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Free AccessEditorial

Partizipation und Kinderrechte

Published Online:https://doi.org/10.1026/2191-9186/a000460

Gemäß Artikel 12 der UN-Kinderrechtskonvention (UNICEF, 1989) haben Kinder das Recht, gehört zu werden; ihre Perspektiven und Meinungen müssen alters- und reifeangemessen berücksichtigt werden. Eine Altersgrenze ‚nach unten‘, die das Recht auf Partizipation einschränkt, existiert nicht (Maywald, 2016, S. 26). Im Unterschied zu älteren Kindern manifestieren sich die Perspektiven und Meinungen eines jungen Kindes allerdings weniger sprachlich, sondern in erster Linie durch Mimik, Gestik und allgemeinen körperlichen Ausdruck des Wohl- bzw. Unwohlseins (Maywald, 2019, S. 66). Es liegt in der Verantwortung der Erwachsenen, in Bildungseinrichtungen: der pädagogischen Fachkräfte, den Kindern jeweils angemessene Formen zu eröffnen, sich auszudrücken und an der Gestaltung ihrer Lebensorte mitzuwirken. Der Wunsch dabei zu sein, mitzuwirken und sich zu beteiligen ist dabei nicht nur ein fundamentales Kinderrecht, sondern ein Bedürfnis jedes Kindes: Kinder wünschen sich Erwachsene, die ihre Erfahrungen, Gefühle und Relevanzen, ihre Themen, Ideen, Beschwerden und Verbesserungsvorschläge ernst nehmen und als wichtige Impulse für die Qualitätsentwicklung in Kindertageseinrichtungen anerkennen (vgl. Nentwig-Gesemann et al. 2019a; 2019b, S. 9). Es stellt in diesem Zusammenhang eine zentrale pädagogische Herausforderung dar, dem Recht der Kinder, sich zu bilden und dabei von Pädagoginnen und Pädagogen angeregt, begleitet, inspiriert und gestärkt zu werden, gerecht zu werden, dabei aber ihr Recht auf Spiel, Ruhe und Erholung nicht zu missachten. Kinder haben ein Recht darauf, dass sie als Akteure und ‚Seiende‘ geachtet werden, deren Weltaneignung und Welt(mit)gestaltung im Hier und Jetzt zählt. Kinder haben das Recht, zu partizipieren, aber sie haben auch das „Recht auf den heutigen Tag“, wie Janusz Korczak dies formulierte (vgl. Markowska-Manista, Tsur & Gilad, 2017): „auf nicht bereits vorstrukturierte Zeit und das Auskosten des ‚Zeit-Habens‘, auf das intensive Erleben und Genießen erfüllter, glücklicher Momente“ (Nentwig-Gesemann et al. 2019c, o.S.).

Auch wenn bereits zahlreiche Konzepte, Projekte und Erfahrungen vorliegen, wie Beteiligung in den ersten Lebensjahren von Kindern gestaltet werden kann, steht die empirische Fundierung der Bedeutung von Partizipation sowie eines konzeptionellen Rahmens für kindgerechte und an den Rechten der Kinder orientierte Beteiligungsprozesse im Bereich der frühen Bildung noch am Anfang. Es ist daher nicht verwunderlich, dass es aktuell vor allem die – erkenntnis- und theoriegenerierende – qualitative Forschung ist, die sich um einen empirischen Zugang zur Praxis von Partizipation, also ihrer interaktiven Hervorbringung und den ihr zugrundeliegenden handlungsleitenden Orientierungen der verschiedenen beteiligten Akteure bemüht. Dies spiegelt sich auch in den drei Beiträgen dieses Schwerpunktes. Da Kinder, zumal im Alter von null bis sechs Jahren, auch in der Forschung erst allmählich als partizipierende Akteure mit fundamentalen Rechten anerkannt werden (Nentwig-Gesemann & Großmaß, 2017), steht die Erforschung von Partizipation und Verwirklichung der Kinderrechte nicht nur vor der Herausforderung, explorativ und methodisch innovativ vorzugehen, sondern dabei forschungsethisch dem eigenen Gegenstandsbereich angemessen und reflexiv bzw. selbstkritisch zu arbeiten.

In den drei Beiträgen des Themenschwerpunktes werden wichtige und weitere Forschung anregende Studien vorgestellt, in denen verschiedene Perspektiven auf Partizipation eingenommen werden. Itala Ballaschk und Yvonne Anders stellen in ihrem Beitrag „Partizipation aus der Perspektive von Kindern“ eine Fallstudie vor, in der zehn Kinder im Alter von vier bis sechs Jahren aus einer Berliner Kindertageseinrichtung mit einem hohen Anteil an Familien mit Migrationshintergrund über Fokusgruppen und malbegleitete Gespräche dazu befragt werden, wie sie mit Verschiedenheit umgehen und welche Ansprüche sie selbst an eine gute Kindertagesbetreuung haben. Eva Pölzl-Stefanec und Claudia Geißler präsentieren in ihrem Beitrag „Partizipative Praxis in Krippen ermöglichen – Haltungen und Einstellungen des pädagogischen Fachpersonals“ die Ergebnisse aus zwei dokumentarisch interpretierten Gruppendiskussionen hinsichtlich der Haltungen der Befragten zur Ermöglichung von Partizipationsprozessen im Setting Kinderkrippe. Christa Kieferle und Wilfried Griebel berichten in ihrem Beitrag „Die anderen Stimmen“ – immigrierte, geflüchtete und asylsuchende Familien auf dem Weg zur Teilhabe am deutschen Bildungssystem“ von den Ergebnissen einer explorativen Pilotstudie, in der sechs immigrierte, geflüchtete und asylsuchende Eltern in halbstrukturierten, leitfadengestützten und qualitativ inhaltsanalytisch ausgewerteten, Gruppeninterviews zur Partizipation und Teilhabe ihrer Kinder am deutschen Bildungssystem befragt wurden.

Literatur

Iris Nentwig-Gesemann, Jörg Maywald, ,