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Open AccessForum – Diskussionsbeitrag

Neuropsychologische Psychotherapie an Universitäten

Chancen für Forschung und Praxis

Published Online:https://doi.org/10.1024/1016-264X/a000349

Abstract

Zusammenfassung: Die Psychotherapieausbildungsreform hat die Weichen für eine Neupositionierung der Klinischen Neuropsychologie an den Universitäten gestellt. Durch die feste Verankerung der Neuropsychologie innerhalb der Psychotherapieaus- und weiterbildung ergeben sich neue Chancen für Forschung und Praxis. Allerdings besteht beim Aufbau der erforderlichen Infrastruktur an den meisten Standorten noch erheblicher Entwicklungsbedarf. Ziel muss sein, dem Gebiet der Neuropsychologischen Psychotherapie an den Universitäten ein Profil zu geben, das in Zukunft sowohl die klinische als auch wissenschaftliche Qualifizierung des Nachwuchses sichern kann.

Academic Training in Neuropsychological Psychotherapy: Opportunities for Research and Practice

Abstract: The ongoing reformation of psychotherapy training in Germany has paved the way for a new representation of clinical neuropsychology at the university level. The field is now anchored within academic psychotherapy training, providing original opportunities for both research and practice. However, most universities lack available infrastructural resources. A visible profile needs to be established for the area of neuropsychological psychotherapy to promote the qualification of clinical practitioners as well as junior scientists.

Die Klinische Neuropsychologie zählt vermutlich zu den psychologischen Fachgebieten, in denen in den letzten Jahrzehnten die größten strukturellen Entwicklungen zu beobachten waren. Die Gesellschaft für Neuropsychologie e. V. (GNP), seit 1986 die einflussreichste Fachgesellschaft für das Gebiet in Deutschland, hat diesen Prozess mit konsequentem Einsatz für Professionalisierung und hohe Qualifikationsstandards begleitet. Es galt, die Klinische Neuropsychologie in Ausbildung, Forschung und Anwendung zu etablieren und damit letztlich die Voraussetzungen für die bestmögliche Versorgung von Patient_innen mit neuropsychologischen Einschränkungen zu schaffen. Auf diesem Weg waren und sind stets die grundsätzliche Multidisziplinarität des Gebiets zu berücksichtigen, aber insbesondere auch in der klinischen Anwendung beruf- und sozialrechtliche Rahmenbedingungen. Es erscheint daher kaum verwunderlich, dass verschiedene Entwicklungsstränge nicht immer reibungslos ineinandergreifen, sondern erst zusammengeführt werden müssen, um schließlich ihr Potenzial zu entfalten. Das 2019 in Kraft getretene Gesetz zur Reform der Psychotherapeutenausbildung (PsychThGAusbRefG) hat nicht nur das Studium zur Approbation in Psychotherapie fest an den Universitäten verankert, sondern hat über die Inhalte der neuen Approbationsordnung für Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten (PsychThApprO) auch die Klinische Neuropsychologie dort neu positioniert. Die Beschlüsse des 38. und 39. Psychotherapeutentags haben schließlich das Gebiet Neuropsychologische Psychotherapie als eigenständiges Weiterbildungsgebiet in der zukünftigen fachpsychotherapeutischen Weiterbildung begründet. Dieser Beitrag soll aufzeigen, welche Chancen sich aus der Etablierung des eigenständigen Gebiets Neuropsychologische Psychotherapie ergeben, aber auch welche Herausforderungen die zukünftige Entwicklung birgt.

Entwicklung aus der Anwendung

Das vor mehr als 30 Jahren beginnende zunehmende Interesse an der Klinischen Neuropsychologie war vor allem klinisch motiviert und das Fachgebiet daher zunächst nur sehr begrenzt an Universitäten angesiedelt. Meist in neurologischen Rehabilitationskliniken tätige Psycholog_innen setzten sich für die Versorgung von Patient_innen ein, die aufgrund von hirnorganischen Erkrankungen oder Verletzungen an kognitiven Einschränkungen litten. Die wichtigsten fachlichen Anliegen waren eine Differenzierung der diagnostischen Verfahren, um vorhandene Probleme und Ressourcen präziser erfassen zu können, aber vor allem auch die Entwicklung von Therapieprogrammen. Angewandt-klinische Forschungsaktivität gehörte in vielen Kliniken zum festen Aufgabenbereich neuropsychologischer Abteilungen, sodass sich das Gebiet zunehmend profilieren konnte. Dem raschen Wissenszuwachs Rechnung tragend wurde von der GNP ein an der klinischen Anwendung orientiertes Curriculum geschaffen, durch das Praktiker_innen postgradual eine spezialisierte neuropsychologische Qualifikation erwerben konnten. Das GNP-Zertifikat „Klinische/r Neuropsychologe/in“ etablierte sich rasch und gilt auch heute noch, nach mehrfachen Novellierungen, als fachlicher Goldstandard.

Die Erfolgsgeschichte wurde jedoch jäh abgebremst, als sich das Fachgebiet mit der Verabschiedung des ersten Psychotherapeutengesetzes (PsychThG) im Jahr 1999 in einem Dilemma wiederfand: Engagierte und hochqualifizierte neuropsychologische Therapeut_innen waren formal von der eigenständigen Patientenversorgung ausgeschlossen, da heilkundliche Leistungen nun fortan entweder eine ärztliche oder eben eine psychotherapeutische Berufszulassung (Approbation) voraussetzten. Die neuropsychologische Versorgung konnte zwar im Rahmen der stationären Behandlung in Kliniken meist unter der ärztlichen Verantwortung aufrechterhalten werden, doch wurde der Handlungsspielraum bei ambulanten Behandlungen empfindlich eingeschränkt und es zeichnete sich eine eklatante Unterversorgung ab. Es folgte über Jahre hinweg ein zähes Ringen um die heilkundliche Anerkennung neuropsychologischer Behandlungsansätze. Rechtliche Rahmenbedingungen wurden ausgelotet, mögliche Kompromisse kontrovers diskutiert und vor allem beharrlich auf politischer Ebene für die Problematik sensibilisiert. Der Weg zu berufs- und sozialrechtlicher Anerkennung führte schließlich über die Psychotherapie. 2006 wurde Neuropsychologische Therapie als eigenständiges psychotherapeutisches Weiterbildungsangebot von der Bundespsychotherapeutenkammer anerkannt; 2012 folgte die Anerkennung der Neuropsychologischen Therapie als psychotherapeutische Methode durch den G-BA und wurde so in die vertragsärztliche Versorgung aufgenommen.

Trotz dieser Meilensteine ist die Situation für das Fachgebiet problembehaftet geblieben. Die Weiterbildung für approbierte Psychotherapeut_innen ist bislang nur schleppend angelaufen. Die Gründe hierfür sind sicherlich vielschichtig, zum Teil den Hürden bei der Umsetzung der Weiterbildungsordnungen geschuldet, doch erweist es sich vor allem für den Nachwuchs nach einer mehrjährigen und kostenintensiven postgradualen Ausbildungszeit zur Psychotherapie schlicht als wenig attraktiv, noch in eine 2-jährige Weiterbildungszeit zu investieren, zumal daraus keine zusätzlichen Vergütungsansprüche entstehen. Dabei mangelt es nicht an interessiertem Nachwuchs, wie die weiterhin große Nachfrage nach einer Qualifikation über das GNP-Curriculum belegt. Schließlich wurden die Möglichkeiten, das Gebiet durch klinisch-angewandte Forschung aus den Versorgungseinrichtungen heraus weiterzuentwickeln, durch Veränderungen im Gesundheitssystem immer weiter reduziert.

Vertretung an den Universitäten

Auch wenn sich die Klinische Neuropsychologie klar als Forschungs- und Anwendungsgebiet versteht, erscheint ihre Vertretung an den Universitäten bislang nur lose gekoppelt mit den beschriebenen Entwicklungen in der Anwendung (vgl. Gauggel, 2014; Herrmann et al., 2014). Die Beschäftigung mit den Veränderungen des menschlichen Erlebens und Verhaltens, die durch hirnorganische Erkrankungen oder Verletzungen bedingt sind, wird an den Universitäten recht dynamisch zwischen grundlagenorientierten Neurowissenschaften, klinischer Psychologie oder auch Medizin verortet. Entsprechend lassen sich über die Standorte hinweg sehr heterogene Anbindungen des Fachgebiets finden und tatsächlich gibt es deutschlandweit nur wenige Professuren mit einer expliziten Denomination Klinische Neuropsychologie. Dabei sind diese auch nicht immer mit einer psychotherapeutischen Ausrichtung verbunden.

Insgesamt besteht zwar kein Zweifel, dass sich die Klinische Neuropsychologie fest an den Universitäten etabliert hat und in Lehre und Forschung vertreten ist. Allerdings bleibt ihre Sichtbarkeit deutlich hinter der Bedeutung in der Anwendung zurück. Zudem überwiegt insgesamt eine grundlagenorientierte Ausrichtung, in der klinischen Forschungsfragen oft nur eine untergeordnete Bedeutung zukommt. Obwohl die Entwicklung der Klinischen Neuropsychologie hin zu einem Weiterbildungsgebiet der Psychotherapie nun bereits über 15 Jahre zurückliegt, wird dieser bislang nur an wenigen Standorten durch strukturelle Anpassungen Rechnung getragen. Dies könnte sich durch die Umsetzung der Psychotherapieausbildungsreform an den Universitäten grundlegend ändern.

Psychotherapieausbildungsreform als Sprung an den Universitäten

Das novellierte Psychotherapeutengesetz (PsychThG) hat die Ausbildung der Psychotherapeut_innen auf eine neue gesetzliche Grundlage gestellt und damit in der Folge auch die Reformierung der anschließenden Weiterbildung zur Fachpsychotherapeutin/zum Fachpsychotherapeuten angestoßen. Beständiger berufspolitischer Einsatz und nicht zuletzt die klare Versorgungslücke bei Patient_innen mit neuropsychologischen Einschränkungen haben dazu beigetragen, dass in diesem Reformprozess die Rolle der Neuropsychologie deutlich ausgebaut werden konnte.

Die Psychotherapieausbildung obliegt nun den Universitäten und führt über ein polyvalentes Bachelor- und spezialisiertes klinisches Masterstudium der Psychologie zur Approbation, die zur heilkundlichen Tätigkeit berechtigt. Die Studieninhalte sind verbindlich in der Approbationsordnung geregelt (http://www.gesetze-im-internet.de/psychthappro/). Das Studium gliedert sich in ein 3-jähriges Bachelor- und ein 2-jähriges Masterstudium. In beiden Teilen ist die Vermittlung neuropsychologischen Wissens und erster Handlungskompetenzen verpflichtend vorgesehen. Grundlegend müssen Studierende Kenntnisse über kognitive Prozesse in den Bereichen Sprache, Lernen, Gedächtnis, Emotion und Motivation erwerben. Zudem muss Wissen über neurologische Krankheitsbilder und neuropharmakologische Prozesse vermittelt werden. Anwendung und Interpretation neuropsychologischer Diagnoseverfahren sind Teil der diagnostischen Ausbildung. Im spezialisierten klinischen Masterstudiengang müssen schließlich auch neuropsychologische Störungsbilder im Rahmen der speziellen Störungs- und Verfahrenslehre der Psychotherapie erfasst und Kenntnisse über die Versorgungsstrukturen in der Neuropsychologie erworben werden. Anwendungsbezogen ist die Einbindung von Fallbeispielen aus dem Bereich der Neuropsychologie vorgesehen. Neben der Präsenz in den Lehrinhalten des Studiums zur Approbation findet sich die Neuropsychologie auch explizit in den praxisbezogenen Anteilen. Die vorgesehenen berufsqualifizierenden Tätigkeiten in Versorgungseinrichtungen können in entsprechenden neuropsychologischen Einrichtungen absolviert werden. Diese können zudem auch für das forschungsorientierte Praktikum zur Psychotherapieforschung gewählt werden.

Neuropsychologische Inhalte innerhalb des Studiums zur Approbation in Psychotherapie haben zudem entscheidend durch die Etablierung der Neuropsychologischen Psychotherapie als eigenständige Gebietsweiterbildung an Bedeutung gewonnen. Auf dem 39. Deutschen Psychotherapeutentag Ende November 2021 wurde abschließend die Muster-Weiterbildungsordnung (MWBO) für Psychotherapeut_innen beschlossen. Die Neuropsychologische Psychotherapie steht nun als dritte Weiterbildungssäule neben den Gebieten Psychotherapie für Kinder und Jugendliche bzw. Psychotherapie für Erwachsene zur Wahl (vgl. Werheid, in diesem Heft). Es ist davon auszugehen, dass die Wahl der Gebietsweiterbildung zur Qualifikation als Fachpsychotherapeut_in substanziell durch die während des Studiums gewonnenen Einblicke in die Gebiete und die Möglichkeiten für konkrete Praxiserfahrungen gelenkt sein wird. Es gilt also, bereits während des Studiums das Gebiet der Neuropsychologischen Psychotherapie an den Universitäten umfassend zu vertreten und als attraktive Spezialisierung sichtbar zu machen. Nur so kann langfristig Nachwuchs gewonnen werden, der einerseits die neuropsychologische Versorgung sichern, aber auch durch neuropsychologische Forschung zur wissenschaftlichen Entwicklung des Gebiets beitragen kann.

Auch wenn die Umsetzung des Approbationsstudiums an den Universitäten natürlich insgesamt eine außerordentliche Herausforderung darstellt, erfordert sie besonders im Hinblick auf die Klinische Neuropsychologie an vielen Standorten grundsätzliche Aufbauarbeit. Ihre Rolle an den Universitäten und ihre Bedeutung in der klinisch-psychotherapeutischen Ausbildung haben sich tatsächlich sprunghaft verändert. Während in der Regel Psychotherapie bei Kindern und Jugendlichen sowie Psychotherapie bei Erwachsenen durch gewachsene Strukturen an den Universitäten vertreten sind, d. h. durch entsprechende Professuren und Hochschulambulanzen für Lehre und Forschung, sind entsprechende Strukturen für die Neuropsychologische Psychotherapie bislang an den meisten Standorten, an denen das Studium zur Approbation in Psychotherapie bereits angeboten wird oder zeitnah geplant ist (vgl. den Überblick über die aktuellen Planungen unter https://www.dgps.de/schwerpunkte/psychotherapie-gesetzesreform/), nur rudimentär vorhanden. Dass hier ein großes Potenzial liegt, zeigt sich an einzelnen Leuchtturm-Standorten, an denen bereits beispielhaft eine umfassende neuropsychologische Infrastruktur etabliert worden ist (Thoma et al., 2020). Es wird in den nächsten Jahren eine gemeinsame Aufgabe der Fachgemeinschaft sein, sich der notwendigen Auf- bzw. Ausbauarbeit anzunehmen. Nach den zahlreichen Hürden, die die Klinische Neuropsychologie bislang genommen hat, wird dies ein weiterer Kraftakt werden. Doch steht das Ziel in Aussicht, dem Fachgebiet an den Universitäten ein Profil zu geben, das in Zukunft die Qualifizierung des Nachwuchses und Fortschritte in der klinisch-angewandten Forschung sichert.

Chancen und Herausforderungen

Die Positionierung der Neuropsychologischen Psychotherapie an den Universitäten sollte vor allem als Chance gesehen werden, die spezifischen Stärken des Gebiets zu entfalten und sichtbar zu machen. Die Klinische Neuropsychologie hat sich stärker als andere Teildisziplinen im Wechselspiel zwischen Forschung und Anwendung entwickelt. Diese Dynamik wird idealtypisch durch das Scientist-Practitioner (SP) -Modell, auch Boulder-Modell, beschrieben (Frank, 1984; Howard, 1986). Das Modell beschreibt, wie Forschung und Anwendung gleichwertig ineinandergreifen und sich damit wechselseitig stützen können. Die Ergebnisse der Forschung optimieren die Entscheidungen in der klinischen Anwendung, aus der Anwendung werden neue Fragen und Hypothesen generiert, die dann wissenschaftlich durch die Forschung geprüft werden. Das SP-Modell wird international seit Jahrzehnten als Blaupause für die psychotherapeutische Ausbildung genutzt und impliziert den Anspruch, dass die Qualifikation stets in gleichem Maße für Forschung und Anwendung erfolgt. Auch wenn die Annäherung an dieses Ideal in der Realität nachvollziehbar durch die Gewichtung der spezifischen Interessen der Studierenden begrenzt wird (Zachar & Leong, 2000), sollte es doch leitend für die Ausbildung sein. Das Gebiet der Neuropsychologischen Psychotherapie bietet günstige Voraussetzungen, dass eine besonders enge Verknüpfung zwischen Forschung und Anwendung gelingen könnte (vgl. auch Leibinger et al., in diesem Heft).

Historisch ist die Klinische Neuropsychologie eng mit den Grundlagenfächern verbunden, insbesondere mit der Allgemeinen Psychologie und der Biologischen Psychologie. Das Verständnis für hirnorganisch bedingte Veränderungen des menschlichen Erlebens und Verhaltens fußt auf dem Wissen über grundlegende perzeptuelle, kognitive und motivationale Mechanismen unter Berücksichtigung ihrer funktionellen Korrelate. Vor diesem Hintergrund besteht genuin ein enger Schulterschluss mit grundlagenorientierter Forschung, durch die die Einschätzung klinischer Symptome und ihrer Behandlungsmethoden ermöglicht werden. Aus der Anwendung wiederum wurde immer wieder durch neuropsychologische Fallbeobachtungen die Theorienbildung entscheidend vorangebracht und es wurden Hypothesen generiert, die dann grundlagenorientiert geprüft werden konnten. Dieser ursprüngliche, selbstverständliche Austausch zwischen Forschung und Anwendung zählt sicherlich zu den wichtigsten Stärken des Gebiets und bietet ideale Voraussetzungen für die Untersuchung klinisch-angewandter Forschungsfragen.

Zudem dürfte sich auf das Zusammenspiel zwischen Forschung und Anwendung auch günstig auswirken, dass die Entwicklung der Klinischen Neuropsychologie wie anfangs beschrieben vor allem aus der Anwendung in den klinischen Versorgungseinrichtungen heraus erfolgte. Auch wenn Freiräume für Forschungsaktivität im klinischen Alltag immer enger geworden sind, findet sich meist weiterhin eine sehr forschungsfreundliche Grundhaltung und vor allem ein ausgeprägtes Interesse, sich zu vernetzen und mit Universitäten zusammenzuarbeiten. Die Etablierung neuropsychologischer Spezialambulanzen für Forschung und Lehre bietet den Universitäten darüber hinaus eine strukturell eigenständige Möglichkeit, anwendungsbezogene Forschung, z. B. zur Evaluation neuropsychologischer Therapieangebote, voranzutreiben. Wie stark solche strukturellen Rahmenbedingungen Impulse für die Forschung geben können, ist aus dem enormen Anstieg der Zahl und Qualität psychotherapeutischer Forschung an den psychologischen Instituten in den letzten 20 Jahren zu ersehen, zu denen die Hochschulambulanzen für Forschung und Lehre in erheblichen Maße beigetragen haben (siehe z. B. KODAP-Initiative zur Koordinierung der Forschungsaktivitäten der psychotherapeutischen Hochschulambulanzen, Velten et al., 2017).

Insgesamt kann die Neuropsychologische Psychotherapie damit eine äußerst attraktive Schwerpunktsetzung für Studierende bieten, deren Interessen ausgeglichen sowohl Forschung als auch Anwendung umfassen und die entsprechend eine Qualifikation für beide Ausrichtungen verfolgen möchten. Bereits in der Vergangenheit dürfte dieser Wunsch zu dem beständig hohen Interesse an neuropsychologischen und auch neurowissenschaftlichen Studienangeboten beigetragen haben, da eine gewisse Flexibilität der möglichen Berufsfelder erwartet wurde. Zudem erweitert das neuropsychologische Arbeitsfeld in Zeiten, in denen die beruflichen Perspektiven im Bereich der klassischen Psychotherapie durch eine begrenzte Zahl an Weiterbildungsstellen und eine allgemeine Sättigung des Marktes zunehmend an Grenzen stoßen, die Möglichkeiten für eine heilkundliche Tätigkeit deutlich. Für das Gebiet selbst ist die enge Verquickung von Forschung und Anwendung als Glücksfall anzusehen, denn sie ermöglicht, dass durch den ausgebildeten Nachwuchs einerseits die Patientenversorgung gesichert wird, aber gleichzeitig auch der wissenschaftliche Fortschritt erleichtert wird. Schließlich erhöht sie auch die Aussichten, dass ein ausreichender Anteil der Absolvent_innen ihre Forschungsinteressen durch eine weitere wissenschaftliche Qualifikation vertiefen und damit potenziell in Zukunft Leitungspositionen im universitären Setting übernehmen können (vgl. zur Problematik Leibinger et al., in diesem Heft). Doch wie lässt sich eine solche umfassende Qualifizierung anbieten? Welche Voraussetzungen müssen an den Universitäten geschaffen werden?

Es erscheint als erster wichtiger Schritt dringend erforderlich, in den nächsten Jahren die Vertretung des Gebiets an den Universitäten zu stärken. Die Anzahl der Standorte, an denen klinisch qualifizierte Neuropsycholog_innen das Gebiet in Lehre und Forschung vertreten oder zumindest beteiligt sind, dürfte zurzeit deutschlandweit kaum im zweistelligen Bereich liegen. Nur so kann gesichert werden, dass die durch die Approbationsordnung festgelegten neuropsychologischen Inhalte im Studium möglichst durch Expert_innen vermittelt werden, die das Gebiet kompetent und überzeugend nahebringen können. Damit verbunden sind insbesondere auch die Möglichkeiten, im Studium fortlaufend berufspraktische Einblicke zu gewähren. Für die Universitäten ist mit neuropsychologisch denominierten Professuren die zusätzliche Chance verbunden, Synergien zwischen verschiedenen spezialisierten Masterangeboten herzustellen, da auch eine Beteiligung an der Lehre in Masterstudienangeboten mit kognitiv-neurowissenschaftlicher, pädagogisch-psychologischer oder rechtspsychologischer Schwerpunktsetzung denkbar ist.

Die Vernetzung mit externen Einrichtungen der neuropsychologischen Versorgung wird es sicherlich interessierten Studierenden erleichtern, im Rahmen der vorgesehenen berufspraktischen Tätigkeiten spezifische Erfahrungen zu sammeln und Handlungskompetenzen zu erwerben. Zentrale Bedeutung für die Ausbildung dürften jedoch vor allem neuropsychologische Hochschulambulanzen besitzen (vgl. Suchan, Pinnow & Thoma, in diesem Heft). Als Lehr- und Forschungsambulanzen sichern sie anwendungsbezogene Lehre, den Erwerb von klinischen Handlungskompetenzen und die Möglichkeit für Forschung zu klinischen Fragestellungen. Tatsächlich gibt es bislang entsprechende Ambulanzen lediglich an sieben Standorten, teils noch in einer frühen Phase des Aufbaus. Als größte Hürde für ihre Einrichtung wird konsistent der Mangel an qualifizierten Leitungskräften benannt. Die Einrichtung setzt die Leitung durch eine/n Psychotherapeut_in mit neuropsychologischer Zusatzqualifikation voraus. Damit spiegelt die Zahl der neuropsychologischen Hochschulambulanzen sehr deutlich die bislang unbefriedigende Vertretung des Gebiets an den Universitäten wider.

Die größte Herausforderung ergibt sich zweifelsohne bei der Frage, wie im Rahmen der Qualifikation in Neuropsychologischer Psychotherapie eine weiterführende wissenschaftliche Qualifikation, d. h. eine Promotion, zu ermöglichen sein wird. Diese Herausforderung ist mitnichten spezifisch für die Neuropsychologie. Der wissenschaftliche Nachwuchs im Bereich der Klinischen Psychologie und Psychotherapie steht schon lange vor dem Problem, wie sich postgraduale klinische und wissenschaftliche Qualifikation mehr oder minder zeitgleich realisieren lassen (Fink et al., 2018). Strukturierte Promotionsprogramme, in denen Promotion und psychotherapeutische Qualifikation integriert werden, haben sich bewährt, doch stehen sie nicht flächendeckend zur Verfügung.

Durch die Psychotherapieausbildungsreform hat sich die Problematik weiter verschärft. Die postgraduale Weiterbildungszeit zur/m Fachpsychotherapeut_in erstreckt sich gemäß MWBO über 5 Jahre, in denen eine Vollzeittätigkeit an einer zugelassenen Weiterbildungsstätte erfolgen muss. Die Durchführung eines Promotionsvorhabens im Rahmen der Beschäftigung an einer Weiterbildungsstätte dürfte nur sehr begrenzt möglich sein. Zwar ist die Weiterbildung in Teilzeit prinzipiell möglich, um so zumindest zeitliche Ressourcen für die wissenschaftliche Qualifikation zu gewinnen, doch würde sich damit die Qualifikationszeit insgesamt rasch unzumutbar verlängern. Bei der anstehenden Umsetzung der Weiterbildung muss daher nach Möglichkeiten für eine begleitende Forschungstätigkeit, die zu einer Promotion führen kann, gesucht werden. Das könnte insbesondere dadurch geschehen, dass auch die Tätigkeit in einem Forschungsprojekt an einer universitären Weiterbildungsstätte als Weiterbildungszeit angerechnet werden kann. Umso wichtiger ist die Etablierung neuropsychologischer Hochschulambulanzen, in denen neuropsychologische Weiterbildungsermächtigte tätig sind, damit diese als Weiterbildungsstätte hier die strukturellen und formalen Voraussetzungen für anerkannte Weiterbildungszeiten an universitären Einrichtungen bieten.

Förderlich wäre es sicherlich, bereits während des Studiums zur Approbation in Psychotherapie forschungsorientierte Vor-Promotionsprogramme zu etablieren, durch die bereits prägradual Schlüsselkompetenzen für die wissenschaftliche Arbeit aufgebaut werden, die den Einstieg in die Promotion erleichtern (Fiehler, 2021). Dabei bleiben selbstverständlich die Vorgaben der Approbationsordnung zu berücksichtigen. Eine aussichtsreiche Perspektive könnte die Zulassung von Hochschulambulanzen als Weiterbildungsstätten darstellen. Die unmittelbare Nähe zur universitären Infrastruktur dürfte günstige Voraussetzungen bieten, Forschungsvorhaben begleitend zur praxisorientierten Weiterbildung zu verfolgen. Insbesondere im Bereich der Neuropsychologischen Psychotherapie bietet sich dabei auch die Möglichkeit, in Kollaboration mit nahestehenden Grundlagenfächern klinische und grundlagenorientierte Forschungsansätze zu kombinieren. Die Schnittmengen sind groß und bieten vielfältige Optionen für die wissenschaftliche Qualifikation. Dabei sei z. B. auf die Einrichtung der Interessengruppe Biopsychologie und Neurowissenschaften in der Klinischen Psychologie der Deutschen Gesellschaft für Psychologie e. V. (DGPs) verwiesen, die die Schnittmenge der Fachgruppen Klinische Psychologie und Psychotherapie auf der einen Seite und Biologische Psychologie und Neuropsychologie auf der anderen Seite vertreten soll. Entscheidend wird letztlich sein, ob sich tragfähige Finanzierungsmodelle finden lassen, die Forschungstätigkeit auf Weiterbildungsstellen in substanziellem Umfang erlauben.

Literatur