Längsschnittliche Zusammenhänge von Wortschatz, Grammatik und Leseverständnis mit mathematischen Fähigkeiten bei Grundschulkindern mit nicht-deutscher Familiensprache
Abstract
Zusammenfassung. Ein wesentlicher Erklärungsfaktor für die geringeren mathematischen Leistungen von Lernenden nicht-deutscher Familiensprache sind ihre weniger gut ausgeprägten sprachlichen Kompetenzen in der Instruktionssprache. Allerdings fehlt es an Untersuchungen, welche die längsschnittlichen Zusammenhänge zwischen verschiedenen sprachlichen und mathematischen Fähigkeitsfacetten in dieser Population abbilden. Die Studie untersucht deshalb das komplexe Zusammenhangsgefüge zwischen Wortschatz- und Grammatikkenntnissen, Leseverständnis und den mathematischen Fähigkeiten in Arithmetik, Textaufgaben sowie Fachwortschatzkenntnissen an einer Stichprobe von 370 Grundschulkindern nicht-deutscher Familiensprache anhand eines Cross-Lagged-Panel-Designs mit drei Messzeitpunkten. Dabei zeigte sich unter Kontrolle der allgemeinen kognitiven Grundfähigkeiten und der Vorleistungen, dass allgemeine Wortschatzkenntnisse einen signifikanten Beitrag zur Vorhersage der Fähigkeit Textaufgaben zu lösen und der Fachwortschatzkenntnisse leisteten (kreuzverzögerte Pfade). Gleichzeitig erwies sich Grammatikkompetenz als signifikanter Prädiktor für spätere Fachwortschatzkenntnisse. Die untersuchten sprachlichen Teilkompetenzen hatten hingegen keinen Vorhersagewert für die spätere Arithmetikleistung. Ein reziproker Effekt konnte für Fachwortschatz und den allgemeinen Wortschatz gefunden werden. Signifikante Zusammenhänge der Residuen von Textaufgaben und Fachwortschatz mit den Residuen der sprachlichen Fähigkeitsfacetten zum zweiten und dritten Messzeitpunkt weisen darauf hin, dass die Leistungszuwächse miteinander assoziiert sind.
Abstract. Weak language skills in the language of instruction are assumed to be a key factor in contributing to the lower mathematics competencies of second language learners. However, the longitudinal contribution of specific language skills, such as reading comprehension and vocabulary knowledge to the acquisition of mathematics competencies is not clear. This study examined the longitudinal relations between vocabulary knowledge, grammar proficiency, reading comprehension, and mathematics competencies of second language learners using a sample of 370 third-grade students from immigrant families. The results from a cross-lagged panel model with three time-points show that general vocabulary knowledge predicted mathematics performance (word problem solving and subject-specific vocabulary) after controlling for general cognitive abilities and preliminary skills. Additionally, grammar proficiency predicted significantly subject-specific vocabulary. None of the included language skills were associated with later arithmetic skills. A reciprocal lagged correlation was found between general vocabulary knowledge and subject-specific vocabulary. Moreover, findings suggest that changes in language skills were significantly correlated with changes in mathematical word problem solving and subject-specific vocabulary.
Einleitung
Die Ergebnisse aus Schulleistungsstudien belegen, dass Kinder und Jugendliche aus zugewanderten Familien ein deutlich geringeres Kompetenzniveau in Mathematik erreichen als Heranwachsende ohne Zuwanderungshintergrund (z.B. Henschel, Heppt, Weirich, Edele, Schipolowski & Stanat, 2019; Rjosk, Haag, Heppt & Stanat, 2017). Lernende, deren Familiensprache nicht der Instruktionssprache entspricht, verfügen häufig über vergleichsweise geringer ausgeprägte Sprachkompetenzen1 (z.B. Tarelli, Schwippert & Stubbe, 2012), die u.a. durch einen späteren Beginn des Erwerbs der Instruktionssprache und eingeschränkte sprachliche Lerngelegenheiten in der Familie erklärbar sind (vgl. Kempert et al., 2016). Als Folge können die sprachlichen Anforderungen des Mathematikunterrichts für diese Kinder eine Hürde beim Erlernen der Fachinhalte bilden. Es wird deshalb davon ausgegangen, dass der Kompetenznachteil dieser Schülerinnen und Schüler in Mathematik unter anderem auf die unzureichende Beherrschung der Instruktionssprache zurückzuführen ist (z.B. Kempert et al., 2016; Paetsch, 2016; Stanat, 2006).
Der Zusammenhang zwischen sprachlichen und mathematischen Kompetenzen ist durch zahlreiche empirische Studien belegt (Kempert, Saalbach & Hardy, 2011; Paetsch, Felbrich & Stanat, 2015; Peng & Lin, 2019; Ufer & Bochnik, 2020; Vilenius-Tuohimaa, Aunola & Nurmi, 2008). Es sind dabei nicht nur die Leistungen in sprachlich anspruchsvollen Textaufgaben, sondern auch die Leistungen in spracharmen Rechenaufgaben mit den sprachlichen Kompetenzen der Lernenden assoziiert (z.B. Fuchs, Compton, Fuchs, Hollenbeck, Carddock & Hamlett, 2008; Korpipää et al., 2017; Paetsch et al., 2015; Ufer & Bochnik, 2020). Dies stützt die Annahme, dass sprachliche Fähigkeiten nicht nur zur Bewältigung der sprachlichen Anforderungen von Aufgaben, sondern insbesondere im Erwerbskontext und bei der individuellen Wissenskonstruktion mathematischer Inhalte eine bedeutsame Ressource darstellen.
Sprachkompetenz ist ein Konstrukt, das aus verschiedenen Dimensionen besteht, die sich unterschiedlich entwickeln können. Differenziert werden produktive und rezeptive Prozessdimensionen, mündliche und schriftsprachliche Modaldimensionen sowie lexikalische, syntaktische und diskursive formal-linguistische Teilbereiche (für einen Überblick siehe Jude & Klieme, 2007; Weinert, 2010). Auch die mathematische Kompetenz wird mehrdimensional konzeptualisiert. Unterschieden werden inhalts- und prozessbezogene Kompetenzen (Winkelmann, Robitzsch, Stanat & Köller, 2012), sowie Facetten, die prozedurale, schematisierbare Anforderungen (z.B. Rechnen) und konzeptuelle Anforderungen (z.B. mathematisches Modellieren) enthalten (vgl. Ufer & Bochnik, 2020).
Eine differenzierte Betrachtung, in der verschiedene Kompetenzfacetten voneinander unterschieden werden, ermöglicht die Identifikation ihrer relativen Bedeutsamkeit für Lernprozesse (z.B. Paetsch et al., 2015; Ufer & Bochnik, 2020). Zur Frage, welche spezifischen sprachlichen Teilkompetenzen einen Zusammenhang mit (spezifischen) mathematischen Kompetenzen aufweisen, liegen bislang allerdings nur wenige empirische Ergebnisse vor (z.B. Paetsch et al., 2015; Ufer & Bochnik, 2020). Erkenntnisse in diesem Bereich könnten zu einem besseren Verständnis der Wirkung von Sprache auf den mathematischen Kompetenzerwerb beitragen. So wird vermutet, dass „not all language skills are relevant to math learning at all grades to the same degree“ (Chen & Chalhoub-Deville, 2016, S. 600). Zudem fehlt es an längsschnittlichen Untersuchungen, welche die Wirkrichtungen von Zusammenhängen sprachlicher und mathematischer Kompetenzfacetten abbilden können.
Die vorliegende Studie knüpft an diesem Forschungsdesiderat an. Ziel ist die Untersuchung der längsschnittlichen Zusammenhänge sprachlicher Teilkompetenzen (allgemeine Wortschatz- und Grammatikkenntnisse sowie Leseverständnis) mit mathematischen Fähigkeiten (Arithmetik, Textaufgaben, Fachwortschatz) von Grundschulkindern nicht-deutscher Familiensprache anhand von drei Messzeitpunkten. Konkret wird der Frage nachgegangen, ob und inwieweit die sprachlichen Kompetenzen einen Beitrag zur Vorhersage späterer mathematischer Kompetenzen leisten. Aufgrund des längsschnittlichen Erhebungsdesigns ist es möglich, bestehende Beziehungsgefüge und zudem wechselseitige Effekte anhand eines Cross-Lagged-Panel-Designs näher zu beleuchten.
Die Bedeutung von sprachlichen Kompetenzen für das fachliche Lernen: Wortschatz, Grammatik und Leseverstehen
Sprache ist beim fachlichen Lernen in mehrfacher Hinsicht zentral bedeutsam: Sprache ist das Medium sowohl der unterrichtlichen Kommunikation als auch der individuellen Konstruktion von Wissen und zudem eine unverzichtbare Ressource beim Verständnis von Testaufgaben und dem Abruf von Gelerntem (Kempert, Schalk & Saalbach, 2019). Ausgehend von alltagssprachlichen Fähigkeiten spielt zunehmend das Register der Bildungssprache als fächerübergreifendes sprachliches Fundament eine entscheidende Rolle für den Kompetenzerwerb im Unterricht (Heppt, Henschel & Haag, 2016). Als konzeptuell schriftsprachliches Register weist es eine hohe Überlappung mit fachsprachlichen Registern auf (Lange, 2020). Letztere verfügen jedoch mit fachspezifischen Charakteristika auf lexikalischer, grammatischer und diskursiver Ebene zusätzlich über eine relative Eigenständigkeit. Die lexikalische Ebene umfasst den verfügbaren (Alltags-)Wortschatz, der durch Exposition, Ableitung und Differenzierung um bildungssprachliche und fachsprachliche Anteile erweitert wird. Die grammatische (oder auch syntaktische) Ebene beschreibt Kenntnisse des Aufbaus von Sätzen einschließlich der Flexion von Wörtern und zeichnet sich in bildungs- und fachsprachlichen Kontexten durch zunehmende Komplexität und Dekontextualisierung aus. Lexikalische und grammatische Kenntnisse bilden die Grundlage für diskursive Fähigkeiten, die typische (fachspezifische) Interaktionsmuster, wie das Beschreiben, Erklären oder Argumentieren umfassen (vgl. Gogolin, 2009; Halliday, 1994).
Alltagswortschatz und Grammatikkenntnisse bilden aus dieser Perspektive nicht nur die Basis für eine gelingende Unterrichtskommunikation, sondern sind darüber hinaus auch eine Voraussetzung für den Prozess der Ableitung bzw. des Aufbaus von fachübergreifenden bildungssprachlichen Fähigkeiten sowie spezifischen fachsprachlichen Registern (Gogolin, 2009). Lücken im Wortschatz und im grammatischen Verständnis schränken somit nicht nur das Verständnis von Erklärungen, Instruktionen und den Austausch über fachliche Konzepte ein, sondern erschweren zudem auch die Erweiterung des Fachwortschatzes, z.B. durch Analogiebildung oder Begriffsdifferenzierung, sowie das Verständnis von zunehmend komplexen, dekontextualisierten grammatischen Konstruktionen. Ähnliche Einschränkungen sind zu erwarten, wenn fachliche Informationen in Form von Texten vorliegen. Einflussreichen theoretischen Modellen wie dem simple view of reading zufolge, setzt sich die Fähigkeit zum Leseverstehen durch die Wortlesefähigkeit und dem Sprachverständnis zusammen (Hoover & Gough, 1990). Schwache Wortschatz- und Grammatikkenntnisse bilden somit auch beim Verständnis von schriftlichen Erklärungen oder Instruktionen und in der Folge auch bei der Weiterverarbeitung und der Nutzung fachlicher Informationen eine Hürde.
Aus kognitiver Perspektive führt ein fehlendes Netzwerk von phonologisch-lexikalischen Einheiten dazu, dass neue Wörter zunächst ressourcenintensiv im Arbeitsgedächtnis repräsentiert werden müssen (Gathercole & Baddeley, 1993; Gathercole, Willis, Emslie & Baddeley, 1992). Anstatt einer weitestgehend automatisierten, implizit-prozeduralen Verarbeitung findet in diesen Fällen eine explizit-deklarative Verarbeitung verbalen Materials statt, die mit einer höheren Belastung kognitiver Ressourcen, insbesondere des Arbeitsgedächtnisses verbunden ist (vgl. Declarative/Procedural Model; Ullman, 2001, 2016). Die beanspruchten Ressourcen stehen der eigentlichen fachbezogenen Kommunikation infolge nur eingeschränkt zur Verfügung. Obwohl weniger gut untersucht, können ähnliche Zusammenhänge auch für grammatisches Verständnis und Arbeitsgedächtnis sowie zentraler Exekutive angenommen werden (vgl. de Abreu, Gathercole & Martin, 2011; Delage & Frauenfelder, 2020; Verhagen & Leseman, 2016).
Dies hat Folgen sowohl für eher lehrkraftzentrierte Unterrichtskommunikation als auch für offenere Unterrichtssituationen, in denen sich die Schülerinnen und Schüler über fachliche Inhalte austauschen und gemeinsam Problemlösungen erarbeiten (z.B. Ahrenholz, 2010). Aus konstruktivistischer Perspektive spielen diese sozialen Aushandlungsprozesse insbesondere bei der Aneignung konzeptuellen Wissens eine entscheidende Rolle (z.B. Reusser, 2001). Durch den aktiven Abgleich eigener Wissensbestände mit denen anderer Personen und der schrittweisen Anpassung von Begriffen wird konzeptuelles Wissen nach und nach konstruiert. Fehlen die sprachlichen Mittel für diese Aushandlungsprozesse und sind zudem die kognitiven Ressourcen durch die Erschließung unbekannter Wörter und komplexer Grammatik beansprucht, ist der fachliche Kompetenzerwerb gefährdet. Fachbezogene kognitive Operationen, wie das Anwenden von Konzepten zum Problemlösen oder Transferleistungen sind dann nur sehr eingeschränkt möglich (Morek & Heller, 2012).
Sprachliche Anforderungen beim Erwerb mathematischer Kompetenzen
Auch beim Erwerb mathematischer Kompetenzen spielt Sprache in ihrer kommunikativen und kognitiven Funktion eine wichtige Rolle. Bereits Grundschulkinder sind gefordert ein konzeptuelles Verständnis mathematischer Begriffe, Operationen und Prinzipien zu entwickeln und sich fachsprachliche Kompetenzen anzueignen (z.B. Moschkovich, 2015; Prediger, 2010). Neben der allgemeinen Unterrichtskommunikation wird dabei der aktiven Auseinandersetzung und dem sozialen Austausch im Mathematikunterricht ein besonderer Stellenwert für den Kompetenzerwerb in allen Facetten (z.B. auch in Arithmetik für den Aufbau von Operationsvorstellungen des Rechnens) zugesprochen (Moschkovich, 2015, 2018; Moschkovich & Zahner, 2018; Prediger, 2010, 2019). Die im mathematischen Kontext verwendete Sprache unterscheidet sich dabei zunehmend von der in anderen schulischen Lernsituationen verwendeten Sprache in Hinblick auf verschiedene sprachliche Merkmale (Maier & Schweiger 1999; Pimm, 1987). Die mathematikspezifischen sprachlichen Besonderheiten finden sich in lexikalischer, in syntaktischer sowie in diskursiver Hinsicht und werden zusammenfassend mit dem Begriff des mathematischen Registers bezeichnet (z.B. Erath, Prediger, Quasthoff & Heller, 2018; Pimm, 1987; Prediger et al., 2019; Riccomini, Smith, Hughes & Fries, 2015; Schindler, Opitz, Cadonau-Bieler & Ritterfeld, 2019; Schleppegrell, 2007). Dabei werden lexikalische und syntaktische Kompetenzen häufig als Voraussetzung für diskursive Kompetenzen konzeptualisiert (vgl. Schleppegrell, 2007; Snow & Uccelli, 2009). Das mathematische Register ist durch verschiedene Arten von Fachwörtern charakterisiert (Maier & Schweiger, 1999; Pimm, 1987; Schleppegrell, 2007). Neben mathematischen Fachausdrücken, die nicht in der Alltagssprache vorkommen, werden alltagssprachliche Begriffe verwendet, die in der Alltagssprache eine andere Bedeutung haben (z.B. Gerade, Produkt, Wurzel). Zudem werden Wörter verwendet, die in der Alltagssprache in gleicher oder ähnlicher Bedeutung vorkommen (z.B. Fläche, Dreieck). Die Beherrschung des mathematischen Fachwortschatzes ist dabei explizit ein Ziel des Mathematikunterrichts und somit nicht nur Lernmedium, sondern zugleich Lerngegenstand (KMK, 2004).
Ein weiteres Merkmal der mathematischen Sprache ist die häufige Verwendung grammatischer Strukturen, die im Alltag seltener zur Anwendung kommen, wie bspw. Nominalisierungen oder präpositionale Konstruktionen (Pimm, 1987; Schleppegrell, 2007). Neben den verbalen sprachlichen Fähigkeiten kann auch ein Einfluss der schriftsprachlichen Fähigkeiten auf den Erwerb mathematischer Kompetenzen in allen Facetten angenommen werden. Zum einen liegt dieser Zusammenhang in den für das Leseverstehen notwendigen Wortschatz- und Grammatikkenntnissen begründet (vgl. simple view of reading), zum anderen werden Instruktionen, Merksätze oder Übungsaufgaben in der Regel schriftlich dargeboten und können im Falle von schwachen schriftsprachlichen Fähigkeiten als Lerngelegenheiten nur eingeschränkt genutzt werden.
Besonders augenfällig sind sprachliche Anforderungen bei mathematischen Textaufgaben. Syntaktische Merkmale der Textbasis spielen eine besondere Rolle für die Ableitung eines korrekten mentalen Modells der Aufgabenstellung (Dröse & Prediger, 2020; Haag, Heppt, Stanat, Kuhl & Pant, 2013; Prediger, Wilhelm, Büchter, Gürsoy & Benholz, 2018). Die spezifische Anforderung von Textaufgaben liegt somit nicht in der Lösung einer Rechenaufgabe, sondern in der Konstruktion eines adäquaten mentalen Modells der (schrift-)sprachlich vermittelten Situation und dessen Verknüpfung mit mathematischen Operationen (vgl. Verschaffel, Greer & De Corte, 2000).
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die besonderen Eigenschaften der für den Mathematikerwerb relevanten Sprache auf Ebene von Wortschatz, Grammatik und in der Folge in Texten und diskursiven Unterrichtsbestandteilen zu finden sind. Für die Entwicklung eines entsprechenden fachsprachlichen Registers bilden die jeweiligen alltagsprachlichen Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler eine entscheidende Voraussetzung. Schwächen in diesen sprachlichen Kompetenzen sowie der integrierten Kompetenz des Leseverstehens führen mit hoher Wahrscheinlichkeit auch zu kommunikativen und kognitiven Hürden beim mathematischen Lernen (Morek & Heller, 2012; Prediger, 2013; Prediger, Erath & Moser Opitz, 2019). Welche relative Bedeutsamkeit verschiedene sprachliche Teilkompetenzen dabei einnehmen, lässt sich aus den vorliegenden theoretischen Annahmen bisher jedoch nicht ableiten.
Besondere sprachliche Herausforderungen für Kinder nicht-deutscher Familiensprache in Mathematik
Der Zusammenhang von Sprache und fachlichem Lernen gilt für Lernende im Allgemeinen, nimmt aber für Kinder mit schwachen sprachlichen Kompetenzen einen besonderen Stellenwert ein. Da die Kontaktdauer mit der Instruktionssprache für mehrsprachige Kinder oftmals verkürzt ist, bieten sich ihnen typischerweise weniger Lerngelegenheiten für ihren Erwerb als monolingual einsprachigen Kindern. Dementsprechend haben zahlreiche empirische Studien gezeigt, dass Heranwachsende, die in ihren Familien ausschließlich oder überwiegend die Instruktionssprache sprechen, im Durchschnitt über bessere sprachliche Kompetenzen verfügen als Heranwachsende deren Familiensprache nicht der Instruktionssprache entspricht2 (z.B. 32-2Heppt, Henschel & Haag, 2016). Folglich sind diese Schülerinnen und Schüler mit besonderen Herausforderungen beim fachlichen Lernen in Mathematik konfrontiert (vgl. Kempert et al., 2016). Das betrifft Lernende mit eher basalen Sprachkompetenzen, deren Zweitspracherwerb erst kürzlich begonnen hat, aber auch Lernende, die wenig Vertrautheit mit bildungssprachlichen Anforderungen aufweisen (vgl. Heppt, 2016 für einen Überblick zum Diskurs zur Bildungssprache). Letzteres kann auch auf einsprachig aufwachsende Lernende zutreffen, die wenig außerschulischen Kontakt mit schulrelevanten sprachlichen Registern haben (Heppt, Haag, Böhme & Stanat, 2015).
Fehleranalysen von Sprachprodukten in Deutsch weisen darauf hin, dass mehrsprachige Lernende spezifische Problembereiche häufiger aufweisen als einsprachig deutsch aufwachsende Lernende. Diese Unterschiede finden sich vor allem in Bezug auf sprachliche Mittel (z.B. Benholz & Lipkowski, 2008; Fix, 2002), die dazu dienen Beziehungen herzustellen, und deren Relevanz für mathematische Lernprozesse bereits gezeigt werden konnte (Prediger, 2013, Prediger, Wilhelm, Büchter, Gürsoy & Benholz, 2015, vgl. auch Prediger & Wessel, 2018). Inwiefern die identifizierten sprachlichen Anforderungen in Mathematik besonders für mehrsprachige Schülerinnen und Schüler mit eingeschränkten Kompetenzen in der Instruktionssprache eine Herausforderung darstellen oder ob sie gleichermaßen für einsprachige Lernende mit weniger gut ausgeprägten sprachlichen Fähigkeiten gelten, lässt sich aufgrund des aktuellen Forschungsstandes nicht feststellen (vgl. Prediger & Wessel, 2018).
Empirische Befunde zum Zusammenhan mathematischer und sprachlicher Kompetenzen
Der Zusammenhang zwischen sprachlichen und mathematischen Kompetenzen wurde durch zahlreiche empirische Studien für unterschiedliche Altersgruppen (Benholz & Lipkowski, 2008; Fuchs et al., 2008; Peng & Lin, 2019; Powell, Driver, Roberts & Fall, 2017; Vilenius-Tuohimaa et al., 2008) und auch für mehrsprachige Lernende (Beal, Adams & Cohen, 2010; Heinze, Herwartz-Emden & Reiss, 2007; Kempert et al., 2011; Paetsch et al., 2015) belegt. Dabei scheint der Zusammenhang für Lernende mit gering ausgeprägten mathematischen Fähigkeiten stärker zu sein, als für Lernende mit hoch ausgeprägten Fähigkeiten (Chen & Chalhoub-Deville, 2016). Darüber hinaus weisen Ergebnisse aus Längsschnittuntersuchungen darauf hin, dass sprachliche Fähigkeit ein bedeutsamer Prädiktor für die mathematische Leistungsentwicklung ist, auch unter Kontrolle von allgemeinen kognitiven Grundfähigkeiten (Bailey, Oh, Farkas, Morgan & Hillemeier, 2020; Gut, Reimann & Grob, 2012; Mücke, 2007; Paetsch, Radmann, Felbrich & Lehmann, 2016; Viesel-Nordmeyer et al., 2020). Diese Zusammenhänge konnten für verschiedene mathematische Anforderungsbereiche nachgewiesen werden (Jõgi & Kikas, 2016; Ufer & Bochnik, 2020; Ufer, Reiss & Mehringer, 2013).
Die in den Studien eingesetzten Mathematikaufgaben enthalten häufig sprachlich basierte Aufgabenformate (z.B. Stanat, Schipolowski, Rjosk, Weirich & Haag, 2017), sodass die Zusammenhänge teilweise auf die sprachlichen Merkmale der Mathematikaufgaben zurückzuführen sein könnten (vgl. Abedi & Lord, 2001). Das Befundmuster insgesamt zeigt jedoch, dass die Effekte, die auf die sprachlichen Anforderungen von Testaufgaben zurückzuführen sind, vergleichsweise gering sind und auch die Unterschiede in den mathematischen Kompetenzen von ein- und mehrsprachigen Kindern nur zum Teil erklären können (z.B. Abedi & Lord, 2001; Haag, Heppt, Stanat, Kuhl & Pant, 2013; Kieffer, Lesaux, Rivera & Francis, 2009). Demzufolge ist es plausibel anzunehmen, dass der beobachtete Zusammenhang auf den Erwerbs- und Abrufprozess mathematischer Inhalte und Konzepte zurückzuführen ist (z.B. Kempert et al., 2019; Paetsch, 2016; Prediger et al., 2015).
Zur Frage, welche spezifischen sprachlichen Teilkompetenzen einen Zusammenhang mit mathematischen Kompetenzen aufweisen, liegen bislang nur wenige (insbesondere wenige längsschnittliche) empirische Ergebnisse vor (vgl. Bailey et al., 2020; Chen & Chalhoub-Deville, 2016). In den vorliegenden Studien wird häufig nur eine Sprachkompetenzfacette (z.B. Leseverständnis oder Wortschatz) betrachtet (Bailey et al., 2020; Korpipää et al., 2017; Powell et al., 2017; Vilenius-Tuohimaa et al., 2008). Einige empirische Untersuchungen belegen den Zusammenhang zwischen dem allgemeinen Sprachstand und mathematischen Fähigkeiten (Gut et al., 2012; Heinze et al., 2007; Mücke, 2007; Ufer & Bochnik, 2020). Um die Bedeutung einzelner sprachlicher Teilkompetenzen für den mathematischen Kompetenzerwerb bestimmen zu können, sind jedoch Studien notwendig, in denen die unterschiedlichen sprachlichen Kompetenzen differenziert erfasst sowie simultan in den Analysen berücksichtigt werden. Die hierzu verfügbaren Studienergebnisse sind widersprüchlich. Spencer, Fuchs und Fuchs (2020) untersuchten die Entwicklung der Fähigkeit Textaufgaben zu lösen von der zweiten bis zur vierten Jahrgangsstufe. Als signifikante Prädiktoren erwies sich die mündliche Sprachkompetenz, nicht jedoch die Wortflüssigkeit, nach Kontrolle der Vorleistungen im Rechnen und allgemeiner kognitiver Fähigkeiten. Beal und Kollegen (2010) berichten in ihrer Studie, dass lediglich das Leseverständnis ein signifikanter Prädiktor für das Lösen von Textaufgaben bei Zweitsprachenlernen den war, nicht jedoch das Hörverstehen, die mündliche Sprachkompetenz oder die Schreibkompetenz. In einer Studie von Kempert et al. (2011) erwies sich hingegen nur die mündliche Sprachkompetenz, nicht jedoch das Leseverständnis, als signifikanter Prädiktor für das Lösen von Textaufgaben bei mehrsprachigen Schülerinnen und Schülern. Weiterhin zeigten sich in der Studie von Paetsch und Kolleginnen (2015) Zusammenhänge zwischen Leseverstehen und allgemeinen Wortschatzkenntnissen mit den mathematischen Leistungen (u.a. Textaufgaben, Arithmetik) sowie zwischen Grammatik- und Fachwortschatzkenntnissen bei Kindern nicht-deutscher Familiensprache. In einer Längsschnittstudie (Paetsch & Felbrich, 2016) waren Lese- und Grammatikkompetenzen zu Beginn des Schuljahres zwar mit der Fähigkeit Textaufgaben zu lösen signifikant assoziiert, leisteten jedoch keinen Beitrag zur Vorhersage der Veränderung der Fähigkeit Textaufgaben zu lösen. Darüber hinaus zeigten in dieser Studie Schülerinnen und Schüler, die größere Leistungszuwächse im Leseverständnis oder in der Grammatikkompetenz aufwiesen, auch größere Leistungszuwächse der mathematischen Kompetenz (Paetsch & Felbrich, 2016). Viesel-Nordmeyer, Ritterfeld und Bos (2020) untersuchten Effekte sprachlicher Fähigkeiten auf mathematisches Lernen vom Vorschulalter bis in die Grundschule. In der Studie konnten Zusammenhänge zwischen Grammatikverständnis und Wortschatz mit mathematischen Leistungen nachgewiesen werden. Dabei zeigte sich allerdings nur für grammatische Kompetenz ein direkter Einfluss auf die weitere mathematische Entwicklung im Schulalter.
Weiterhin zeigen empirische Ergebnisse, dass der Zusammenhang zwischen mathematischen Fähigkeiten und Lesen zu Beginn der Grundschulzeit teilweise durch die Vorläuferfähigkeiten phonologische Bewusstheit, Buchstabenkenntnis und Zählfertigkeit erklärt werden kann (Koponen, Aunola, Ahonen & Nurmi, 2007; Korpipää et al., 2017). In Untersuchungen von Kindern im Vorschulalter erwiesen sich zudem frühe mathematische Fähigkeiten als signifikante Prädiktoren späterer Lesekompetenz (Claessens & Engel, 2013; Duncan et al., 2007). Erklärt wird dieser Befund damit, dass „early mathematics assessments and later reading assessments both capture more general skills, such as critical thinking and comprehension“ (Purpura, Logan, Hassinger-Das & Napoli, 2017, S.1639). In der Studie von Purpura und Kollegen (2017) waren die vorschulischen mathematischen Fähigkeiten ein signifikanter Prädiktor für die Entwicklung vorschulischer Literacy, wobei dieser Zusammenhang vollständig über die mathematische Sprachfähigkeit (Fachwortschatz) mediiert wurde. Die Autoren interpretieren das Ergebnis als Hinweis darauf, dass frühe mathematische Fähigkeiten mit spezifischen sprachlichen Fähigkeiten assoziiert sind, die durch die Messung früher sprachlicher Fähigkeiten (z.B. phonologische Bewusstheit, allgemeiner Wortschatz) nicht adressiert wurden, jedoch durch den mathematischen Fachwortschatz abgebildet werden konnten (Purpura et al., 2017).
Die Bedeutung fachsprachlicher Kompetenzen für das Mathematiklernen in der Grundschule wurde von Ufer und Bochnik (2020) genauer untersucht. In der Studie zeigte sich, dass mathematischer Fachwortschatz und mathematisches Textverständnis einen substantiellen, über den der allgemeinen sprachlichen Fähigkeiten hinausgehenden Einfluss auf die Entwicklung der Fähigkeiten in Arithmetik hatte. Hingegen konnten Peng und Lin (2019) nur einen Zusammenhang von mathematischem Fachwortschatz mit Textaufgaben, nicht jedoch mit Rechnen nachweisen. In der Studie von Fuchs, Fuchs, Compton, Hamlett und Wang (2015) wurde der Zusammenhang zwischen allgemeinen sprachlichen Fähigkeiten und der Fähigkeit Textaufgaben zu lösen teilweise durch mathematikspezifisches Textverständnis mediiert.
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die vorliegenden Studien konsistent Zusammenhänge zwischen sprachlichen und mathematischen Kompetenzen zeigen. Vor allem für das Lösen mathematischer Textaufgaben haben nicht nur arithmetische Fähigkeiten, sondern auch (fach-)sprachliche Voraussetzungen besondere Relevanz (Fuchs et al., 2015; Jõgi & Kikas, 2016; Paetsch & Felbrich, 2016; Rösch & Paetsch, 2011). Welchen spezifischen Stellenwert die verschiedenen sprachlichen Teilkompetenzen haben, ist bislang jedoch ungeklärt. Die Befunde sind hier nicht eindeutig und die Stichproben in den Studien unterscheiden sich in Hinblick auf Alter und Sprachhintergrund der Kinder. Weitere Erkenntnisse könnten zu einem besseren Verständnis der Bedeutung von Sprache im mathematischen Kompetenzerwerb beitragen und Hinweise für die Gestaltung von Interventionen liefern (Dröse & Prediger, 2020). Aufgrund der vorliegenden längsschnittlichen Befunde lassen sich auch wechselseitige Zusammenhänge zwischen (verschiedenen) sprachlichen und (verschiedenen) mathematischen Fähigkeiten annehmen (Paetsch & Felbrich, 2016; Purpura et al., 2017; Viesel-Nordmeyer et al., 2020). Dabei erweist sich die Frage nach dem Beziehungsgefüge der beiden Kompetenzbereiche für Schülerinnen und Schülern nicht-deutscher Familiensprache als besonders relevant, da sie durchschnittlich geringere Kompetenzen in der Instruktionssprache Deutsch und in Mathematik aufweisen als monolingual einsprachige Kinder (vgl. Heppt et al., 2016; Chen et al., 2016).
Die vorliegende Studie
Die vorliegende Studie knüpft hier an und untersucht längsschnittliche Zusammenhänge zwischen mathematischen und sprachlichen Fähigkeiten bei Kindern nicht-deutscher Familiensprache. Die Studie beruht dabei auf Daten, mit denen bereits Analysen zum Zusammenhang zwischen sprachlichen und mathematischen Fähigkeiten durchgeführt wurden. In der Studie von Paetsch et al. (2015) wurden komplexe querschnittliche Zusammenhänge zwischen den sprachlichen Teilkompetenzen Grammatik, Lesen, Wortschatz und den mathematischen Leistungen (Arithmetik, Textaufgaben und Fachwortschatz) untersucht. In einer weiteren Studie (Paetsch & Felbrich, 2016) wurden längsschnittliche Zusammenhänge zwischen Leseverstehen, Grammatikkompetenz und der Fähigkeit Textaufgaben zu lösen im Zeitraum eines Schuljahres analysiert.
Das übergeordnete Ziel der vorliegenden Studie ist es, das komplexe Zusammenspiel sprachlicher und mathematischer Kompetenzentwicklung unter Kontrolle allgemeiner kognitiver Fähigkeiten näher zu betrachten. Im Fokus stehen dabei die mathematischen Fähigkeiten in den Bereichen Arithmetik, Textaufgaben und mathematischer Fachwortschatz sowie die Fähigkeiten in den sprachlichen Bereichen Leseverständnis, allgemeiner Wortschatz und Grammatik. Betrachtet wird der Zeitraum vom Beginn der dritten bis zur Mitte der vierten Jahrgangsstufe anhand von drei Messzeitpunkten (t1, t2, t3). Diese Studie geht somit über die bereits vorliegenden Analysen in mehrfacher Hinsicht hinaus: 1. Es werden komplexe Zusammenhänge zwischen verschiedenen mathematischen und sprachlichen Teilkompetenzen im Längsschnitt untersucht, 2. in einem Zeitraum von 1,5 Jahren mit drei Messzeitpunkten, 3. untersucht wird die wechselseitige Vorhersagekraft der Kompetenzfacetten.
Aufgrund des dargelegten theoretischen Hintergrunds und der verfügbaren empirischen Belege zur Bedeutung von Sprache beim Erwerb und bei der Nutzung mathematischer Kompetenzen wird erwartet, dass sprachliche Kompetenzen einen signifikanten Beitrag zur Vorhersage der mathematischen Leistungen in Arithmetik, Textaufgaben und Fachwortschatz leisten (nach Kontrolle der Vorleistungen und der allgemeinen kognitiven Fähigkeiten). Für die vorliegenden Daten ist bereits bekannt, dass dies für Leseverstehen und Grammatik und die Fähigkeit Textaufgaben zu lösen nicht zutrifft (Paetsch & Felbrich, 2016). Die Prüfung folgender Hypothesen (H) geht daher über die Untersuchung dieser Zusammenhänge hinaus und erweitert den Analysefokus:
H1: Sprachliche Kompetenzen (Wortschatz, Lesen, Grammatik) leisten einen signifikanten Beitrag zur Vorhersage der arithmetischen Fähigkeiten unter Kontrolle der Vorleistung.
H2: Sprachliche Kompetenzen (Wortschatz, Lesen, Grammatik) leisten einen signifikanten Beitrag zur Vorhersage des mathematischen Fachwortschatzes unter Kontrolle der Vorleistung.
H3: Der allgemeine Wortschatz leistet einen signifikanten Beitrag zur Vorhersage der Fähigkeit Textaufgaben zu lösen unter Kontrolle der Vorleistung.
H4: Kenntnisse des mathematischen Fachwortschatzes leisten einen signifikanten Beitrag zur Vorhersage der arithmetischen Fähigkeiten und zur Fähigkeit Textaufgaben zu lösen unter Kontrolle der Vorleistung.
Darüber hinaus soll in der Studie der Frage nachgegangen werden, ob sich signifikante reziproke Effekte, d.h. eine Vorhersage sprachlicher Fähigkeiten durch mathematische Kompetenzen feststellen lässt.
H5: Aufgrund der geschilderten Befunde (Purpura et al., 2017) erwarten wir nur für den mathematischen Fachwortschatz einen signifikanten Beitrag zur Vorhersage sprachlicher Fähigkeiten.
Um sicherzustellen, dass die gefundenen Zusammenhänge nicht auf allgemeine kognitive Grundfähigkeiten der Kinder zurückzuführen sind, werden diese in allen Analysen als Kontrollvariable berücksichtigt.
Methode
Stichprobe
Für die vorliegenden Analysen wurden Prä-, Posttest- und Follow-up-daten einer Interventionsstudie herangezogen. Die Intervention zielte darauf ab, zwei Sprachförderansätze vergleichend zu untersuchen (BeFo-Projekt: Bedeutung und Form: Fachbezogene und sprachsystematische Förderung in der Zweitsprache; Rösch & Stanat, 2011). Im Rahmen der Interventionsstudie wurden zwei Sprachfördermaßnahmen zusätzlich zum regulären Unterricht für 90 Minuten pro Woche über einen Zeitraum von einem Schuljahr in der dritten Jahrgangsstufe umgesetzt. Ein Teil der Kinder (N = 130) wurde nach einem bedeutungsfokussierten Ansatz, in der das implizite Sprachenlernen im Vordergrund stand, gefördert. Der zweite Förderansatz (N = 130) beinhaltete dagegen eine formfokussierte Sprachförderung durch sprachsystematischen Unterricht. Eine dritte Gruppe (N = 110), die ein Schuljahr später die Förderung erhielt, diente als Kontrollgruppe. Die randomisierte Zuweisung zu den Gruppen erfolgte zu Beginn des dritten Schuljahres. Im vorliegenden Beitrag werden die zu Beginn und zum Ende der dritten sowie die in der Mitte der vierten Jahrgangsstufe erhobenen Leistungen verwendet.
Die teilnehmenden Kinder kamen aus 15 Berliner Grundschulen mit einem Anteil an Kindern mit Zuwanderungshintergrund von über 50% und einem hohen Anteil an sozial schwachen Familien. Um zu gewährleisten, dass an der Intervention nur Kinder nicht-deutscher Familiensprache mit Sprachförderbedarf teilnahmen, wurden die Kinder in einem zweistufigen Prozess ausgewählt. Am Ende der zweiten Jahrgangsstufe wurden alle Kinder der teilnehmenden Schulen, die angaben, mit mindestens einem Elternteil eine andere Sprache als Deutsch zu sprechen, mit einem Screening-Verfahren im Hinblick auf ihre Deutschkompetenzen untersucht. Kinder, deren Testwerte mehr als eine Standardabweichung über dem Mittelwert der Gesamtgruppe lagen, wurden von der Studie ausgeschlossen, da bei diesen Kindern von gut entwickelten Sprachkompetenzen auszugehen ist. Schülerinnen und Schüler, die geringere Testwerte erzielten, konnten an der Studie freiwillig teilnehmen. Die Stichprobe der vorliegenden Studie besteht aus den 370 Kindern, die zur Studie angemeldet wurden und am ersten Erhebungszeitpunkt mindestens an einem Testtag teilnahmen.
Die Kinder stammten aus insgesamt 102 meist jahrgangsübergreifenden Lerngruppen. Durchschnittlich 3.6 Kinder besuchten eine gemeinsame Lerngruppe (SD = 2.3). Die Kinder waren am Anfang der dritten Jahrgangsstufe im Durchschnitt 8;5 Jahre alt (SD = 0.79); etwas mehr als die Hälfte der Kinder sind Mädchen (54.3%). Alle teilnehmenden Kinder sprechen mit ihren Eltern mindestens auch eine andere Sprache als Deutsch oder eine Kombination aus Deutsch und einer weiteren Sprache, wobei 45.4% der Kinder mit ihren Eltern Türkisch, 22.2% Arabisch, 5.9% Serbisch oder Bosnisch, 5.9% Albanisch, 4.3% Russisch, 3.8% Polnisch, 2.2% Kurdisch und 10.3% sonstige Sprachen sprechen. Die Mehrzahl der Eltern (44.3%) gab an, dass sie mit ihren Kindern überwiegend eine andere Sprache als Deutsch sprechen, während 34.3% angaben, meistens Deutsch mit ihren Kindern zu sprechen. Für 21.4% der Kinder liegen keine Informationen zur Häufigkeit des Sprachgebrauchs in der Familie vor.
Instrumente
Allgemeine Rahmenbedingungen. Die allgemeinen kognitiven Grundfähigkeiten wurden bereits am Ende der zweiten Jahrgangstufe im Rahmen des Screenings erfasst. Die längsschnittliche Datenerhebung fand zu Beginn und zum Ende des dritten Schuljahres sowie in der Mitte des vierten Schuljahres statt. Zu allen Messzeitpunkten wurden dieselben Tests eingesetzt.
Mathematische Kompetenzen. Zur Erfassung der arithmetischen Fähigkeiten wurde die acht Aufgaben umfassende Subskala Arithmetik (α t1 = .77, α t2 = .80, α t3 = 80) des DEMAT 2 + eingesetzt (Krajewski, Liehm & Schneider, 2004).
Zur Erfassung der Fähigkeit Textaufgaben zu lösen wurde die vier Aufgaben umfassende Skala Textaufgaben des DEMAT 2 + (Krajewski et al., 2004) um vier weitere, den DEMAT-Aufgaben ähnelnde Textaufgaben ergänzt (α t1 = .75, α t2 = .83, α t3 = 74).
Die sprachliche Komplexität der Aufgaben wurde anhand einer Kurzversion des Kodierschemas von Haag und Kollegen (2013) bestimmt. Drei geschulte Kodierer haben die Aufgaben in Hinblick auf ihre sprachliche Komplexität getrennt voneinander beurteilt3. Die Skala Arithmetik enthält nur ein einziges Wort (Rechne!) und kann somit als eine Skala ohne sprachliche Anforderung aufgefasst werden. Die Skala Textaufgaben ist mit einer Anzahl von 30 Sätzen in acht Aufgaben sprachlich umfangreich, wobei auch hier insgesamt nur drei Konnektoren und drei Nominalisierungen enthalten sind.
Fachwortschatz. Zur Erfassung des rezeptiven mathematischen Fachwortschatzes wurde ein Instrument entwickelt, dass das Verständnis von zentralen, in der Grundschule verwendeten mathematischen Fachwörtern (z.B. addieren, Summe) in Mathematik überprüft. Die Kinder sollten aus vier Antworten die richtige Wortbedeutung auswählen. Der Test enthielt 15 Items4 (α t1 = .64, α t2 = .58, α t3 =.61).
Grammatik. Da für die Prüfung grammatischer Kompetenzen von Grundschulkindern keine standardisierten Tests, die im Gruppenverfahren einsetzbar sind, zur Verfügung standen, wurde ein neues Instrument entwickelt5. Die Entwicklung der Aufgaben erfolgte theoriegeleitet auf der Grundlage von Entwicklungsstufen der ausgewählten grammatischen Bereiche (z.B. Apeltauer, 1997; Grießhaber, 2007). Der Test erfasst produktive grammatische Fähigkeiten in fünf Bereichen, die für Kinder mit Deutsch als Zweitsprache als schwierig gelten (Rösch, 2003): Konjugation von Verben, Deklination von Artikeln, Pluralbildung, Wortstellung sowie Deklination von Pronomen. Der Grammatiktest enthielt insgesamt 54 Aufgaben (α t1 = .90, α t2 = .90, α t3 = 91).
Leseverständnis. Zur Erfassung des Leseverständnisses wurde eine verkürzte Version der ELFE 1–6 (Lenhard & Schneider, 2006) verwendet. Eingesetzt wurden fünf Geschichten mit 12 Fragen zum Textverständnis (α t1 = .73, α t2 = .82, α t3 = 81).
Allgemeiner produktiver Wortschatz. Die produktiven Wortschatzkenntnisse wurden mit der Kurzversion des standardisierten Wortschatz- und Wortfindungstests (WWT 6–10; Glück, 2007) erfasst (α t1 = .81, α t2 = .83, α t3 = 84). Aus ökonomischen Gründen wurde das Verfahren als Gruppenverfahren adaptiert. Die Kinder mussten zu 40 vorgegebenen Bildern jeweils das passende Wort aufschreiben. Die korrekte Schreibung der Wörter spielte bei der Beurteilung keine Rolle.
Allgemeine kognitive Grundfähigkeiten. Die nonverbalen allgemeinen kognitiven Grundfähigkeiten wurden mit dem CFT 1 (Cattell's Culture Fair Intelligence Tests; Catell, Weiß & Osterland, 1997) erfasst. Eingesetzt wurden die drei Subskalen Klassifikationen, Ähnlichkeiten und Matrizen, die als Indikatoren der grundlegenden intellektuellen Leistungsfähigkeit gelten (α = .79).
Datenanalyse
Zur Überprüfung der Fragestellungen wurde ein Pfadmodell mit manifesten Variablen als Cross-Lagged-Panel-Design in Mplus (7.4) spezifiziert. Das Cross-Lagged-Panel-Design eignet sich zur Längsschnittuntersuchung, bei der dieselben Merkmale (z.B. X1, X2) zu mehreren Messzeitpunkten (t1 … tn) erhoben werden. Dabei kann die Stabilität jedes Merkmals über die Zeit und die wechselseitige Vorhersagekraft (z.B. von X1 zu t1 auf X2 zu t2 sowie von X2 zu t1 auf X1 zu t2) bestimmt werden (Bortz & Döring, 1995). Anhand des Cross-Lagged-Panel-Modells wurde überprüft, ob sich eine Variable zu t2 (t3), kontrolliert durch dieselbe Variable zu t1 (t2), durch eine weitere Variable zu t1 (t2) vorhersagen lässt. Modellschätzungen erfolgten unter Verwendung des robusten Maximum-Likelihood-Verfahrens (MLR), da es für nicht normalverteilte Daten geeignet ist. Zur Berücksichtigung fehlender Werte wurde das in Mplus implementierte Full-Information-Maximum-Likelihood-Verfahren (FIML) angewendet. Als Kontrollvariablen wurden die allgemeinen kognitiven Grundfähigkeiten einbezogen. Die Interventionsbedingungen, die auf die Förderung der sprachlichen Kompetenzen abzielten, wurden als weitere Kontrollvariablen (Dummy-Kodierung: Treatment 1 bzw. 2 vs. Kontrollgruppe) berücksichtigt. Die Beurteilung der Modellgüte erfolgte anhand des an den Freiheitsgraden relativierten χ 2-Wertes (χ 2/df), des Root Mean Square Error of Approximation (RMSEA) und des Confirmatory Fit Index (CFI). Von einer sehr guten (akzeptablen) Modellanpassung ist bei einem RMSEA < .05 (.08), CFI > .90 (.95) und bei χ 2/df < 2 (3) auszugehen (Hu & Bentler, 1999).
Ergebnisse
Tabelle 1 zeigt die deskriptiven Ergebnisse für die erfassten Kompetenzen zu allen Zeitpunkten und für die kognitiven Fähigkeiten. Da sich die untersuchte Stichprobe aus Schülerinnen und Schülern mit eher geringen Kompetenzen in der Instruktionssprache zusammensetzte (s.o.), lagen die sprachlichen Anfangsleistungen erwartungsgemäß im unteren Leistungsbereich. Auch in den mathematischen Kompetenzbereichen waren die durchschnittlichen Lösungshäufigkeiten zu t1 der Kinder gering, wobei die mittleren Lösungshäufigkeiten der Skalen Textaufgaben und Arithmetik ähnlich ausgeprägt waren. Die Kinder zeigten in allen Leistungsbereichen einen erheblichen signifikanten durchschnittlichen Lernzuwachs von t1 zu Beginn der dritten Jahrgangsstufe bis zu t2 am Ende der dritten Jahrgangsstufe. Der Lernzuwachs entsprach in allen Leistungsbereichen ungefähr einer Standardabweichung. Für den Zeitraum zwischen t2 und t3 (Mitte des vierten Schuljahres) fielen die durchschnittlichen Lernzuwächse geringer aus, waren jedoch auch signifikant (vgl. Tab. 1).
In Tabelle 2 sind die bivariaten Korrelationen zwischen den untersuchten Variablen zu allen Messzeitpunkten aufgelistet. Insgesamt lagen die Zusammenhänge zwischen r = .13 und r = .79. Alle Korrelationskoeffizienten sind auf dem 5%-Niveau signifikant.
Anhand eines Cross-Lagged-Panel-Modells mit manifesten Variablen wurden die wechselseitigen Effekte zwischen mathematischen und sprachlichen Kompetenzbereichen untersucht. Anhand des Modells kann bestimmt werden, ob sich über die Effekte der autoregressiven Pfade hinaus Varianz aufklären lässt. In Anlehnung an die formulierten Hypothesen wurden zwischen den mathematischen und sprachlichen Kompetenzen alle Cross-Lagged-Pfade sowie die Korrelationen der untersuchten Konstrukte zu beiden Messzeitpunkten spezifiziert. Die Ergebnisse sind in Abbildung 1 und Tabelle 3 dargestellt. Die Zusammenhänge mit den Kontrollvariablen kognitive Grundfähigkeiten und Treatment 1 bzw. 2 sind zur besseren Lesbarkeit nicht dargestellt, können jedoch dem elektronischen Supplement (ESM 1) entnommen werden. Die Modellanpassung war sehr gut (χ2 = 101.14, df = 60, χ2/df = 1.69, RMSEA = .04; CFI = .99).
Vorhersage der arithmetischen Fähigkeiten durch sprachliche Kompetenzen (H1)
In Bezug auf die arithmetischen Fähigkeiten konnten für beide Zeiträume keine signifikanten Effekte für Wortschatz, Lesen und Grammatik unter Kontrolle der arithmetischen Vorleistung nachgewiesen werden (kreuzverzögerte Pfade, siehe Abb. 1).
Vorhersage des mathematischen Fachwortschatzes durch sprachliche Kompetenzen (H2)
Für den mathematischen Fachwortschatz zu t2 erwiesen sich Wortschatz (β = .18) und Grammatik (β = .14) als signifikante Prädiktoren, unter Kontrolle der Vorleistung im Fachwortschatz. Für das Leseverständnis zeigte sich jedoch kein signifikanter Effekt. Analog klärten Wortschatz (β = .12) und Grammatik (β = .15) zu t2 signifikant Varianz des Fachwortschatzes zu t3 auf, Lesen jedoch nicht.
Vorhersage der Fähigkeit Textaufgaben zu lösen durch den Wortschatz (H3)
In Bezug auf die Leistungen in Textaufgaben zu t2 erwies sich der allgemeine Wortschatz zu t1 als signifikanter Prädiktor unter Kontrolle der Vorleistung (β = .12). Lesen und Grammatik leisteten hier keinen signifikanten Beitrag zur Varianzaufklärung (dies ist ein aus den vorherigen Studien bekannter Befund, vgl. Paetsch & Felbrich, 2016). Keine der sprachlichen Teilfähigkeiten leisteten einen signifikanten Effekt zur Vorhersage der Fähigkeit Textaufgaben zu lösen zu t3.
Fachwortschatz und mathematische Leistungsentwicklung (H4)
Die Fachwortschatzkenntnisse waren weder für die arithmetischen Fähigkeiten (zu t2 und t3) noch für die Fähigkeit Textaufgaben zu lösen (zu t2 und t3) ein signifikanter Prädiktor.
Reziproke Effekte (H5)
Reziproke Effekte betreffen die Vorhersage sprachlicher Fähigkeiten durch mathematische Fähigkeiten. Diesbezüglich lässt sich feststellen, dass ein signifikanter kreuzverzögerter Pfad von Fachwortschatz (t2) auf allgemeinen Wortschatz (t3) mit sehr kleiner Effektstärke im Modell identifiziert wurde (β = .09).
Über signifikante autoregressive Effekte für alle untersuchten Kompetenzbereiche (siehe Abb. 1) hinausgehend zeigte sich zudem, dass die arithmetischen Fähigkeiten zu t1 (t2) Varianz der Leistungen in Textaufgaben zu t2 (t3) aufklärten (β = .27 und β = .20). Gleichzeitig zeigten die Leistungen in Textaufgaben zu t1 (t2) einen signifikanten Effekt auf Arithmetik zu t2 (t3) (β = .19 und β = .29). Weiterhin waren die mathematischen Bereiche zu allen Messzeitpunkten miteinander korreliert, außer Fachwortschatz und Arithmetik zu t3 (siehe Tab. 3). Der allgemeine Wortschatz zu t1 (t2) hatte einen signifikanten Effekt auf Grammatik zu t2 (t3) (β = .19 und β = .14), der umgekehrte Effekt zeigte sich nur für t3 (β = .13). Grammatik zu t1 (t2) hatte einen signifikanten Effekt auf Lesen zu t2 (t3) (β = .45 und β = .14), der umgekehrte Effekt zeigte sich auch hier für den zweiten Zeitraum (β = .10). Ebenfalls waren die sprachlichen Bereiche zu allen Messzeitpunkten miteinander korreliert (siehe Tab. 3). Betrachtet man die Kovarianzen der Residuen (zu t2 bzw. t3) zwischen den sprachlichen und den mathematischen Fähigkeiten, lässt sich feststellen, dass die Fähigkeit Textaufgaben zu lösen signifikant mit Lesen und Grammatik zu t2 (siehe hierzu auch Paetsch & Felbrich, 2016) und t3 korrelierte. Für Wortschatz lässt sich dieser Effekt nur für t2 nachweisen. Für die arithmetischen Kompetenzen lagen hingegen keine signifikanten Kovarianzen mit Lesen, Grammatik und Wortschatz zu t2 und t3 vor. Für den Fachwortschatz waren signifikante Kovarianzen mit Wortschatz, Lesen, Grammatik zu t2 festzustellen (siehe Tab. 3).
Diskussion
Ein zentrales Ziel des vorliegenden Vorhabens war die längsschnittliche Untersuchung des komplexen Beziehungsgefüges zwischen spezifischen sprachlichen und mathematischen Kompetenzen. Anhand eines Cross-Lagged-Panel-Modells mit drei Messzeitpunkten wurde untersucht, inwieweit verschiedene sprachliche Teilkompetenzen einen Beitrag zur Vorhersage der mathematischen Kompetenzen unter Kontrolle der Vorleistungen liefern können. Untersucht wurde auch, ob reziproke Effekte vorliegen. Es wurden verschiedene Kompetenzfacetten in die Studie einbezogen: Konkret wurde geprüft, ob Wortschatzkenntnisse, Grammatikkompetenz und Leseverständnis bedeutsame Prädiktoren für die mathematische Leistungsentwicklung in den Bereichen Arithmetik, Textaufgaben und Fachwortschatz sind. Darüber hinaus wurde der Frage nachgegangen, ob Kenntnisse des mathematischen Fachwortschatzes einen signifikanten Beitrag zur Vorhersage der Fähigkeiten in Arithmetik und Textaufgaben leisten.
Die der Untersuchung zu Grunde liegende Stichprobe besteht aus Grundschulkindern nicht-deutscher Familiensprache mit durchschnittlich gering ausgeprägten allgemeinen sprachlichen Kompetenzen in der Instruktionssprache Deutsch. Die deskriptiven Ergebnisse zeigen entsprechend, dass die untersuchten Kinder im Durchschnitt in allen untersuchten Bereichen deutlich unter den für die Altersstufe erwartbaren Kompetenzen liegen. Darüber hinaus zeigten sich für alle sprachlichen und mathematischen Kompetenzbereiche signifikante Zuwächse innerhalb des untersuchten Zeitraums.
Die Ergebnisse der Analysen zeigen, dass keine der untersuchten sprachlichen Kompetenzbereiche einen signifikanten Beitrag zur Vorhersage der arithmetischen Fähigkeiten leisteten. Allgemeine Wortschatzkenntnisse und Grammatikkompetenz waren hingegen signifikante Prädiktoren der Fachwortschatzkenntnisse zum zweiten und zum dritten Messzeitpunkt. Für die Veränderung vom ersten zum zweiten Messzeitpunkt im Bereich Textaufgaben klärte der Wortschatz, nicht aber Lesen und Grammatik einen signifikanten Anteil der Varianz auf. Die Fachwortschatzkenntnisse waren weder für die arithmetischen Fähigkeiten noch für die Fähigkeit Textaufgaben zu lösen prädiktiv. Der Fachwortschatz erwies sich jedoch als ein signifikanter Prädiktor für allgemeine Wortschatzkenntnisse im zweiten Untersuchungszeitraum. Eine Vorhersage sprachlicher Fähigkeiten durch mathematische Kompetenzen konnte darüber hinaus nicht festgestellt werden. Insgesamt weisen die signifikanten Cross-Lagged-Pfade zwischen den mathematischen und sprachlichen Kompetenzen kleine Effektgrößen auf.
Konsistent mit theoretischen Annahmen und Ergebnissen aus bisherigen Studien stützen die Ergebnisse die These, dass der allgemeine Wortschatz für den Erwerb mathematischer Kompetenzen im Bereich Textaufgaben bedeutsam sind (z.B. Peng & Lin, 2019; Powell et al., 2017). Dabei bilden die Befunde der Studie eine Ergänzung der bisherigen Ergebnisse aus querschnittlichen Studien (Paetsch et al., 2015, Peng & Lin, 2019). Darüber hinaus lassen die Ergebnisse durch die simultane Berücksichtigung der Lese- und Grammatikkompetenz der Kinder auch Rückschlüsse auf spezifische Effekte des Wortschatzes zu. Dass weder die Lese- noch die Grammatikkompetenz einen Beitrag zur Vorhersage der Leistungen in Textaufgaben leisteten wurde bereits gezeigt (Paetsch & Felbrich, 2016), die hier vorgenommene Erweiterung des Untersuchungszeitraumes bestätigt diesen Befund (vgl. auch Kempert et al., 2011).
Für arithmetische Fähigkeiten leisteten weder Leseverstehen noch Wortschatzkenntnisse einen Beitrag zur Vorhersage der Leistungsveränderungen. Dieses Ergebnis stimmt mit vorherigen Befunden aus längsschnittlichen Untersuchungen bei Grundschulkindern überein, die keine Effekte allgemeiner Sprachkompetenzen für Rechenaufgaben nach Berücksichtigung des fachspezifischen Wortschatzes und der Vorleistungen identifizieren konnten (Ufer & Bochnik, 2020). Es erscheint grundsätzlich plausibel, dass mit zunehmendem sprachlichen und konzeptuellen Anspruch mathematischer Inhalte, wie es bei Textaufgaben der Fall ist, die Stärke des (längsschnittlichen) Zusammenhangs mit sprachlichen Teilkompetenzen zunimmt (Ufer, Reiss & Mehringer, 2013).
Erklärungsansätze für den Zusammenhang zwischen sprachlichen und mathematischen Fähigkeiten beziehen sich nicht nur auf allgemeine, domänenübergreifende sprachliche Kompetenzen, sondern auch auf fachspezifische Sprachfähigkeiten (z.B. Peng & Lin, 2019). Im Gegensatz zu Befunden von Ufer und Bochnik (2020) konnten jedoch keine Effekte der fachsprachlichen Wortschatzkenntnisse auf die Entwicklung in den getesteten mathematischen Teilbereichen nachgewiesen werden. Bei Ufer und Bochnik (2020) war der Fachwortschatz für die Fähigkeit Textaufgaben zu lösen (using concepts) prädiktiv, nicht jedoch für Rechnen (schematic skills). Die widersprüchlichen Befunde könnten auf nicht-kontrollierte Effekte des allgemeinen Wortschatzes bei Ufer und Bochnik (2020) oder mit Unterschieden in der Stichprobenzusammensetzung und in den eingesetzten Instrumenten zu erklären sein. Zwar zeigen auch die Ergebnisse von Peng und Lin (2019) Zusammenhänge zwischen Fachwortschatz und der Fähigkeit Textaufgaben zu lösen nach Kontrolle des allgemeinen Wortschatzes, allerdings handelt es sich dabei um querschnittliche Zusammenhänge, die auch in der vorliegenden Studie nachgewiesen wurden.
Die in Studien im Vorschulalter entgegengesetzte Wirkrichtung, wonach (frühe) mathematische Fähigkeiten sich als signifikante Prädiktoren späterer Lesekompetenz erwiesen haben (Claessens & Engel, 2013; Duncan et al., 2007, Purpura et al., 2017), zeigte sich in der vorliegenden Studie nicht. In der Studie von Purpura et al. (2017) wurde dieser Zusammenhang vollständig über fachsprachliche Fähigkeiten mediiert. Die Autoren sehen dies als Hinweis, dass durch Mathematikaufgaben (fach-)sprachliche Fähigkeiten erfasst werden, die durch allgemeine Sprachtests nicht abgebildet werden, jedoch auch für den Spracherwerb relevant sind (vgl. Purpura et al., 2017). Kongruent mit dieser Erklärung ist der identifizierte (sehr kleine) Effekt des Fachwortschatzes auf den allgemeinen Wortschatz in der vorliegenden Studie.
Die gefundenen Zusammenhänge zwischen den Leistungen in Textaufgaben mit den untersuchten sprachlichen Kompetenzbereichen zum zweiten Messzeitpunkt unter Kontrolle der Leistungen zum ersten Messzeitpunkt (Kovariation der Residuen) weisen darauf hin, dass nicht nur Zuwächse im Leseverständnis und Grammatik (vgl. Paetsch & Felbrich, 2016), sondern auch im Wortschatz und Fachwortschatz positiv mit Zuwächsen der Fähigkeit Textaufgaben zu Lösen assoziiert sind. Für Arithmetik konnten diese Zusammenhänge nur für den fachsprachlichen Wortschatz nachgewiesen werden.
Durch die längsschnittliche Betrachtung der sprachlichen Fähigkeiten wird erkennbar, dass sich die Kompetenzen der Kinder in allen Teilbereichen im betrachteten Zeitraum noch erheblich verbessern. Es scheint also weniger das Ausgangsniveau der sprachlichen Fähigkeiten in der Instruktionssprache für die Entwicklung der mathematischen Kompetenzen der untersuchten Kinder in der dritten Jahrgangsstufe bedeutsam zu sein, sondern vielmehr deren Sprachkompetenzentwicklung.
Insgesamt liefern die Befunde wichtige Hinweise darauf, dass Kinder nicht-deutscher Familiensprache mit eher gering ausgeprägten Sprachkompetenzen im Deutschen mit der Herausforderung konfrontiert sind, gleichzeitig mathematische Kompetenzen und Fähigkeiten in der Instruktionssprache entwickeln zu müssen. Unklar bleibt jedoch, welche Rolle Kontextfaktoren, wie beispielsweise die Unterrichtsqualität, das Lernklima, oder die familiäre Lernumgebung spielen. Die gefundenen Zusammenhänge könnten teilweise auch auf solche zeitstabilen Variablen zurückzuführen sein (z.B. Bailey et al., 2020).
Konkrete Ableitungen für die pädagogische Praxis aufgrund der vorliegenden Befunde müssen zurückhaltend ausfallen. Dass Kinder mit schwachen sprachlichen Voraussetzungen ausreichend Gelegenheiten und Unterstützung zur Entwicklung ihrer instruktionssprachlichen Fähigkeiten benötigen, erscheint trivial. Die Frage, ob eine Verbesserung der jeweiligen sprachlichen Kompetenzen in den Bereichen Lesen, Wortschatz und Grammatik auch zu einer Verbesserung der mathematischen Fähigkeiten führt und welche Konsequenzen sich daraus für die Gestaltung von sprachsensiblen Unterrichtsangeboten ziehen lassen, muss durch weitere Untersuchungen beantwortet werden. Auch die Frage, inwieweit fachsprachliche Fähigkeiten eine über die allgemeine Sprachkompetenz hinausgehende Bedeutung für mathematische Lernprozesse haben, bedarf weiterer Untersuchungen (vgl. Fuchs et al., 2015; Peng & Lin, 2019; Ufer & Bochnik, 2020).
Einschränkend ist anzumerken, dass in der vorliegenden Studie der allgemeine Wortschatz ausschließlich produktiv erfasst wurde. Weitere Untersuchungen sind daher notwendig, um zu klären, ob sich vergleichbare Zusammenhangsmuster auch unter Berücksichtigung rezeptiver Wortschatzkenntnisse zeigen. Der Einsatz von Verfahren, die rezeptiven Wortschatz (zusätzlich zum produktiven) erfassen, könnte in zukünftigen Studien dazu beitragen, dass Unterschiede aufgedeckt und Kompetenzen von Schülerinnen und Schüler im unteren Leistungsbereich stärker differenziert würden. Darüber hinaus könnte die Berücksichtigung spezifisch bildungssprachlichen Wortschatzes sowie umfassender fachsprachlicher Fähigkeiten neue Erkenntnisse liefern.
In der Studie wurden ausschließlich Kinder nicht-deutscher Familiensprache mit vergleichsweise geringen Kompetenzen in der deutschen Sprache untersucht. Weitere Merkmale der Sprachentwicklung der untersuchten Kinder, wie z.B. die Kontaktdauer oder -intensität mit der deutschen Sprache wurden nicht erfasst. Inwieweit die Befunde auch auf Kinder mit besseren Sprachkompetenzen und mit Deutsch als Erstsprache übertragbar sind, muss durch weitere Studien gezeigt werden. Befunde von Chen und Chalhoub-Deville (2016) deuten darauf hin, dass der Zusammenhang zwischen sprachlichen und mathematischen Fähigkeiten bei Kindern mit geringen mathematischen Kompetenzen stärker ausgeprägt ist.
Eine weitere Limitation der Studie liegt darin, dass zwar die allgemeinen kognitiven Grundfähigkeiten als Kontrollvariable berücksichtigt wurden, nicht jedoch das Arbeitsgedächtnis (vgl. Viesel-Nordmeyer et al., 2020). Zwar konnte in der Studie von Kyttälä, Aunio, Lepola und Hautamäki (2014) nur ein indirekter Effekt des Arbeitsgedächtnisses (über Hörverstehen) für das Lösen von mündlich präsentierten Textaufgaben nachgewiesen werden, ob dieser Befund auf schriftlich präsentierte Textaufgaben und arithmetische Aufgaben übertragbar ist, bleibt allerdings unklar. Weitere Einschränkungen liegen in der Aussagekraft des mathematischen Fachwortschatztests, durch die unbefriedigende interne Konsistenz sowie darin, dass keine a priori-Poweranalyse durchgeführt wurde, um vorher festgelegte Effekte mit einer bestimmten Sicherheit auch zu entdecken.
Zukünftige Längsschnittstudien zum Zusammenspiel von sprachlichen Fähigkeiten und mathematischen Kompetenzen sollten über einen längeren Zeitraum angelegt sein. Dies würde ermöglichen, die Effekte auch für fortgeschrittene Mathematik in der Sekundarstufe zu untersuchen. Gleichzeitig scheint nicht nur die Berücksichtigung sprachlicher, sondern auch mathematischer Kompetenzfacetten sowie die systematische Unterscheidung verschiedener Lernvoraussetzungen (z.B. Sprachhintergrund, Ausgangskompetenz) zu einem Erkenntnisgewinn beizutragen. Zusätzlich wären experimentelle Untersuchungen wünschenswert, um die Kausalzusammenhänge genauer zu klären (vgl. Bailey et al., 2020). Ob und inwieweit sich eine gezielte, wirksame Förderung der allgemeinen und fachlichen Sprachkompetenzen tatsächlich positiv auf die Entwicklung mathematischer Kompetenz auswirkt oder ein Förderansatz, der sprachliche und mathematische Kompetenzen integriert adressiert, besser geeignet ist, kann nur durch kontrollierte Interventionsstudien gezeigt werden (vgl. Prediger & Wessel, 2018). Die Berücksichtigung von Unterschieden in den sprachlichen Funktionen für verschiedene mathematische Bereiche, wie sie die vorliegende Studie nahelegt, könnte für die Gestaltung von Lernumgebungen hilfreich sein, indem spezifische, sprachbezogene Herausforderungen beim mathematischen Kompetenzerwerb adressiert werden (z.B. Erath et al., 2021).
Elektronisches Supplement (ESM)
Das elektronische Supplement ist mit der Online-Version dieses Artikels verfügbar unter https://doi.org/10.1024/1010-0652/a000342
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(
1Im Folgenden auch als Kinder „nicht-deutscher Familiensprache“ bzw. „mehrsprachige“ Lernende bezeichnet. „Geringe sprachliche Kompetenzen“ bezieht sich hier explizit nur auf die Instruktionssprache (hier: Deutsch), die Lernenden können in ihrer Erstsprache sehr gute Kompetenzen aufweisen.
2Die Beherrschung der deutschen Sprache variiert bei mehrsprachigen Kindern, u.a. in Abhängigkeit vom Alter des Erwerbbeginns und der Kontaktintensität mit der Sprache (Jeuk, 2015).
3Die Inter-Rater-Reliabilität der Skalen ist als gut zu bewerten (ICCs = .63–1.00).
4In der Studie von Paetsch et al. (2015) enthielt der Test 18 Items; da 3 Items nur zu t1 enthalten waren.
5Es handelt sich um eine Vorversion des Instrumentes INGA (Paetsch, Darsow, Skibbe & Stanat, 2020).