervision. Gonsalves und Crowe (2014) betonen, dass dafür nicht allein Wissens- oder Fertigkeitskompetenzen erforderlich sind. Es braucht zwar einen tiefen Respekt vor wissenschaftlichen Erkenntnissen und eine hohe Wertschätzung für ihre wissenschaftlichen Methoden. Gleichzeitig sollten die Supervisor_innen als erfahrene, reflektierende Praktiker_innen in der Lage sein, ihr eigenes Erleben selbstkritisch wahrzunehmen und die kognitiven und emotionalen Erfahrungen des Gegenübers zu realisieren und zu spiegeln. Hierfür ist vor allem eine hohe Beziehungskompetenz erforderlich.

Die Ideen zu Aufklärungsgesprächen in der Neuropsychologie, die Postal und Armstrong (2013) zusammengestellt haben, können – auch wenn sie eigentlich für das Gespräch mit Patient_innen gedacht sind – eine wunderbare Anregung liefern für das Gespräch zwischen Supervisor_innen und neuropsychologischen Supervisand_innen. Den Autoren zufolge sollten solche Gespräche helfen, die eigenen Fähigkeiten in „einem größeren Kontext“ zu verstehen und das Leben zum Positiven zu verändern (Postal & Armstrong, 2013, Klappentext). In diesem Sinne gelingt gute Supervision, wenn sie das Leben der Supervisand_innen zum Positiven verändert und deren therapeutische Kompetenz so stärkt, dass sie wiederum das Leben ihrer Patient_innen zum Positiven verändern.

Heute noch Weiterbildungskandidat_in, morgen schon Anleitung für andere Kolleg_innen

Folgt man dem Kriterienkatalog der Clinical Neuropsychology Synarchy (CNS), der Schnittstelle zwischen neuropsychologischen Fachgesellschaften und der American Psychological Association (APA), gehören zur Ausbildung in klinischer Neuropsychologie nicht nur Kompetenzen wie Diagnostik, Intervention und Beratung. Auch die Qualifikation für Lehre und Supervision werden hier als Teil der Fort- und Weiterbildung klinischer Neuropsycholog_innen gesehen (Smith, 2019). Auch wenn dies zunächst überraschend sein mag, scheint es vor dem Hintergrund der Versorgungssituation auch in Deutschland ein wichtiger Aspekt zu sein: In vielen Kliniken arbeitet nur ein zertifizierter Neuropsychologe oder eine zertifizierte Neuropsychologin. Die Aufgabe dieser Person ist es, sobald sie ihr Zertifikat erhalten hat, die Qualitätssicherung für andere, nicht zertifizierte Kolleg_innen zu übernehmen. Gehört die Qualifikation für Supervision und Lehre auch in Deutschland zur Weiterbildung? Explizit findet sich das in den Curriculumsanforderungen bislang so nicht formuliert.

Geht man jedoch davon aus, dass die Ausbildung für die Supervision mit der ersten Betreuung von studentischen Praktikant_innen in der Klinik beginnt und die Weiterbildungskandidat_innen in der Gruppensupervision Supervision für ihre Kolleginn_en leisten und dabei gleichzeitig am Modell ihrer Supervisor_innen verschiedene Supervisionsmethoden praktisch kennen lernen, so findet die Ausbildung in Supervision durchaus auch in Deutschland im Rahmen der Fort- und Weiterbildung statt. Es handelt sich allerdings um ein eher implizites Lernen und es fehlt ein explizites Methodeninventar, wie es z. B. im Rahmen der anderen Psychotherapieverfahren definiert ist (z. B. Möller et al., 2017).

Die Kompetenz der Supervisor_innen – Qualitätssicherung

Um Supervisor_in für Klinische Neuropsychologie zu werden, sind in Deutschland folgende Schritte erforderlich (hier die Kriterien der GNP; die jeweiligen Kriterien der Psychotherapeutenkammern können länderspezifisch abweichen):

  1. 1
    ein Masterstudium in Klinischer Psychologie,
  2. 2
    Ausbildung und Approbation als Psychologische/r Psychotherapeut_in,
  3. 3
    die Weiterbildung und Zertifizierung in Klinischer Neuropsychologie einschließlich der entsprechend vielseitigen klinisch-praktischen Tätigkeit in einer zur Weiterbildung anerkannten Einrichtung, Theorie und Supervisionsstunden sowie das Ablegen einer entsprechenden Prüfung,
  4. 4
    entsprechende Berufserfahrung und Weiterbildung in diesem Fach nach Erlangung des Zertifikates (entsprechend GNP-Vorgaben mindestens 5 Jahre klinische Tätigkeit nach Zertifizierung).

Von Supervisor_innen wird erwartet, dass sie ihre eigene Kompetenz durch kontinuierliche klinische Praxis und regelmäßige Fortbildung weiterentwickeln. Dieses Engagement für lebenslanges Lernen fördert die Aufrechterhaltung aktueller wissenschaftlicher Kenntnisse, die für die Ausbildung anderer erforderlich sind, und zeigt gleichzeitig den Weiterbildungskandidat_innen, wie wichtig es ist, sich für eine kontinuierliche berufliche Weiterentwicklung einzusetzen. Ähnlich wie der American Board of Professional Psychology 2015 ein kontinuierliches Fortbildungszertifikat eingeführt hat, mit dem praktisch tätige Neuropsycholog_innen belegen müssen, dass sie sich über wissenschaftliche Erkenntnisfortschritte und spezialisierte technische Fähigkeiten in der Klinischen Neuropsychologie fortbilden, erwarten auch die Psychotherapeutenkammern sowie die GNP eine kontinuierliche Fortbildung. Dabei ist die spezifische Fortbildung in „Supervision“ (32 Stunden über 7 Jahre laut GNP-Regularien) Voraussetzung für eine Rezertifizierung.

Bislang ist es so, dass viele Supervisor_innen in der Neuropsychologie autodidaktisch arbeiten und selbst herausgefunden haben, wie sie die Supervision gestalten. Insbesondere die Unterstützung der Persönlichkeitsentwicklung und der Reifung zu einer Therapeutenpersönlichkeit ihrer Supervisand_innen kommt in der Weiterbildung und auch im klinischen Alltag nur implizit vor. Auch international sind die Methoden oder Inhalte kaum definiert (Grote & Novitski, 2016; Hessen et al., 2017; Hokkanen et al., 2019, 2020). Mit der Reform für die Gebietsweiterbildung in Neuropsychologischer Psychotherapie sollte auch die Qualifikation für die Supervisor_innen sowohl in allgemeinen als auch in den spezifisch neuropsychologischen Supervisionsmethoden überdacht werden.

Um die Anregung von Herbert König (2003) aufzugreifen, möchte dieser Artikel eine Einladung sein, die Diskussion zum Inhalt und zur Qualifikation der Supervisor_innen in der Neuropsychologie neu anzustoßen und fortzusetzen. Ich freue mich über Zuschriften (Kontaktdaten s.u.). Die Quintessenz der Diskussion soll zu einem späteren Zeitpunkt in der Zeitschrift für Neuropsychologie publiziert werden.

Literatur

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