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Open AccessSchwerpunktbeitrag

Familiäre Determinanten des Medienkonsums im ersten Lebensjahr und die Rolle von familienunterstützenden Angeboten

Published Online:https://doi.org/10.1026/2191-9186/a000665

Abstract

Zusammenfassung: Kindlicher Medienkonsum wird bezüglich seiner positiven und negativen Wirkungen diskutiert, dennoch sind digitale Medien Bestandteil der Lebenswelt von allen Kindern in den ersten Lebensjahren. In der vorliegenden Studie wird der Frage nachgegangen, wie häufig Säuglinge aus sozioökonomisch benachteiligten Familien im Alter von zwölf Monaten Kontakt mit Fernsehen und Smartphone haben und Mütter Medien zur Ablenkung ihrer Kinder einsetzen. Außerdem wird untersucht, inwiefern die Teilnahme an familienunterstützenden Angeboten mit der Mediennutzung in Zusammenhang steht. Im Rahmen des BRISE-Projekts wurden 300 Mütter befragt. Die Ergebnisse zeigen, dass fast 50% der Säuglinge Kontakt mit Fernsehen und Smartphone haben und 40% der Mütter Medien zur Ablenkung einsetzen. In Familien mit niedrigem Einkommen kommt es häufiger vor, dass die Säuglinge in Kontakt mit Medien sind und durch ihre Mütter mit diesen abgelenkt werden. Mütter mit einem Migrationshintergrund der ersten Generation nutzen (digitale) Medien häufiger zur Ablenkung und gewähren häufiger den Kontakt zu Fernseher und Smartphone. Mütter mit einer höheren erziehungsbezogenen Selbstwirksamkeitserwartung verwenden Medien seltener zur Ablenkung ihrer Kinder. Familien, die an familienunterstützenden Programmen teilnehmen, nutzen seltener Medien, um ihre Säuglinge abzulenken. Die Ergebnisse weisen auf das Potenzial von familienunterstützenden Angeboten und die Notwendigkeit hin, dabei den Medienkonsum in der Familie umfassender zu thematisieren.

Family Determinants of Media Consumption in the First Year of Life and the Role of Family Support Programs

Abstract: Children's media consumption is the subject of controversial scientific and public discussion, although (digital) media have become part of the environment of all children in the first years of life. The present study examines how often 12-month-old infants from socially disadvantaged families have access to TV and smartphones, and how often mothers use media to distract their infant. In addition, the study examines the extent to which participation in family support programs affects children's media use. Part of the BRISE project surveyed 300 mothers. The results show that almost 50% of infants have contact with television and smartphones, and that 40% of mothers use media for distraction. In low-income families, it is more common for infants to be in contact with and be distracted by media. Mothers with a first-generation immigrant background are more likely to use (digital) media for distraction and more often allow contact with TV and smartphones. Mothers with higher parental self-efficacy expectations are less likely to use media to distract their children. Families participating in family support programs are less likely to use media to distract their infants. The results point to the potential of family support programs and the need to broadly address media consumption in these programs.

Medien gehören zu unserem Leben dazu und auch Kinder kommen in ihren ersten Lebensjahren in Kontakt mit zahlreichen analogen und digitalen Medien. Der Konsum von Medien in der Kindheit wird dabei kontrovers diskutiert, Medium ist nicht gleich Medium. Printmedien, wie z.B. Bücher, werden beispielsweise zur Unterstützung der kindlichen Sprachentwicklung und Literacy-Förderung empfohlen. Der Zugang zum Fernsehen oder zu digitalen Medien wie Smartphone, Tablet, Spielekonsole oder Computer wird jedoch häufig kritisch gesehen. Während bei älteren Kindern zunehmend auch Potenziale für Bildungsprozesse Erwähnung finden (14-1Cohen & Hemmerich, 2020), überwiegen bei Säuglingen und Kleinkindern dagegen Annahmen über unerwünschte Effekte des frühen Medienkonsums. Wenig Befunde liegen jedoch bislang vor, wie häufig Kinder im ersten Lebensjahr überhaupt Zugang zu Fernsehen und digitalen Medien haben. Zudem mangelt es an Wissen, zu welchen Zwecken Eltern Medien in diesem Kindesalter einsetzen.

Deutsche Längsschnittstudien belegen soziale Disparitäten im kindlichen Kompetenzerwerb, die bereits im ersten Lebensjahr nachweisbar sind und bis zur Einschulung zunehmen (Passaretta & Skopek, 2018). Solche herkunftsbedingten Entwicklungsunterschiede werden durch soziale Unterschiede in der häuslichen Anregungsqualität, insbesondere der Eltern-Kind-Interaktionen, vermittelt (Kluczniok, Lehrl, Kuger & Rossbach, 2013). Soziale Unterschiede finden sich einer niederländischen Studie zufolge auch darin, wie häufig Eltern ihren Kindern Kontakt mit Medien gestatten (Nikken & Schols, 2015). Da Befunde darauf hindeuten, dass der Medienkonsum im Säuglings- und Kleinkindalter negative Effekte auf die kindliche Entwicklung hat (Bergs-Winkels & Winkels, 2018), könnte dieser zu sozialen Disparitäten im Kompetenzerwerb beitragen.

Zur Prävention und Kompensation von herkunftsbedingten Disparitäten im Bildungsverlauf werden familienunterstützende Angebote im Feld der frühkindlichen Bildung bereitgestellt. Solche Angebote sollen Eltern bei der Verbesserung der Erziehungskompetenzen und der häuslichen Anregungsqualität unterstützen und auf diese Weise förderlich auf die Entwicklung der Kinder wirken (Anders et al., 2019). Diese Angebote adressieren häufig auch den Medienkonsum und könnten Eltern daher für einen reflektierten Umgang mit Medien in der Kindererziehung sensibilisieren.

Mit der vorliegenden Studie sollen Informationen zum Medienkonsum im ersten Lebensjahr von Kindern aus sozioökonomisch benachteiligten Familien gewonnen werden. Es wurde untersucht, wie häufig Säuglinge Zugang zu Fernsehen und digitalen Medien haben und aus welchen Gründen Eltern den Medienkonsum gestatten. Außerdem wurden familiäre Determinanten des Medienkonsums analysiert. In einem dritten Schritt wurde der Frage nachgegangen, in welchem Zusammenhang die Mediennutzung mit der Inanspruchnahme von familienunterstützenden Angeboten steht.

Theoretischer und empirischer Hintergrund

Medienkonsum in der frühen Kindheit

In einer repräsentativen Befragung gaben 40,2% bzw. 34,3% der Eltern in Deutschland an, dass ihre 4- bis 5-jährigen Kinder (fast) täglich bzw. mehrmals pro Woche Serien, Filme oder Videos schauen. In dieser Altersgruppe spielen laut Elternangaben 2,1% (fast) täglich bzw. 19,6% mehrmals pro Woche auf dem Smartphone oder Tablet (Edeka Verlagsgesellschaft mbH et al., 2021). Eine Untersuchung von Chaudron (2015) in sieben europäischen Ländern, darunter Deutschland, zeigte, dass Eltern ihre Kinder das Smartphone nutzen lassen, um Wartezeiten zu überbrücken oder Zeit für sich zu haben. Bei den unter Einjährigen schauen beispielsweise 7% mit ihren Eltern Apps an und 9% sind gemeinsam am PC, wobei Tablets und Smartphones vor allem am Wochenende und für Wartezeiten genutzt werden (Feil, 2016). Eine Studie von Kabali et al. (2015), die in den USA in einer ländlichen, einkommensschwachen Gegend durchgeführt wurde, zeigte, dass fast alle Kinder (96,4%) Smartphones nutzen, ein Großteil bereits im ersten Lebensjahr.

Bezüglich der Auswirkungen des Medienkonsums auf die kindliche Entwicklung mangelt es an Langzeituntersuchungen (Fröhlich-Gildhoff & Fröhlich-Gildhoff, 2017). Vorliegende Studien ergeben eine gemischte Befundlage, die sowohl auf Risiken als auch Potenziale verweist. Beispielsweise zeigen sich für den Fernsehkonsum in den ersten Lebensjahren teilweise Nullzusammenhänge zwischen dem Fernsehkonsum und der Sprachentwicklung (Ruangdaraganon et al., 2009), teilweise Befunde, die auf negative Effekte für die Kommunikationsfähigkeit und Sprachentwicklung hinweisen (Byeon & Hong, 2015; Chonchaiya & Pruksananonda, 2008; Duch et al., 2013) und teilweise sogar positive Effekte auf die kognitive Entwicklung bei Kindern, welche „Die Sesamstraße“ im Alter zwischen drei bis fünf Jahren schauten (Fisch & Truglio, 2001). Die Art und Weise, wie häufig und von welcher inhaltlichen Qualität der Fernsehkonsum ist, ist von Bedeutung für die Effekte durch den Konsum (Christakis, 2009; Skvarc et al., 2021). Gleichzeitig wird auch das Kindesalter als Moderator diskutiert. Bergs-Winkels und Winkels (2018) weisen darauf hin, dass bei Kindern unter zwei Jahren der Medienkonsum mit Nachteilen verbunden sei, was durch hemmende Einflüsse aufgrund wegfallender sozialer Interaktionen erklärt wird. So wirke sich Fernsehen im Säuglingsalter auch bei kindgerechten Programmen und begleitetem Konsum negativ auf die Sprachentwicklung, die Aufmerksamkeitssteuerung und kognitive Fähigkeiten aus (Kostyrka-Allchorne, Cooper & Simpson, 2017; Radesky & Christakis, 2016). Bildschirmmedien werden im ersten Lebensjahr vor allem als Reizquellen (Töne, Lichtquelle) wahrgenommen, die Säuglinge überfordern können, da eine Regulierung noch nicht möglich ist (Eggert & Wagner, 2016). Die häufige Nutzung von (digitalen) Medien, in diesem Fall Smartphones, um Kleinkinder zu beruhigen, war negativ assoziiert mit dem Erlernen von Strategien zur Emotionsregulation (Radesky, Kaciroti, Weeks, Schaller & Miller, 2023).

Home Learning Environment

Die Familie hat als primäre Lernumgebung von allen Kontexten in der Bildungslaufbahn den größten Einfluss auf die kindliche Entwicklung (Melhuish et al., 2008). Das Modell der häuslichen Lernumgebung (auch Home Learning Environment, HLE) beschreibt, wie das familiäre Umfeld die Entwicklung der Kinder beeinflusst. HLE umfasst das physische Zuhause, aber auch die implizite und explizite Unterstützung sowie Anregungen des Kindes durch seine Familie (Kluczniok et al., 2013). Die HLE kann in drei Komponenten unterteilt werden: Strukturen, Überzeugungen und Prozesse (Kluczniok et al., 2013). Strukturen beinhalten zeitlich stabile Aspekte wie den sozioökonomischen Status, Migrationshintergrund oder die Familienform. Überzeugungen umfassen Einstellungen zu Bildung oder der kindlichen Entwicklung sowie die erziehungsbezogene Selbstwirksamkeitserwartung der Eltern (Gessulat, 2022). Prozesse beziehen sich sowohl auf die Interaktionen zwischen Kind und Familie, z.B. das gemeinsame Spiel oder die gemeinsame Betrachtung von Bilderbüchern, als auch die Interaktion des Kindes mit seiner materiellen Umgebung. Die häusliche Prozessqualität hat direkte Effekte auf die kindliche Entwicklung und wird ihrerseits durch die Strukturmerkmale und Überzeugungen der Familie beeinflusst (Kluczniok et al., 2013). Die positiven Effekte der häuslichen Interaktionsqualität auf die schulische und sozio-emotionale Entwicklung können noch bis in das Jugendalter nachgewiesen werden (z.B. Baumert, Watermann & Schümer, 2003). Der Migrationshintergrund der Familie ist relevant für die Qualität der HLE. Verschiedene Studien zeigten, dass in Familien mit Migrationshintergrund die HLE niedriger ausfällt als in Familien ohne Migrationshintergrund (Kluczniok et al., 2013; Lehrl, 2018; Niklas, 2015). Besonders, wenn beide Elternteile des Kindes im Ausland geboren sind, ist eine geringere häusliche Anregungsqualität beobachtbar (Niklas & Schneider, 2010). Die Anpassung an die Kultur des Landes geht mit einer längeren Verweildauer im Land sowie der Nutzung der Landesprache zum (Vor-)Lesen einher (Kolancali & Meluish, 2019), welche sich wieder in der HLE widerspiegelt. Eine differenzierte Betrachtung des Migrationshintergrundes in mehr als „vorhanden“ ist daher angemessen.

Mediennutzung in der Erziehung

Vor dem Zubettgehen ein Bilderbuch anschauen oder ein Hörspiel hören – die Nutzung von Medien gehört zum Familienleben dazu (Fleischer, Kroker & Schneider, 2018). Im digitalen Zeitalter eröffnen sich weitere Möglichkeiten und nicht zuletzt aufgrund der Nutzung durch die Eltern selbst kommen Kinder auch mit digitalen Medien in Kontakt. Das klassische Vorlesen wird dabei aber nur selten durch Eltern-Kind-Aktivitäten mit digitalen Medien ersetzt (Oberlinner, Eggert, Schubert, Jochim & Brüggen, 2021). In einer Längsschnittstudie mit Eltern von Kindern im Alter von null bis acht Jahren zeigte sich, dass Medien ritualisiert in der Familie eingesetzt werden, also die Nutzung von Medien in einer bestimmten Regelmäßigkeit auftritt und eine besondere Bedeutung für die daran beteiligten Personen hat (Eggert, Oberlinner, Pfaff-Rüdiger & Drexl, 2021). Solche Medienrituale können verschiedene Funktionen haben, z.B. zur Strukturierung des Alltags, als Mittel zum Lernen oder als Erziehungsinstrument (z.B. Einsatz als Belohnung), zur Beziehungspflege (z.B. Internettelefonie im Lockdown), zur Unterhaltung oder als Babysitter (Fleischer et al., 2018; Oberlinner et al., 2021). Medien werden beispielsweise als Babysitter eingesetzt, um selbst eine Auszeit nehmen zu können, häufig aber auch, um andere Aufgaben einfacher erledigen zu können.

Theoretisch kann der Umgang mit Medien in der Familie als Teil der HLE verortet werden und umfasst auf der Ebene der Überzeugungen die elterlichen Strategien im Umgang mit Medien in der Kindererziehung, die Medienerziehungsziele (Eggert et al., 2021) oder die Einstellungen hinsichtlich des kindlichen Medienkonsums (Bonanati & Buhl, 2022; Lehrl, Linberg, Niklas & Kuger, 2021). Auf der Prozessebene schließt er den Kontakt der Kinder mit analogen und digitalen Medien ein (Lehrl et al., 2021). Als Determinanten der elterlichen Überzeugungen bezüglich der Mediennutzung ihrer Kinder haben sich folgende Faktoren erwiesen (vgl. Eggert et al., 2021): Wissen über Medienwirkungen und die kindliche Entwicklung, persönliche Erfahrungen und Medienbiografie, Geschwisterkinder sowie generelle Erziehungseinstellungen. Das medienerzieherische Handeln wiederum wird u.a. durch die elterlichen Einstellungen zum Medienkonsum ihrer Kinder und durch den sozialen Hintergrund geprägt (Eggert et al., 2021). So korreliert der Bildungshintergrund mit der Medienkompetenz der Eltern und vielfältigeren Medienerziehungsstrategien. So mediieren beispielsweise die elterlichen Überzeugungen den negativen Effekt von Fernsehen auf den rezeptiven Wortschatz (Schlesinger, Flynn & Richert, 2019). Im Säuglingsalter verfügen Eltern allerdings häufig noch nicht über Strategien für die Medienerziehung (Eggert et al., 2021). Befunde zum Zusammenhang der erziehungsbezogenen Selbstwirksamkeitserwartung und der familiären Mediennutzung sind nicht bekannt.

Hinsichtlich der medienbezogenen Prozesse ergaben Familienbefragungen der BiKS-Studie, dass allgemein anregende HLE-Aktivitäten (z.B. dem Kind vorlesen, mit ihm zählen) und digitale HLE-Aktivitäten (z.B. mit Apps spielen, etwas im Internet oder mit dem Computer machen) zwar leicht positiv miteinander zusammenhängen, sich jedoch in Faktorenanalysen als separate Dimensionen der Prozessqualität unterscheiden lassen, die unterschiedliche Zusammenhänge mit kindlichen Entwicklungsmaßen aufweisen. So zeigten sich bei Kleinkindern nur bei allgemein anregenden HLE-Aktivitäten positive Zusammenhänge mit der sozio-emotionalen Kompetenz. Bei Vorschüler_innen waren die digitalen HLE-Aktivitäten mit höheren akademischen Fähigkeiten und niedrigeren sozio-emotionalen Kompetenzen assoziiert; gleichzeitig waren die positiven Zusammenhänge mit den kognitiven Fähigkeiten aber höher bei den allgemein anregenden HLE-Aktivitäten ausgeprägt (Lehrl et al., 2021).

Unterstützung der elterlichen Erziehungskompetenz durch familienunterstützende Angebote

Aufgrund der überragenden Bedeutung der häuslichen Lernumgebung für die kindliche Entwicklung und der sozialen Unterschiede in der häuslichen Anregungsqualität wurden häusliche Angebote mit beratenden und bildenden Aspekten entwickelt (Schmidt, 2018). Ziel dieser Angebote ist eine Unterstützung insbesondere von sozioökonomisch benachteiligten Familien, um die Bedingungen für die Entwicklung ihrer Kinder durch die Stärkung von Erziehungskompetenzen und der familiären Entwicklungsanregung zu unterstützen (Sterzing, 2012). Besonders durch die „Geh“-Struktur, also das Aufsuchen der Familien zuhause, werden Barrieren zur Teilnahme, wie Hemmschwellen oder Anreiseschwierigkeiten, abgebaut. Insbesondere bei hochwertigen und an die individuellen Bedürfnisse der Familien angepassten Angeboten zeigen sich positive Effekte, z.B. auf das kindliche Verhalten, Sprachentwicklung oder die kognitive Entwicklung (Anders et al., 2011; Cohen, Trauernicht, Francot, Broekhuizen & Anders, 2020; Olds, Sadler & Kitzman, 2007). Familienunterstützende Angebote der frühkindlichen Bildung wirken durch eine Stärkung der elterlichen Erziehungskompetenzen und insbesondere der erziehungsbezogenen Selbstwirksamkeitserwartung auf eine Verbesserung der häuslichen Prozesse (Lehrl, 2018).

Da Eltern hinsichtlich der Medienerziehung ihrer Kinder einen hohen Bedarf an Information und Beratung äußern (Wagner, Eggert & Schubert, 2016), haben familienunterstützende Angebote auch das Potenzial zur Verbesserung der medienbezogenen Überzeugungen und Prozesse in der Familie. In einer Untersuchung zeigte sich, dass Medien Bestandteil fast aller Gespräche mit Familien in Erziehungsberatungsstellen sind (Wagner et al., 2016). Es kann daher davon ausgegangen werden, dass Medienerziehung und kindlicher Medienkonsum in familienunterstützenden Angeboten thematisiert werden, wenngleich nicht bekannt ist, in welchem Umfang sowie ab welchem Kindesalter dies erfolgt. Darüber hinaus gibt es erste digitale Angebote zur Unterstützung der allgemeinen elterlichen Erziehungskompetenzen, wie z.B. Online-Elternkurse und die Nutzung von Apps im Rahmen von Chancenreich (Prokupek & Blaurock, 2023). Solche digitalen Unterstützungsangebote bieten sowohl die Möglichkeit, Familien leichter zu erreichen und Inhalte zu vermitteln, als auch das Potenzial zur Reflexion der eigenen und der kindlichen Mediennutzung.

Fragestellung

Die vorliegende Studie hat das Ziel, Daten zur Kontakthäufigkeit von Kindern im Alter von ca. zwölf Monaten mit Fernsehen und Smartphones sowie zur Nutzung von (digitalen) Medien zur Ablenkung der Kinder zu gewinnen. Dabei ist von Interesse, welche familiären Merkmale mit der Mediennutzung zusammenhängen. Darüber hinaus wird geprüft, in welcher Verbindung die Teilnahme an familienunterstützenden Angeboten mit dem Mediennutzungsverhalten steht. Folgende konkrete Fragestellungen werden untersucht:

  1. 1.
    Wie häufig sind die Säuglinge im Kontakt mit Fernsehen und Smartphone? Wie häufig nutzen Mütter Medien zur Ablenkung ihrer Säuglinge?
  2. 2.
    Welche soziodemografischen Merkmale der Mutter erklären die Kontakthäufigkeit mit Fernsehen und Smartphone sowie die Nutzung digitaler Medien zur Ablenkung des Kindes? Hier wird insbesondere erwartet, dass die mütterliche Bildung und das familiäre Einkommen negativ mit der Häufigkeit der Mediennutzung des Kindes sowie des Medieneinsatzes zur Ablenkung des Kindes korrelieren.
  3. 3.
    In welchem Ausmaß lässt sich die Mediennutzung durch die erziehungsbezogene Selbstwirksamkeitserwartung der Mütter vorhersagen? Berichten Mütter mit hoher Selbstwirksamkeitserwartung eine seltenere Mediennutzung?
  4. 4.
    Welchen Zusammenhang weist die Teilnahme an familienunterstützenden Angeboten mit der Mediennutzung auf?

Methode

Stichprobe

Die Daten der vorliegenden Studie wurden im Rahmen der wissenschaftlichen Begleitung des BRISE-Projekts erhoben (Bremer Initiative zur Stärkung frühkindlicher Entwicklung; BRISE-Konsortium, 2022). BRISE zielt auf die Prävention herkunftsbedingter Bildungsungleichheiten von Kindern aus sozioökonomisch benachteiligten Familien durch einerseits koordinierte und kontinuierliche häusliche Beratungs- und Unterstützungsangebote für die Familien ab Ende der Schwangerschaft und andererseits durch die qualifizierte Bildung und Förderung in den Bremer Kitas ab. BRISE als breite Wirkungsstudie zielt daher auf verschiedene Aspekte der kindlichen Entwicklung und ihrer Entwicklungsumwelten ab. Für die vorliegende Untersuchung wurden Daten aus dem ersten Lebensjahr der Kinder verwendet, die durch Interviewer-gestützte quantitative Befragungen der Mütter generiert wurden.

Die Stichprobe besteht aus 300 Müttern. Die Mütter waren dabei im Durchschnitt 32.5 Jahre (SD = 5.3 Jahre) alt. Für 60,0% der Mütter ist das BRISE-Kind das erste Kind, während die durchschnittliche Kinderanzahl 1,59 (SD = 0.85, Range 1–5 Kinder) beträgt; 54,3% der Kinder sind männlich. Gut die Hälfte der teilnehmenden Mütter hat einen Migrationshintergrund (53,7%): 34,4% der Mütter sind selbst nach Deutschland migriert (erste Generation), 15,2% der Mütter sind in Deutschland geboren, allerdings ist ein oder beide Elternteile im Ausland geboren (zweite Generation). Hinsichtlich des mütterlichen Schulabschlusses ist eine Positivselektion festzustellen (5,8% ohne Schulabschluss, 12,5% Hauptschulabschluss, 19,3% Realschulabschluss, 62,4% Abitur). 1 Die befragten Familien verfügen über ein durchschnittliches Haushaltsnettoeinkommen von 2657.28 € (SD = 1400.90), welches sehr nah am Schwellenwert der Armutsgefährdung liegt, der 2022 für Familien mit zwei Kindern unter 14 Jahren definiert wurde (Destatis, 2022).

Instrumente

Die Hintergrundmerkmale der Familien (z.B. Anzahl der Kinder, Migrationshintergrund) wurden überwiegend im vor der eigentlichen Studie telefonisch durchgeführten Screening erfasst, um beurteilen zu können, ob die Familien die Kriterien zur Aufnahme in die BRISE-Studie erfüllen. Das Haushaltsnettoeinkommen wurde mit dem SOEP-Haushaltsfragebogen zu T1, als die Kinder ein bis drei Monate alt waren, bestimmt und gerundet auf Hunderter erfasst.

Für den Migrationshintergrund und den Bildungsabschluss der Mütter wurden Dummy-Variablen erstellt. Beim Bildungshintergrund wurden mit der Referenzkategorie Kein Schulabschluss/Hauptschulabschluss jeweils eine Dummy-Variable für den Realschulabschluss und das Abitur gebildet. Beim Migrationshintergrund wurden die Dummy-Variablen entsprechend der Migrationsgeneration (1. Generation und 2. Generation) mit der Referenzkategorie kein Migrationshintergrund operationalisiert.

Die erziehungsbezogene Selbstwirksamkeitserwartung wurde ebenfalls zu T1 erhoben. Die Skala basiert auf dem Maternal Confidence Questionnaire (Badr, 2005) und besteht aus insgesamt 11 Items (Beispielitem: „Ich weiß, wann mein Baby mit mir spielen will“ oder „Ich habe alle Fähigkeiten, um eine gute Mutter zu sein“) mit einer internen Konsistenz von α = .71.

Der Medienkontakt der Kinder wurde zu T3 (Alter der Kinder ca. zwölf Monate) über die Kontakthäufigkeit mit dem Fernseher einerseits und mit dem Smartphone andererseits erfasst (siebenstufig von 1 = Nie bis 7 = Mehrmals täglich). Darüber hinaus wurden die Mütter mit fünf Items gefragt, zu welchen Zwecken sie Medien für ihre Kinder nutzen („Zur Förderung des Kindes“, „Zur Ablenkung des Kindes, wenn Sie für etwas anderes Zeit brauchen“, „Zur Ablenkung des Kindes, wenn Sie sich selbst entspannen wollen“, „Um Ihr Kind zu beruhigen“, „Um Ihr Kind zu beschäftigen“). Für die weiterführenden Analysen wurde eine Skala aus den vier Items zu Ablenkungszwecken gebildet, deren interne Konsistenz mit α = .95 als sehr gut zu bewerten ist. Durch die reine Fokussierung darauf, inwieweit die Mütter ihren Kindern den Zugang zu Medien zum Zwecke der Ablenkung (Babysitter-Funktion) gestatten, sollen Bildungsziele ausgeschlossen werden.

Die Häusliche Interaktionsqualität wurde mit einer Skala zur Häufigkeit von bildungsbezogenen Aktivitäten mit dem Kind im Elternhaus erhoben. Die Skala ist fünfstufig von 1 = Gar nicht bis 5 = Mehrmals täglich aufgebaut und umfasst Aktivitäten wie bspw. vorlesen/Bilderbücher anschauen, für das Kind zählen oder Größen vergleichen. Die interne Konsistenz beträgt α = .70.

Die Teilnahme an familienunterstützenden Angeboten wurde zu T3 rückblickend für die gesamte Säuglingszeit erfragt. Die Fragen umfassen sowohl die BRISE-spezifischen Interventionen im ersten Lebensjahr (Pro Kind und TippTapp) als auch weitere Angebote, die auf die Verbesserung der elterlichen Kompetenzen, der Interaktionsqualität oder des elterlichen Wohlbefindens fokussieren (z.B. „Informationsveranstaltung für Eltern z.B. zu Säuglingspflege, Ernährung, Stillen, Erste Hilfe“, „Eltern-Kind-Kurs mit Programm z.B. PEKiP, Babymassage, Musikkurs“ oder „Sprechstunde oder Beratung zu Hause z.B. durch eine Hebamme oder Kinderkrankenschwester“). Die Antwortskala ist sechsstufig von 1 = Nie bis 6 = Wöchentlich. Fast ein Drittel (32,1%) der Mütter hat an keinen Aktivitäten teilgenommen.

Analytisches Vorgehen

Die Vorhersage der Nutzung von Smartphone und Fernsehen durch die Säuglinge sowie die Nutzung von Medien in der Erziehung zu Ablenkungszwecken wurden anhand multipler Regressionen in Mplus (Version 8.5, Muthén & Muthén, 2017) berechnet. Für die Vorhersage der Programmteilnahme durch die erziehungsbezogene Selbstwirksamkeitserwartung wurde ebenfalls eine Regressionsanalyse in Mplus durchgeführt. Die Anzahl der fehlenden Werte schwankt dabei zwischen 1,7% (Bildungsabschluss der Mutter) und 33,6% (Nutzung zur Ablenkung). Zum Umgang mit fehlenden Werten wurde der Full-Information-Maximum-Likelihood-(FIML)-Ansatz gewählt, bei dem die Parameter auf Basis der vorhandenen Informationen geschätzt und die Unsicherheit durch fehlende Werte in den Standardfehlern abgebildet wird (Enders, 2010).

Ergebnisse

Deskriptive Mediennutzung

Die deskriptiven Ergebnisse zeigen, dass die Kinder bereits im ersten Lebensjahr mit unterschiedlichen Medien in Kontakt kommen. Mit dem Fernseher sind bereits gut ein Viertel (27,9%) täglich oder mehrmals täglich in Kontakt, 53,1% dagegen nie. Ein ähnliches Bild zeichnet sich für das Smartphone ab. Hier haben 22,0% der Säuglinge täglich bzw. mehrmals täglich Kontakt, 57,2% dagegen nie. Eine Übersicht über die Kontakthäufigkeit der Kinder mit dem Fernseher, Smartphone, Laptop und Tablet findet sich im Elektronischen Supplement ESM 1 (Tabelle E1).

Hinsichtlich der Verwendung von Medien zur Ablenkung zeigt sich, dass die Mütter diese im Mittel (M = 1.76, SD = 1.11) etwas seltener als einmal pro Woche dafür nutzen. Die Angaben der Mütter zu den verschiedenen Ablenkungsgründen wurden für die weiteren Analysen durch den Mittelwert zusammengefasst. Etwa die Hälfte (52,7%) der Mütter gibt an, Medien gar nicht zur Ablenkung einzusetzen. Im Umkehrschluss zeigt sich, dass 47,3% der Mütter angaben, Medien mindestens einmal pro Woche zur Ablenkung ihres Kindes einzusetzen (vgl. ESM 1, Tabelle E2); 20,2% der Mütter geben an, Medien mehrmals pro Woche oder häufiger zur Ablenkung zu nutzen.

Regressionsanalysen

Die Ergebnisse (vgl. Tabelle 1) zeigen, dass die Mediennutzung durch einige Familienmerkmale vorhergesagt werden kann. Das Alter der Mutter und die Anzahl weiterer Kinder hängen mit keiner der abhängigen Variablen zusammen. Allerdings erweist sich der Migrationshintergrund der Mutter in der ersten Generation für alle abhängigen Variablen als bedeutsam. Mütter mit Migrationshintergrund der ersten Generation geben häufiger an, dass das Kind Kontakt mit dem Fernseher (β = .34) und dem Smartphone (β = .22) hat und Medien häufiger zur Ablenkung eingesetzt werden (β = .20). Ebenfalls bedeutsam ist das familiäre Haushaltseinkommen. Familien mit einem höheren Einkommen nutzen dabei signifikant seltener Medien zur Ablenkung (β = −.34) und die Kinder sind seltener im Kontakt mit dem Fernseher (β = −.26). In Bezug auf die mütterliche Bildung ergeben sich nur für die Mediennutzung zu Zwecken der Ablenkung des Kindes bedeutsame Zusammenhänge. So berichten Mütter mit Realschulabschluss signifikant seltener, ihre Kinder mit Bildschirmzeit abzulenken, als Mütter ohne Schulabschluss bzw. mit Hauptschulabschluss (β = −.24). Für Mütter mit Abitur lassen sich dagegen keine signifikanten Unterschiede im Vergleich zu Müttern ohne Schulabschluss bzw. mit Hauptschulabschluss feststellen. Für die erziehungsbezogene Selbstwirksamkeitserwartung zeigt sich ein negativer Zusammenhang (β = −.15) mit der Nutzung von Medien zur Ablenkung des Kindes.

Tabelle 1 Regressionsmodelle für die Kontakthäufigkeit mit Fernseher und Smartphone sowie die Nutzung von Medien zur Ablenkung

Die Teilnahme an familienunterstützenden Angeboten steht in keinem Zusammenhang mit der Kontakthäufigkeit zu Fernseher und Smartphone. Es zeigt sich allerdings ein signifikant negativer Zusammenhang mit der Nutzung von Medien zur Ablenkung (β = −.23). Die retrospektive Angabe zur Inanspruchnahme der Familienunterstützungsprogramme korreliert mit r = −.19 mit der rund neun Monate früher erfassten erziehungsbezogenen Selbstwirksamkeitserwartung: Je geringer diese war, desto häufiger nahmen die Mütter an Familienprogrammen teil. Die Inanspruchnahme von Familienunterstützungsprogrammen ist also mit der wahrgenommenen Unsicherheit und damit mit dem Unterstützungsbedarf assoziiert.

Diskussion

Diese Studie hatte das Ziel, Informationen über die Kontakthäufigkeit von Säuglingen mit Fernseher und Smartphone sowie die Nutzung von Medien zur Ablenkung zu gewinnen. Außerdem sollte analysiert werden, welche Merkmale in Zusammenhang mit der Mediennutzung stehen und wie die Teilnahme an familienunterstützenden Angeboten, die Nutzung zur Ablenkung sowie die Kontakthäufigkeit von Säugling und Medien zusammenhängen. Die deskriptiven Befunde zeigen, dass bereits Säuglinge im Kontakt mit Fernseher und Smartphone sind. Aufgrund der digitalisierten Lebenswelt ist dies auf der einen Seite durch die Verfügbarkeit von Medien im Elternhaus und die Nutzung durch die Eltern selbst nicht überraschend, aber aufgrund der überwiegend auf Risiken hindeutenden Befundlage kritisch zu betrachten. Es ist davon auszugehen, dass die Wirkung des Medienkonsums auf die kindliche Entwicklung durch die Qualität der Inhalte und die aktive Begleitung durch die Mutter beeinflusst wird. Gleichzeitig kann aber davon ausgegangen werden, dass z.B. spielbezogene Interaktionen mit dem Kind förderlicher für die Entwicklung wären.

Etwa die Hälfte der Mütter setzte Medien zur Ablenkung ein, die dadurch eine Babysitterfunktion in der Familie übernehmen. In diesem Fall wird der Medienkonsum des Säuglings nicht aktiv begleitet, wodurch nicht adäquat auf eine Reizüberflutung des Säuglings reagiert werden könnte. Möglich ist natürlich, dass diese Form der Ablenkung für die Mütter als Ausnahme dient, um andere Aufgaben beispielsweise im Haushalt einfacher zu bewältigen und im Anschluss die gemeinsame Zeit mit dem Säugling wertvoller nutzen zu können. Dennoch sollten Medien, insbesondere in diesem jungen Alter und bei unbegleitetem Konsum, nur eine Ausnahme darstellen und diese Nutzung auch regelmäßig reflektiert und überprüft werden (Oberlinner et al., 2021).

Die Regressionsanalysen ergaben, dass die medienbezogenen Prozesse in der Familie teilweise durch soziale Familienmerkmale erklärt werden können. Mütter, die selbst nach Deutschland migriert sind (erste Generation), berichteten beispielsweise häufiger als Mütter ohne Migrationshintergrund, dass sie ihr Kind mit Medien beschäftigen bzw. ablenken wollen und gewährten ihrem Kind auch signifikant häufiger Bildschirmzeit am Smartphone oder Fernseher. Für Mütter mit Migrationshintergrund in der zweiten Generation zeigte sich dagegen, dass sie ihre Kinder seltener fernsehen ließen als Mütter ohne Migrationshintergrund. Diese differenziellen Ergebnisse in Abhängigkeit des Generationenstatus könnten aus Perspektive der Akkulturationsforschung erklärt werden (Berry, Kim, Power, Young & Bujaki, 1989). So zeigt sich eine Anpassung an die kulturellen Praktiken und Gepflogenheiten des Aufnahmelandes besonders bei der zweiten Generation, in der meist bessere Sprachkompetenzen und eine Eingebundenheit in das Sozialsystem bestehen (Phinney, 2003). Dementsprechend könnte die unterschiedliche Nutzung (digitaler) Medien auch durch kulturelle Unterschiede zwischen den Generationen und die Bedeutung dieser Medien für den Kontakt mit der ursprünglichen Heimat erklärt werden.

Auch das familiäre Einkommen zeigte bedeutsame Zusammenhänge einerseits mit der Häufigkeit des kindlichen TV- und Smartphone-Konsums und andererseits mit der Häufigkeit des Medieneinsatzes zur Ablenkung. In finanziell benachteiligten Familien kommen Säuglinge demnach häufiger im ersten Lebensjahr in Kontakt mit (digitalen) Medien und diese werden häufiger zur Ablenkung genutzt. Hinsichtlich der mütterlichen Bildung zeigten sich nur Zusammenhänge mit der Nutzung von Medien als Babysitter, nicht aber mit der Nutzungshäufigkeit. Beim Vergleich zu Müttern ohne Schulabschluss bzw. mit Hauptschulabschluss gaben überraschenderweise nur Mütter mit Realschulabschluss, nicht aber Mütter mit Abitur an, ihre Kinder seltener mit Medien abzulenken. Es ist möglich, dass Mütter mit Abitur sich um den ersten Geburtstag ihres Kindes herum bereits aktiver mit der Wiederaufnahme der Erwerbstätigkeit beschäftigen oder häufiger sogar einer Erwerbstätigkeit nachgehen. Da die Mediennutzung teilweise während der Corona-Pandemie erfasst wurde, wäre denkbar, dass Medien zur Ablenkung des Kindes genutzt wurden, um mehr Freiräume für den eigenen Beruf zu haben. Da zu diesem Zeitpunkt die Erwerbstätigkeit nicht erfasst wurde, können hier aber nur Vermutungen getroffen werden.

Während die erziehungsbezogene Selbstwirksamkeitserwartung in keinem Zusammenhang zum reinen Kontakt mit Fernseher und Smartphone steht, zeigt sich ein signifikanter Zusammenhang mit der Nutzung von Medien zur Ablenkung: Mütter mit geringer erziehungsbezogener Selbstwirksamkeitserwartung setzen Medien häufiger als Babysitter ein. Dieser Befund weist auf die Rolle der Erziehungsselbstwirksamkeitserwartung bezüglich medienbezogener Prozesse und das Potenzial von familienunterstützenden Angeboten zur Verbesserung des Umgangs mit Medien in der Familie hin. Im Gegensatz zu Lehrl et al. (2021) konnte hier kein Zusammenhang zwischen den bildungsanregenden Aktivitäten im Elternhaus und den Medienaktivitäten im ersten Lebensjahr nachgewiesen werden. Dies kann aber auch als Bestätigung gewertet werden, dass es sich hierbei um unterscheidbare Aspekte der familiären Prozesse handelt.

Es wurden keine Zusammenhänge zwischen der Inanspruchnahme von Beratungs- und Unterstützungsangeboten und der Kontakthäufigkeit festgestellt. Gleichwohl deutet der Zusammenhang zwischen der Teilnahme an diesen Programmen und der niedrigeren Nutzung von Medien zur Ablenkung auf die entwicklungsförderlichen Effekte für die Mediennutzung und -erziehung hin.

Limitationen und Implikationen

Die zugrundeliegenden Daten für die Ermittlung des Zusammenhangs von der Teilnahme an familienunterstützenden Angeboten und familiärer Mediennutzung wurden zum gleichen Zeitpunkt erfasst. Aussagen zu Wirkungen der Familienprogramme sind daher streng genommen nicht möglich. Die Ergebnisse könnten auch einen Selektionseffekt widerspiegeln. Außerdem ist die Stichprobe mit einem N von 300 ausreichend, aber noch als klein zu bewerten. Eine Generalisierung der Ergebnisse ist nur eingeschränkt möglich, vor allem unter der Berücksichtigung, dass in der Stichprobe sozioökonomisch benachteiligte Familien überrepräsentiert sind. Auch sind die einzelnen Variablen mit fehlenden Werten behaftet. FIML und Imputationsverfahren können Simulationsstudien zufolge auch bei fehlenden Daten gute Schätzungen der interessierenden Parameter und ihrer Standardfehler liefern (Lüdtke, Robitzsch, Trautwein & Köller, 2007). Vollständige Daten sind nichtsdestotrotz die beste Ausgangsbasis für Analysen. Zudem ist nicht bekannt, in welchem Umfang die berücksichtigten familienunterstützenden Angebote den Umgang mit Medien thematisieren. Nicht möglich war die Untersuchung der Hypothese, ob die Programmteilnahme Wirkungen auf die Mediennutzung über die erziehungsbezogene Selbstwirksamkeitserwartung vermittelt, da diese deutlich vor der Programmteilnahme erfasst worden ist. Zukünftige Analysen werden diesen Punkt adressieren können, da die Selbstwirksamkeitserwartung zu späteren Messzeitpunkten in der BRISE-Studie erfasst worden ist.

Untersuchungen weisen darauf hin, dass Informationen zum Medienkonsum und seinen Auswirkungen auf die kindliche Entwicklung das Mediennutzungsverhalten in den Familien beeinflussen können. Wie Eltern den Einfluss des Medienkonsums auf ihre Kinder wahrnehmen und einschätzen, beeinflusst ihre Strategien hinsichtlich der Medienerziehung und des Medienkonsums ihrer Kinder (Eggert et al., 2021). Informationen zu Risiken und Potenzialen von Medienkonsum sollten daher in familienunterstützenden Angeboten konsequent diskutiert werden – und dies bereits für Familien mit Kindern im ersten Lebensjahr. Hierbei sollten Alternativen erörtert werden, um den Müttern eine Auszeit oder Freiraum für die Bewältigung von anderen Aufgaben zu ermöglichen, und die auch andere Beschäftigungsmöglichkeiten in unterschiedlichen Settings (z.B. zuhause und unterwegs) thematisieren. Anzumerken bleibt auch, dass auch Väter die Mediennutzung der Kinder im ersten Lebensjahr beeinflussen, die in dieser Untersuchung allerdings nicht dazu befragt wurden. In weiteren Studien sollten daher auch die Väter in den Blick genommen werden und mögliche Unterschiede in der Mediennutzung zwischen Vätern und Müttern analysiert werden. Befragungen zur Medienakzeptanz deuten ebenfalls darauf hin, dass Familien mehr Informationen für einen reflektierteren Medienkonsum benötigen (Edeka Verlagsgesellschaft mbH et al., 2021). Hier wären zunächst Untersuchungen sinnvoll, auf welche Weise die Medienerziehung in den familienunterstützenden Angeboten thematisiert wird, um solche Angebote in Zukunft passgenauer für die Bedarfe der Familien gestalten zu können. Ebenso wären qualitative Erkenntnisse zu den Motiven der Eltern zur Mediennutzung in diesem Kindesalter wünschenswert. Außerdem sollten in Untersuchungen zu Auswirkungen und Determinanten der häuslichen Lernumgebung medienbezogene Überzeugungen und Prozesse häufiger mitgedacht werden – insbesondere vor dem Hintergrund der weitverbreiteten Nutzung von Medien, bereits von Lebensanfang an.

Literatur

1Die im Ausland erworbenen Abschlüsse wurden im Rahmen der Analyse an deutsche Abschlüsse angepasst.