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Open AccessOriginalarbeit

Arbeitslosigkeit und Sucht – Epidemiologische und soziodemographische Daten aus der Deutschen Suchthilfestatistik 2007 – 2011

Published Online:https://doi.org/10.1024/0939-5911.a000355

Abstract

Ziel: Zum einen werden Veränderungen des Erwerbsstatus der Klienten in ambulanten und stationären Suchthilfeeinrichtungen von 2007 bis 2011 beschrieben sowie ausgewählte Hauptdiagnosen (HD) miteinander verglichen. Zum anderen erfolgt für das Datenjahr 2009 eine Gegenüberstellung von soziodemographischen und epidemiologischen Parametern von Klienten, die arbeitslos nach SGB II oder SGB III waren (ALO), mit Klienten, die erwerbstätig waren. Methodik: Es handelt sich um eine Reanalyse der Daten von Klienten aus der Deutschen Suchthilfestatistik (DSHS). Im ambulanten Bereich lag die Zahl der betrachteten Fälle mit dokumentierter HD pro Jahr zwischen 107.041 aus 720 Einrichtungen (2007) und 155.276 aus 779 Einrichtungen (2009); im stationären Setting zwischen 24.586 aus 147 Einrichtungen (2007) und 39.329 aus 189 Einrichtungen (2010). Eine Sonderauswertung des Jahres 2009, die ausschließlich Klienten beinhaltet, die in den letzten sechs Monaten vor Betreuungsbeginn arbeitslos waren, enthält 55.479 Fälle aus 779 ambulanten sowie 13.792 Fälle aus 157 stationären Einrichtungen. Ergebnisse: Zwischen 2007 und 2011 ist der Anteil der arbeitslosen Klienten im ambulanten Setting um ca. einen Prozentpunkt gesunken (2011: 39,1 %) und im stationären Bereich um ca. einen Prozentpunkt gestiegen (2011: 48,5 %). Am höchsten liegt der Anteil der Arbeitslosen bei Klienten mit HD Opioide (ambulant: 59,9 %; stationär: 64,7 %). In allen untersuchten HD übersteigt der Anteil der SGB-II-Arbeitslosen diejenigen der SGB-III-Arbeitslosen mit mindestens 80 % zu 20 % bei weitem. Die stärkste Veränderung lässt sich bei Klienten mit HD Stimulanzien in stationären Suchthilfeeinrichtungen beobachten (+13,7 Prozentpunkte). In den DSHS-Daten aus dem Jahr 2009 waren die Anteile arbeitsloser Klienten bei folgenden Variablen höher als die der erwerbstätigen Klienten: alleinlebende Klienten und Klienten in prekärer Wohnsituation (ohne Wohnung, Notunterkünfte), Klienten ohne abgeschlossene Hochschul- oder Berufsausbildung, mit problematischen Schulden, sowie wiederbehandelte Klienten. Der Anteil der regulären Beendigungen dagegen liegt bei arbeitslosen Klienten 13,3 Prozentpunkte (ambulant) und 10,9 Prozentpunkte (stationär) niedriger als bei erwerbstätigen Klienten. Schlussfolgerungen: Die vorliegenden Daten zeigen, dass soziale Ressourcen unter den arbeitslosen Klienten stärker eingeschränkt sind als bei der erwerbstätigen Suchthilfeklientel. Die Indikatoren für Rückfallquoten deuten auf eine schlechtere Prognose für diese Klienten hin. Daher sollten zum einen Angebote zur (Re‐) Integration in den Arbeitsmarkt im Sinne von Ausbildungen und suchtpräventiven Maßnahmen beibehalten und ggf. verfeinert werden. Zum anderen scheinen für Klienten ohne berufliche Perspektive spezielle rückfallpräventive Maßnahmen angezeigt, die ohne den Faktor berufliche (Re‐) Integration auskommen. Wertvoll könnten sich in diesem Zusammenhang noch intensivere Kooperationen zwischen Suchthilfeeinrichtungen, (Berufs‐) Schulen, Arbeitsagenturen, Jobcenter, Schuldnerberatungen sowie Jugend- und Sozialämtern erweisen.

Unemployment and Addiction: Epidemiological and sociodemographic Data from the German Addiction Treatment Statistics 2007 – 2011

Aim: Changes in the employment status of clients in inpatient and outpatient treatment from the years 2007 – 2011 are described and unemployment rates of selected main diagnosis (MD) are compared to each other. Furthermore, for the year 2009, we compared the sociodemographic and epidemiological data of clients receiving unemployment benefits in accordance with SGB II or SGB III (ALO), with those of clients not receiving ALO benefits. Methods: This contribution represents a reanalysis on data of clients taken from the annual German addiction treatment statistics (Deutsche Suchthilfestatistik, DSHS). The number of observed cases per annum ranges from 107,041 from 720 (2007) to 155,276 from 779 (2009) outpatient centers, and from 24,586 from 147 (2007) to 39,329 from 189 (2010) inpatient centers. An additional dataset from the year 2009, which includes only those clients who had received ALO in the 6 months previous to treatment, consists of 55,479 cases from 779 outpatient centers and 14,990 cases from 157 inpatient centers. Results: The unemployment rate among clients in outpatient settings decreased by 1 % between 2007 and 2011 (2011: 39.1 %) and increased by 1 % in inpatient settings (2011: 48.5 %). The highest proportion of unemployment was found among clients with MD opioids (outpatient: 59.9 %, inpatient: 64.7 %). In all MD analyzed the percentage of clients receiving unemployment benefits in accordance with SGB II far exceeds that of clients receiving benefits in accordance with SGB III (for at least 80 % to 20 %). The largest change was found among clients with MD stimulants from inpatient services (+13.7 %). A comparison between clients with and without ALO benefits, based on the DSHS data from 2009, revealed that clients with ALO benefits show higher rates considering the following variables as compared to clients without ALO benefits: living alone and in precarious living situations, having a problematic debt history, and having no vocational or higher education. Additionally, the rate of previously treated clients was higher among clients with ALO benefits, whereas the proportion of regular terminated treatments was lower. Conclusion: The unemployment rate increased considerably in particular among clients with MD stimulants from inpatient centers. The present data show that social problems seem to be more pronounced among unemployed clients than among clients without ALO benefits. Indicators for relapse rates (retreatment) also seem to indicate a poorer prognosis for these clients. Therefore, on the one hand, programs for (re)integration into the labor market, such as trainings or addiction-prevention interventions, should be maintained or adapted. On the other hand, special relapse-prevention interventions could be fitting for clients without any career prospects. A more intensive cooperation between treatment centers, (vocational) schools, employment centers, job centers, debt counseling as well as youth and social welfare offices could prove to be valuable.

Hintergrund und Zielsetzung

Die Arbeitslosenquote1 in der deutschen Allgemeinbevölkerung ist zwischen 2007 und 2011 von 10,1 % auf 7,9 % zurückgegangen (Bundesagentur für Arbeit, 2012). Im Vergleich zu Erwerbstätigen in Deutschland sind Arbeitslose in einem nachweisbar schlechteren Gesundheitszustand, der insbesondere durch ein signifikant höheres Risiko in einem breiten Krankheitsspektrum, häufigere Verordnungen von Psychopharmaka, einem ungünstigeren Gesundheits- und Suchtverhalten, mehr Krankenhausaufenthalten und stationären Behandlungstagen sowie durch ein erhöhtes Risiko für vorzeitige Sterblichkeit gekennzeichnet ist (Hollederer, 2009). Das Erkrankungsrisiko steigt zudem mit der Dauer der Arbeitslosigkeit, dem Alter und mit sinkendem sozial-ökonomischen Status an. Verschärft wird die Situation Erwerbsloser – nicht zuletzt aufgrund verminderter finanzieller Mittel – durch geringere Gesundheitsressourcen und ein eher risikoreiches Gesundheitsverhalten (DGB Bereich Arbeitsmarktpolitik, 2010).

Diese erhöhten Risiken von Arbeits- und Erwerbslosen machen sich dementsprechend auch in der Inanspruchnahme von Suchthilfe bemerkbar. So zeigt eine Reanalyse der Daten der Deutschen Suchthilfestatistik (DSHS2) von 2000 – 2009 (Kipke, Steppan & Pfeiffer-Gerschel, 2011), dass über alle Hauptdiagnosen (HD) hinweg 2009 fast jeder zweite Klient3 (46,9 %) in ambulanten Suchthilfeeinrichtungen arbeits- oder erwerbslos war. In ähnlicher Größenordnung bewegen sich die von Bauer, Sonntag, Hildebrand, Bühringer und Kraus (2009) berichteten Arbeitslosenzahlen unter Klienten mit HD Alkohol aus stationären Einrichtungen (Männer: 48 %; Frauen: 36 %) im Jahre 2007.

Auch innerhalb der Suchthilfeklientel weisen Arbeits-/Erwerbslose schlechtere psychosoziale Parameter auf als andere Klienten. Beispielsweise zeigt die Analyse rückfallbeeinflussender Bedingungen bei arbeitslosen Alkoholabhängigen in stationärer Suchtrehabilitation (ARA-Studie; (Henkel, Zemlin & Dornbusch, 2008)), dass die Gruppe der erwerbslosen Klienten in den Bereichen Lebenszufriedenheit, Coping, Selbstwirksamkeit und Selbstsicherheit nicht das Entlassniveau der erwerbstätigen Klienten erreicht. Demzufolge ereignen sich Rückfälle bei Erwerbslosen wesentlich häufiger, früher (nach Behandlungsende) sowie in exzessiveren und gravierenderen Formen als bei Erwerbstätigen. Unter den über sechs Monate betrachteten Teilnehmern der Studie hatten die kontinuierlich Arbeitslosen etwa doppelt so häufig Rückfälle (45 % vs. 23 %; innerhalb des ersten Monats: 33 % vs. 19 %) wie die kontinuierlich Erwerbstätigen.

Beim Vergleich von arbeitslosen und nichtarbeitslosen Klienten mit der HD Alkohol in stationärer Behandlung, die in die ARA-Studie eingeschlossen wurden (Zemlin, Henkel & Dornbusch, 2006), war unter den Arbeitslosen sowohl der Anteil der Alleinlebenden (52 % vs. 36 %), der Anteil derjenigen ohne Berufsausbildung (23 % vs. 14 %) als auch die Abbruchquote der Behandlung (18 % vs. 8 %) deutlich höher als unter den Erwerbstätigen.

In diesem Artikel sollen zum einen Charakteristika von arbeitslosen Klienten in ambulanten und stationären Suchthilfeeinrichtungen im zeitlichen Verlauf von 2007 bis 2011 differenziert dargestellt werden. Dies ermöglicht etwaige Trends zu identifizieren und die aus der Literatur bekannten Ergebnisse mit den vorliegenden Daten zu replizieren.

Weiterhin erfolgt für das Jahr 2009 eine Gegenüberstellung von soziodemographischen und epidemiologischen Parametern von arbeitslosen und erwerbstätigen Klienten. Mithilfe dieser Gegenüberstellung soll überprüft werden, ob sich in der DSHS arbeitslose Klienten in ähnlicher Weise von erwerbstätigen Klienten unterscheiden, wie aus anderen Quellen (Henkel et al., 2008; Zemlin et al., 2006) berichtet wurde (höherer Männeranteil, hohe Rate Alleinstehender, höherer Anteil ohne Berufsausbildung, höherer Anteil HD illegale Drogen und höhere Rückfallquoten).

Aus der Literatur können folgende Hypothesen abgeleitet werden: (a) der Anteil der Arbeitslosen an allen Klienten beträgt zwischen ca. 40 % (ambulant) und ca. 50 % (stationär), (b) aufgrund der Abnahme der allgemeinen Arbeitslosenquote in der Erwerbsbevölkerung ist zu erwarten, dass auch die Arbeitslosenquote unter allen Klienten zwischen 2007 und 2011 zurückgegangen ist, (c) bei arbeitslosen Klienten sind illegale Drogen häufiger behandlungsleitend, (d) arbeitslose Klienten verfügen über weniger soziale (häufiger alleinlebend, schlechtere Wohnsituation, mehr problematische Schulden) und persönliche Ressourcen (schlechtere Berufsausbildung), sowie (e) die Rückfallquote ist bei arbeitslosen Klienten höher als bei der Vergleichsgruppe der erwerbstätigen Klienten.

Methodik

Design

Es handelt sich um eine deskriptive Reanalyse der soziodemographischen Daten von Klienten aus ambulanten Suchtberatungs-/-behandlungseinrichtungen sowie (teil‐)stationären Rehabilitationseinrichtungen und Adaptionseinrichtungen in Deutschland, die im Rahmen der Deutschen Suchthilfestatistik (DSHS; aktuellster Bericht: Brand, Steppan, Künzel & Braun, 2014) von 2007 – 2011 dokumentiert wurden. Die Grundgesamtheit schließt alle Fälle ein, für die eine HD vergeben wurde. Für die Untersuchung wurden Fälle aus ambulanten Beratungs- und/oder Behandlungsstellen, Fachambulanzen und Institutsambulanzen sowie aus (teil‐)stationären Rehabilitationseinrichtungen und Adaptionseinrichtungen betrachtet. Die ambulanten Daten basieren auf der Bezugsgruppe der „Zugänge/Beender“, d. h. es werden Daten zu jenen Personen berichtet, die im jeweiligen Berichtsjahr eine Betreuung begonnen bzw. beendet haben. Die stationären Daten basieren auf der Bezugsgruppe der „Beender“, d. h. es werden Daten zu jenen Personen berichtet, die im jeweiligen Berichtsjahr eine Betreuung beendet haben (Steppan, Künzel & Pfeiffer-Gerschel, 2012).

Zur Definition der unabhängigen Variable Arbeitslosigkeit (ALO) wurde die KDS-Variable „Erwerbssituation in den letzten 6 Monaten vor Betreuungsbeginn“ (siehe KDS-Manual, DHS, 2012) herangezogen: Unter der Bezeichnung „arbeitslos“ wurden alle Fälle zusammengefasst, deren Erwerbssituation in den letzten 6 Monaten vor Betreuungsbeginn arbeitslos nach Sozialgesetzbuch (SGB) II oder SGB III war. In der Vergleichsgruppe („erwerbstätig“) befinden sich alle Fälle mit HD, die den restlichen erfassten Kategorien zur Erwerbssituation („Auszubildender“, „Arbeiter/Angestellter/Beamter“, „Selbständig/Freiberufler“, „in beruflicher Rehabilitation“, „Sonstige Erwerbsperson“) zugeordnet wurden.

Instrumente

Das zugrunde liegende Dokumentationssystem orientiert sich am Deutschen Kerndatensatz zur Dokumentation in der Suchthilfe (KDS; Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (DHS), 2012). Die Diagnostik des KDS orientiert sich an der Internationalen Klassifikation psychischer Störungen (ICD-10; Dilling, Mombour & Schmidt, 2009). Individualdaten sind nicht verfügbar, da nur Behandlungsepisoden bzw. Fälle auf Einrichtungsniveau aggregiert werden und in die DSHS eingehen. Die Zahl der Einrichtungen, in denen Fälle dokumentiert worden sind, kann für jedes Item (z. B. Alter, Geschlecht) in jeder Auswertung und für jedes Jahr angegeben werden, ebenso eine geschätzte Erreichungsquote der DSHS.

Abhängige Variablen

Alle Variablen wurden gemäß dem im jeweiligen Jahr gültigen KDS operationalisiert (aktuell: Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (DHS), 2012). Kategorien und vorgenommene Modifikationen werden im Folgenden beschrieben:

Hauptdiagnosen (HD) werden analog zum ICD-10 vergeben.

Alter bei Betreuungsbeginn. Die Alterskategorien sind „-14“, „15 – 17“, „18 – 19“, „20 – 24“, „25 – 29“, „30 – 34“, „35 – 39“, „40 – 44“, „45 – 49“, „50 – 54“, „55 – 59“, „60 – 64“ und „65+“ sowie der „Mittelwert“.

Lebenssituation. Das Item „Lebenssituation“ ist unterteilt in die beiden Hauptkategorien „alleinlebend“ und „nicht alleinlebend“. Die Hauptkategorie „nicht alleinlebend“ ist in diverse Unterkategorien unterteilt, die in dieser Untersuchung nicht betrachtet werden.

Wohnsituation. Für die Auswertung des Items „Wohnsituation in den letzten sechs Monaten vor Betreuungsbeginn“ wurden die Kategorien „Notunterkunft/Übernachtungsstelle“ und „ohne Wohnung“ zur Kategorie „prekär“ zusammengefasst.

Berufsausbildung. Das Item „höchster erreichter Ausbildungsabschluss“ beinhaltet die Antwortmöglichkeiten „derzeitig in Hochschul- oder Berufsausbildung“, „keine Hochschul- oder Berufsausbildung abgeschlossen“, „abgeschlossene Lehrausbildung“, „Meister/Techniker“, „Hochschulabschluss“ und „anderer Berufsabschluss“. In den Ergebnissen wird nur die Kategorie „keine Hochschul- oder Berufsausbildung abgeschlossen“ betrachtet.

Problematische Schulden. Alle Fälle, die das Item „problematische Schulden“ mit „ja“ beantworteten, wurden unabhängig von der Höhe des Betrages („bis 10.000 €“, „bis 25.000 €“, „bis 50.000 €“ und „mehr als 50.000 €“) in die Auswertung aufgenommen.

„Rückfallquote“. Als Indikatoren für die „Rückfallquote“ bzw. die Stabilität des Behandlungserfolges werden die Items „Vorbehandlung + Erst-/Wiederaufnahme“ und „Art der Beendigung“ herangezogen, die nachfolgend einzeln beschrieben werden.

Das Item „Vorbehandlung + Erst-/Wiederaufnahme“ ist in die beiden Hauptkategorien „Erstbehandelte“ und „Wiederbehandelte“ unterteilt. Die Hauptkategorie „Wiederbehandelte“ ist in die beiden Unterkategorien „Erstaufnahme“ und „Wiederaufnahme“ in der jeweiligen Einrichtung unterteilt, die hier nicht gesondert betrachtet werden.

Die Antwortmöglichkeiten für das Item „Art der Beendigung“ sind „regulär nach Beratung/Behandlungsplan“, „vorzeitig auf therapeutische Veranlassung“, „vorzeitig, Abbruch durch Klient“, „disziplinarisch“, „außerplanmäßiger Wechsel in andere Einrichtung“ und „verstorben“. Im Ergebnisteil wird nur die Kategorie „regulär nach Beratung/Behandlungsplan“ als Indikator für den Behandlungserfolg dargestellt.

Analysen

Wie oben beschrieben, sind keine Individualdaten verfügbar, womit übliche statistische Tests zur Überprüfung von Mittelwertsunterschieden wie z. B. t-Tests mit den verfügbaren Daten nicht möglich sind. Auch auf die Verwendung von χ2-Tests zur Prüfung von Unterschieden in der Zellbesetzung wurde verzichtet, da aufgrund der Sensitivität von χ2-Tests bei großen Stichproben selbst kleinste Unterschiede statistisch bedeutsam erscheinen (Bortz, 2005), diese testtheoretische Signifikanz aber möglicherweise klinisch irrelevant ist. Aufgrund der nahezu flächendeckenden Berichterstattung für alle Klienten in der ambulanten (geschätzte Erreichungsquote 2011 ≥70,0 %) und stationären (geschätzte Erreichungsquote 2011 ≥45,1 %) Suchthilfe (Steppan et al., 2012) sowie der Größe der Datensätze und der Stabilität der Trends, wird eine deskriptive Darstellung der Ergebnisse vorgenommen.

Stichprobe: teilnehmende Einrichtungen und Fallzahlen

DSHS 2007 – 2011. Im ambulanten Bereich lag die Zahl der betrachteten Fälle mit dokumentierter HD pro Jahr zwischen 107.041 aus 720 Einrichtungen (2007) und 155.276 aus 779 Einrichtungen (2009); im stationären Setting zwischen 24.586 aus 147 Einrichtungen (2007) und 39.329 aus 189 Einrichtungen (2010). Während die Zahl der Einrichtungen, aus denen Daten vorliegen, von 2007 bis 2011 jeweils leicht gestiegen ist (ambulant: +8 %; stationär: +13 %), ist die Zahl der dokumentierten Behandlungsepisoden im selben Zeitraum prozentual (ambulant: +43 %; stationär: +33 %) stärker angestiegen. Auch wenn seit 2007 der Männeranteil4 sowohl in ambulanten als auch in stationären Einrichtungen jeweils leicht gesunken ist (ambulant: -1,1 Prozentpunkte; stationär: -3,1 Prozentpunkte), sind auch 2011 noch ca. drei Viertel aller Klienten männlich. Das Durchschnittsalter aller Klienten ist zwischen 2007 und 2011 in ambulanten Einrichtungen minimal (+0,4 Jahre) und in stationären leicht (+1,2 Jahre) gestiegen. Der weit überwiegende Teil der Klienten wird wegen einer primären Störung aufgrund des Konsums von Alkohol („HD Alkohol“) betreut (siehe Tab. 1).

Tabelle 1. Zahl der Einrichtungen und Fälle, Alter, Geschlecht; DSHS 2007 – 2011 (Sonntag, Bauer & Eichmann, 2008a,b;Pfeiffer-Gerschel, Hildebrand & Wegmann, 2009a,b;Pfeiffer-Gerschel, Kipke & Steppan, 2010a,b;2011a,b;2012a,b)

DSHS Sonderauswertung 2009. Die Zahl der Erwerbslosen beträgt in der Sonderauswertung in ambulanten Einrichtungen 55.479 Fälle sowie 13.792 Fälle in stationären Einrichtungen. Aufgrund technischer Besonderheiten der DSHS (siehe oben) und der daraus resultierenden unterschiedlichen Einrichtungsstichproben, differieren die Gesamtzahlen der ALO-Empfänger zwischen den Standardauswertungen und den Sonderauswertungen 2009 minimal. Der Männeranteil an allen Klienten liegt bei denjenigen, die arbeitslos sind, in ambulanten Einrichtungen 4,0 und in stationären Einrichtungen 5,5 Prozentpunkte über dem Männeranteil der Klienten, die erwerbstätig sind. Das Durchschnittsalter aller Klienten, die arbeitslos sind, liegt in ambulanten Einrichtungen 3,3 Jahre und in stationären 4,8 Jahre unter dem Durchschnittsalter derjenigen, die erwerbstätig sind (siehe Tab. 2).

Tabelle 2. Zahl der Einrichtungen und Fälle, Alter, Geschlecht, Sonderauswertung 2009 (Pfeiffer-Gerschel, Kipke & Steppan, 2010c,d)

Ergebnisse

Trends der Jahre 2007 bis 2011

Die Anteile der Arbeitslosen (ALO) an allen Klienten aus ambulanten und stationären Einrichtungen insgesamt und differenziert für die Hauptdiagnosen (HD) Alkohol, HD Opioide, HD Cannabis, HD Kokain, HD Stimulanzien und HD Pathologisches Glücksspielen sind in Abbildung 1 dargestellt. Über alle HD ist der Anteil der Arbeitslosen in ambulanten Einrichtungen um ca. einen Prozentpunkt gesunken und in stationären Einrichtungen um ca. einen Prozentpunkt gestiegen. Die deutlichste Veränderung des Arbeitslosenanteils zwischen 2007 und 2011 zeigt sich in stationären Einrichtungen bei HD Stimulanzen (+13,7 Prozentpunkte).

Abbildung 1. HD: Hauptdiagnose; ambulant: ambulante Suchtberatungs-/-behandlungseinrichtungen, Fach-/Institutsambulanzen; stationär: (teil‐)stationäre Rehabilitationseinrichtungen, Adaptionseinrichtungen Abbildung 1. Anteil Arbeitsloser (ALO) (DSHS; getrennt nach ambulant und stationär und Hauptdiagnosen; Sonntag, Bauer & Eichmann, 2008a,b; Pfeiffer-Gerschel, Hildebrand & Wegmann, 2009a,b; Pfeiffer-Gerschel, Kipke & Steppan, 2010a,b; 2011a,b; 2012a,b)

Nach den aktuellen Zahlen (2011) ist sowohl in ambulanten als auch in stationären Einrichtungen jeweils der Anteil an ALO bei HD Opioide am höchsten (ambulant: 59,9 %; stationär: 64,7 %) und bei HD Stimulanzien am zweithöchsten (ambulant: 42,7 %; stationär: 60,6 %). Die größten Unterschiede hinsichtlich des Anteils an ALO zeigen sich bei HD Cannabis zwischen Klienten in ambulanten (33,7 %) und stationären Einrichtungen (57,3 %).

Sonderauswertung 2009

Anteile SGB II vs. SGB III. Unter allen arbeitslosen Klienten in der Sonderauswertung 2009 beträgt der Anteil derjenigen, die Arbeitslosengeld nach SGB II beziehen, ambulant 85,3 % und stationär 80,9 %. Bei allen betrachteten stoffgebundenen Süchten liegt ein Anteil von ALO nach SGB II von mindestens 80 % vor. Den höchsten Anteil an SGB II-Beziehern erreichen Klienten mit der HD Opioide mit jeweils fast 90 % (Abb. 2).

Abbildung 2. HD: Hauptdiagnose; ambulant: ambulante Suchtberatungs-/-behandlungseinrichtungen, Fach-/Institutsambulanzen; stationär: (teil‐)stationäre Rehabilitationseinrichtungen, Adaptionseinrichtungen; ALO: Klienten/Patienten, die in den letzten 6 Monaten vor Betreuungs-/Behandlungsbeginn arbeitslos nach SGB II oder SGB III waren Abbildung 2. Anteil Arbeitsloser nach SGB II vs. SGB III (DSHS 2009, getrennt nach ambulant und stationär und Hauptdiagnosen, Pfeiffer-Gerschel, Kipke & Steppan, 2010c,d)

Lebenssituation. Insgesamt ist der Anteil der Alleinstehenden bei arbeitslosen Klienten höher als bei den erwerbstätigen und in stationären Einrichtungen liegen die Werte (ALO: +12,7 Prozentpunkte; nicht-ALO: +7,2 Prozentpunkte) höher als in ambulanten Einrichtungen. Differenziert nach HD leben arbeitslose Klienten mit HD Alkohol häufiger allein als arbeitslose Klienten mit anderer HD. Am niedrigsten liegt der Anteil der Alleinlebenden bei erwerbstätigen Klienten in ambulanten Einrichtungen mit HD Cannabis (25,5 %) und HD Pathologisches Glücksspielen (PG) (28,8 %) (Abb. 3).

Abbildung 3. HD: Hauptdiagnose; ambulant: ambulante Suchtberatungs-/-behandlungseinrichtungen, Fach-/Institutsambulanzen; stationär: (teil‐)stationäre Rehabilitationseinrichtungen, Adaptionseinrichtungen; ALO: Klienten/Patienten, die in den letzten 6 Monaten vor Betreuungs-/Behandlungsbeginn arbeitslos nach SGB II oder SGB III waren; ERW: erwerbstätige Klienten/Patienten Abbildung 3. Soziale Ressourcen (Lebenssituation, prekäre Wohnsituation) der Arbeitslosen (ALO) und Erwerbstätigen (EWT) (DSHS 2009; getrennt nach ambulant und stationär und Hauptdiagnosen; (Pfeiffer-Gerschel, Kipke & Steppan, 2010c,d)

Wohnsituation prekär. Bei insgesamt vergleichsweise niedrigen Gesamtzahlen ist der Anteil der arbeitslosen Klienten in prekärer Wohnsituation ambulant fünfmal und stationär dreimal so hoch wie bei erwerbstätigen Klienten. Den höchsten Anteil haben jeweils Klienten mit der HD Opioide (ambulant: 4,1 %; stationär: 3,0 %) (Abb. 3).

Ausbildung. Der Anteil der Klienten ohne Berufsausbildung bei arbeitslosen Klienten ist über alle HD fast doppelt so hoch wie bei erwerbstätigen Klienten. Arbeitslose Klienten mit HD illegale Drogen haben jeweils zu (weit) über 50 % keine abgeschlossene Berufsausbildung (Abbildung 4).

Abbildung 4. HD: Hauptdiagnose; ambulant: ambulante Suchtberatungs-/-behandlungseinrichtungen, Fach-/Institutsambulanzen; stationär: (teil‐)stationäre Rehabilitationseinrichtungen, Adaptionseinrichtungen; ALO: Klienten/Patienten, die in den letzten 6 Monaten vor Betreuungs-/Behandlungsbeginn arbeitslos nach SGB II oder SGB III waren; ERW: erwerbstätige Klienten/Patienten Abbildung 4. Soziale Ressourcen (Berufs-/Hochschulabschluss, Verschuldung); DSHS 2009 (Pfeiffer-Gerschel, Kipke & Steppan, 2010c,d)

Problematische Schulden. Arbeitslose Klienten berichten deutlich häufiger von problematischen Schulden (ambulant: +23,0 Prozentpunkte; stationär: +21,2 Prozentpunkte) als erwerbstätige Klienten. Den höchsten Anteil haben Klienten mit HD Pathologisches Glücksspielen, den niedrigsten Patienten mit HD Alkohol (Abb. 4).

Rückfallquote. Der Anteil der Wiederbehandelten ist insgesamt bei arbeitslosen Klienten höher als bei erwerbstätigen Klienten (ambulant: +14,6 Prozentpunkte; stationär: +19,6 Prozentpunkte). Der höchste Anteil an Wiederbehandelten findet sich unter arbeitslosen Klienten mit HD Stimulanzien in stationären Einrichtungen (92,6 %). Bei HD Stimulanzien (ambulant: +14,0 Prozentpunkte; stationär: +12,2 Prozentpunkte) und HD Cannabis (ambulant: +15,8 Prozentpunkte; stationär: +6,7 Prozentpunkte) unterscheidet sich auch der Anteil der Wiederbehandelten unter den arbeitslosen Klienten am stärksten von dem der erwerbstätigen Klienten (Abb. 5).

Abbildung 5. HD: Hauptdiagnose; ambulant: ambulante Suchtberatungs-/-behandlungseinrichtungen, Fach-/Institutsambulanzen; stationär: (teil‐)stationäre Rehabilitationseinrichtungen, Adaptionseinrichtung; ALO: Klienten/Patienten, die in den letzten 6 Monaten vor Betreuungs-/Behandlungsbeginn arbeitslos nach SGB II oder SGB III waren; ERW: erwerbstätige Klienten/Patienten Abbildung 5. „Rückfallquote“ (Wiederbehandlung, Art der Beendigung; (Pfeiffer-Gerschel, Kipke & Steppan, 2010c,d) )

Der Anteil der regulären Beendigungen ist bei arbeitslosen Klienten (ambulant: 33,6 %; stationär: 52,6 %) niedriger als bei erwerbstätigen Klienten (ambulant: 46,9 %; stationär: 63,5 %). Am deutlichsten zeigt sich dieser Effekt bei HD Cannabis (+14,8 Prozentpunkte; Abb. 5).

Diskussion

Die berichteten Anteile an arbeitslosen Klienten in der DSHS 2007 bis 2011 bestätigen die Ergebnisse aus vorherigen Untersuchungen (Bauer et al, 2009; Kipke et al., 2011; Zemlin et al., 2006) zu den spezifischen (gesundheitsrelevanten) Belastungen dieser Population. Ein zur Arbeitslosenquote in der Allgemeinbevölkerung, die zwischen 2007 und 2011 um mehr als zwei Prozentpunkte zurückgegangen ist, ähnlicher Rückgang ist unter der Klientel in Einrichtungen der DSHS nicht zu beobachten. Insgesamt ist, entgegen der Erwartung, der Anteil Arbeitsloser unter den Klienten in Suchthilfeeinrichtungen seit 2007 nahezu gleichbleibend hoch. Hypothesenkonform waren deutlich über einem Drittel der Klienten in ambulanten Einrichtungen, mit Ausnahme von HD Pathologisches Glücksspielen, arbeitslos (nach SGB II oder SGB III), bei Klienten mit HD Opioide sogar fast zwei Drittel. Noch dramatischer stellt sich die Situation in stationären Einrichtungen dar, wo fast jeder zweite Klient mit HD Alkohol, und mit steigender Tendenz mehr als jeder zweite Klient mit HD illegale Drogen, arbeitslos war. Auffällig ist der Anstieg des Anteils Arbeitsloser unter Klienten mit HD Stimulanzien (stationär) um 13,7 Prozentpunkte. Eine mögliche Erklärung könnte die in den letzten Jahren gestiegene Prävalenz des Stimulanzienkonsums unter den 18 – 39-Jährigen sein (Kraus, Pabst, Piontek & Müller, 2010) und dass dieser Konsum vielfach mit einem Arbeitsplatzverlust einhergeht, was wiederum die Motivation erhöhen könnte, sich in Behandlung zu begeben. Diese Interpretation ist mit den vorliegenden Daten allerdings nicht zu überprüfen.

In der internationalen Forschung (s.a. Henkel, 2011) konnten vier wesentliche Gründe für den hohen Anteil an Arbeitslosen bei Suchtkranken nachgewiesen werden: 1) Arbeitslosigkeit ist ein Risikofaktor für die Entwicklung/Verschlimmerung von Suchtproblemen, 2) Sucht ist ein starker Risikofaktor für Arbeitsplatzverlust (der wahrscheinlich stärkste von den hier genannten vier Faktoren), 3) Suchtkranke in Behandlung setzen sich überproportional häufig aus gering Qualifizierten zusammen, für die ohnehin ein erheblich erhöhtes Risiko für Arbeitslosigkeit besteht und 4) es entwickeln sich über die Zeit Kumulationseffekte, da Arbeitslose nach einer Behandlung häufig rückfällig werden und dann erneut in Behandlung gehen. Mit den für diese Studie zur Verfügung stehenden Daten können nicht alle diese Einzelaspekte, insbesondere zum zeitlichen Ablauf und der Kausalität, abgebildet werden. Dennoch zeichnet sich im Gesamtbild und insbesondere zu den letzten beiden Punkten eine deutliche Übereinstimmung ab. Bezüglich der sozialen Ressourcen stimmen die Daten der DSHS, wie erwartet, mit denen aus der Literatur (Henkel et al., 2008; Zemlin et al., 2006) weitgehend überein. Der Anteil der Alleinlebenden liegt unter arbeitslosen Klienten deutlich höher als bei erwerbstätigen Klienten. Damit fehlt mehr als der Hälfte der Klienten diese wichtige Ressource und auch ein mögliches soziales Korrektiv. Bei insgesamt niedrigen Gesamtzahlen liegt unter arbeitslosen Klienten der Anteil derjenigen mit prekärer Wohnsituation ambulant fünfmal und stationär dreimal so hoch wie bei erwerbstätigen Klienten, was weiterhin die Notwendigkeit von Notunterkünften unterstreicht. Der Anteil der Klienten ohne Hochschul- oder Berufsausbildung ist unter den arbeitslosen Klienten fast doppelt so hoch wie unter den erwerbstätigen, was insbesondere bei Klienten mit einer Hauptdiagnose illegale Substanzen der Fall ist. Etwa die Hälfte der arbeitslosen Klienten (ambulant und stationär) berichten problematische Schulden, wobei der Großteil weniger als 10.000 € Schulden hat. Dementsprechend sollte nach Möglichkeit auch eine Schuldnerberatung miteinbezogen werden, um die Handlungsfreiheit der Klienten zu erhöhen.

Auch ohne längsschnittliche Daten sprechen einige der Ergebnisse für einen komplizierteren Verlauf bei arbeitslosen Klienten, die wegen einer Suchtproblematik in Beratung oder Behandlung sind: Der Anteil der Arbeitslosen nach SGB II liegt bei den arbeitslosen Klienten in der DSHS ambulant und stationär jeweils über 80 %, was widerspiegelt, dass bei der Gruppe der nach arbeitslosen SGB II Suchtkranken nur geringe Chancen auf Integration in den Arbeitsmarkt bestehen (Henkel & Zemlin, 2013). Auch die allgemeine Arbeitslosenforschung zeigt, dass die nach SGB II Arbeitslosen gegenüber den nach SGB III Arbeitslosen rund viermal häufiger langzeitarbeitslos (> 12 Monate) sind (Bundesagentur für Arbeit, 2014), wobei nicht nur die durchschnittlich geringere berufliche Qualifikation eine bedeutsame Rolle spielt, sondern vor allem auch die wesentlich häufigeren schwerwiegenden gesundheitlichen Probleme (Eggs, Trappman & Unger, 2014). Zudem sind der hohe Anteil der Wiederbehandelten sowie der niedrige Anteil an regulären Beendigungen bei arbeitslosen Klienten hypothesenkonforme Hinweise auf eine erhöhte Rückfallquote, wie sie sowohl von Henkel et al. (2008) als auch von Zemlin et al. (2006) beschrieben wurde.

Bei der Betrachtung dieser Befunde müssen methodische Limitationen der DSHS auf Bundesebene, wie mögliche Doppelzählungen und die Unterrepräsentation von kleineren Einrichtungen, berücksichtigt werden (ausführlich beschrieben in Kipke et al., 2011), sowie die Frage, wie viele Personen mit einer Suchtproblematik tatsächlich Suchthilfe in Anspruch nehmen (siehe auch Hildebrand, Sonntag, Bauer & Bühringer, 2009; Kraus, Pfeiffer-Gerschel & Pabst, 2008; Perkonigg, Pfister, Lieb, Bühringer & Wittchen, 2004). Trotz der im stationären Bereich relativ geringen Beteiligungsrate von ≥45,1 % ist aufgrund der Teilnahme von Einrichtungen über alle Verbände und alle Bundesländer hinweg nicht von einer systematischen Verzerrung auszugehen.

Die Ausprägung einiger soziodemographischer Variablen, darunter „Lebenssituation“ („alleinlebend“) und „Schulbildung“ ist sehr wahrscheinlich durch das „Alter“ konfundiert, da viele jüngere Klienten noch in der Ausbildung sind und/oder bei ihren Eltern wohnen. Aufgrund fehlender Individualdaten sind Verfahren zur Kontrolle der Konfundierung oder anderer Verzerrungen nicht anwendbar. Mit den vorliegenden Querschnittsdaten ist die Frage nach der Kausalität, d. h. ob eine Suchtproblematik Grund für die Arbeitslosigkeit oder die Arbeitslosigkeit der Grund für eine Suchtproblematik ist, aufgrund des Fehlens der für solche Berechnungen notwendigen Individualdaten, ebenfalls nicht zu beantworten.

Schlussfolgerungen für die Praxis

  • Wie schon bei Henkel et al. (2008) beschrieben, erscheint es notwendig, das gegenwärtige Vorgehen bei der Rückfallprävention mit Bezug auf die Risikofaktoren arbeitsloser Klienten weiter zu entwickeln. Das bedeutet beträchtlich intensiveres Fördern von aktiven Bewältigungsstrategien, Freizeitaktivitäten und bessere soziale Integration sowie Unterstützung durch Nachsorgeeinrichtungen und Selbsthilfegruppen.
  • Diese Maßnahmen müssen speziell für Klienten intensiviert werden, die während der Behandlung rückfällig werden, Klienten mit höherer Anzahl von vorangegangenen Entgiftungsbehandlungen sowie für langzeitarbeitslose Klienten.
  • Die vorliegenden Ergebnisse legen die Schlussfolgerung nahe, dass die (Re‐) Integration in den Arbeitsmarkt einen rückfallprotektiven Faktor darstellt. Das setzt eine gut funktionierende Überbrückung der Schnittstellen zwischen Arbeitsagentur und Suchtrehabilitation sowie vor allem zwischen Jobcenter, Suchtberatungsstellen und Schuldnerberatungsstellen voraus. Insbesondere Frühinterventionen, die speziell auf das Setting „Schule, Ausbildungsplatz, Berufsberatung“ zugeschnitten sind, könnten sich als hilfreich erweisen. Dazu wären intensivere Anstrengungen und Kooperationen von Suchthilfeeinrichtungen, Sozialämtern, Jugendhilfe, Jobcenter und Arbeitsagenturen nötig (siehe auch Kipke et al., 2011).
  • Zu beachten ist, dass bei Klienten, bei denen eine (Re‐)Integration in den Arbeitsmarkt unwahrscheinlich ist, die therapeutische Intervention nicht auf Erwerbstätigkeit, sondern auf Rückfallprävention abzielen sollte (Zemlin et al., 2006).

Deklaration möglicher Interessenkonflikte

Es bestehen keinerlei Interessenkonflikte im Zusammenhang mit der Erstellung dieser Publikation.

Dr. phil. Ingo Kipke, Dipl.-Psych.

1976 geboren in Lüneburg

1998 – 2006 Studium der Psychologie an der Universität Hamburg und der Freien Universität Berlin mit Abschluss Diplom.

2012 Promotion zum Dr. phil. an der Ludwig-Maximilians-Universität München.

2007 – 2014 wissenschaftlicher Mitarbeiter am IFT Institut für Therapieforschung, München.

Das Projekt „Deutsche Suchthilfestatistik“ wird aus Mitteln des Bundesministeriums für Gesundheit gefördert. Unser Dank gilt auch den teilnehmenden Klienten und Einrichtungen sowie den Mitgliedern des Fachbeirats Suchthilfestatistik (E. Ewers, R. Gaßmann, A. Koch, P. Missel, R. Walter–Hamann, T. Wessel).

1Die Berechnung der Arbeitslosenquote nach dem Modus der Bundesagentur für Arbeit ((Anzahl registrierter Arbeitsloser/(Anzahl ziviler Erwerbstätiger + Anzahl der registrierten Arbeitslosen)) x 100 %; siehe auch www.bpb.de/politik/innenpolitik/arbeitsmarktpolitik/54909/arbeitslosigkeit-messen?p=all) war aus technischen Gründen für die Berechnung des Anteils der Arbeitslosen (ALO) aus den DSHS-Daten nicht möglich. Für den vorliegenden Artikel wurden Arbeitslose nach SGB II oder SGB III in den letzten sechs Monaten vor Betreuungsbeginn als arbeitslos (ALO) definiert; siehe Methodik. Die Anwendung des BA-Modus auf die DSHS-Daten würde in einer deutlichen Erhöhung der jeweiligen ALO-Anteile resultieren.

2Alle Daten der DSHS sind verfügbar unter: http://www.suchthilfestatistik.de/cms/

3Alle zugrundeliegenden Daten aus der DSHS beziehen sich auf Betreuungs-/Behandlungsepisoden die synonym auch als Fälle bezeichnet werden. Da derselbe Klient auch mehrere Behandlungsepisoden in einem Berichtsjahr absolviert haben kann, ist die Zahl der Fälle ≠ der Zahl der Klienten.

4Bei den hier dargestellten HD liegt der Männeranteil, mit Ausnahme HD Stimulanzien (ambulant), jeweils über dem Männeranteil aller Fälle. Die HD, in denen Frauen überdurchschnittlich repräsentiert sind (ICD-F13, -F17, -F50), werden in diesem Artikel nicht differenziert betrachtet.

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Hanna Brand, IFT Institut für Therapieforschung, Parzivalstraße 25, 80804 München, Deutschland, [email protected]