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Open AccessOriginalarbeit

Digitalisierung der Arbeit und Eigeninitiative – die Rolle der organisationalen Fehlerkultur

Published Online:https://doi.org/10.1026/0932-4089/a000429

Abstract

Zusammenfassung: Die Digitalisierung der Arbeit eröffnet Freiräume für mehr Eigeninitiative (EI) der Beschäftigten und birgt das Risiko von Fehlern. Die Einführung neuer Technologien berührt deshalb auch stets die organisationale Fehlerkultur (FK). Besonders relevant ist dies bei wissensintensiven Dienstleistungen. Untersucht wird der Einfluss des arbeitsplatzbezogenen Digitalisierungsgrades (ADG) auf die Eigeninitiative von Beschäftigten (N = 457) in Steuerberatungskanzleien unter Berücksichtigung von organisationaler Fehlerkultur und Betriebs- bzw. Kanzleigröße. Die Prüfung erfolgt über ein moderiertes Mediationsmodell. (Angestellte) Angehörige freier Berufe (z. B. Steuerberaterinnen und –berater) zeigen grundsätzlich mehr Eigeninitiative als Nicht-Angehörige freier Berufe (NFB) (z. B. Steuerfachangestellte). Der Zusammenhang zwischen ADG und EI wird partiell von FK mediiert. Der Einfluss von FK auf EI ist stärker bei NFB. Theoretische wie praktische Implikationen sowie die Übertragbarkeit auf andere wissensintensive Dienstleistungstätigkeiten werden u. a. mit Blick auf die Arbeitsgestaltung diskutiert. Hierbei wird auch auf die Ergebnisse objektiv-bedingungsbezogener Tätigkeitsanalysen Bezug genommen.

The Digitalization of Work and Personal Initiative. The Role of Organizational Error Management Culture

Abstract: The digitalization of work provides opportunities to expand employees‘ personal initiative but holds the risk of errors. That’s why the introduction of new technologies always affects organizational error management culture. This is of particular importance in knowledge-intensive businesses. We investigated the effects of workplace digitalization on the personal initiative (PI) of tax-consultant office employees (N = 457) under consideration of organizational error management culture (EMC) and enterprise size. We used a moderated mediation model. (Wage-earning) tax consultants show more personal initiative than assistant tax consultants. EMC partially mediates the relationship between digitalization and PI. The effect of EMC on PI is stronger for assistant tax consultants. We discuss the theoretical and practical implications and transferability, focusing on work design and including the results of objective-condition-related work analyses.

Die fortschreitende Digitalisierung prägt die ökonomische Entwicklung. Unternehmen implementieren neue Technologien, um mit dem dynamischen Wandel der Märkte Schritt zu halten und Wettbewerbsvorteile zu generieren. Diese Entwicklung verändert menschliche Arbeit grundlegend (Rau & Hoppe, 2020; Görs, Traum, Koevel & Nerdinger, 2022). Die Beschäftigten müssen sich fortlaufend an sich wandelnde Anforderungen anpassen, um ihre Arbeitsaufgaben erfolgreich zu bewältigen (Lee, Falahat & Sia, 2019; Montealegre & Cascio, 2017; Sarabadani, Carter & Compeau, 2018). Aufgrund neuer technischer Möglichkeiten eröffnen sich größere Handlungsspielräume und bieten eine größere Aufgabenvielfalt (Hummert, Traum, Görs & Nerdinger, 2019) führen aber auch zu gravierenden Veränderungen in der Aus- und Weiterbildung (Hacker, 2022). Globaler Wettbewerb, hohe Innovationsraten, neue Produktionskonzepte und Veränderungen der Bedingungen und Strukturen von Arbeit (z. B. flexible Arbeitszeiten, Homeoffice) erfordern mehr Eigeninitiative, als dies unter rigiden Vorgaben ohne eigenen Gestaltungsspielraum der Fall war (Frese & Fay, 2001, S. 7). Das gilt für alle abhängig Beschäftigten gleichermaßen, unabhängig davon, ob sie eine Ausbildung in einem freien Beruf absolviert haben (z. B. Steuerberaterin, Steuerberater, Rechtsanwältin, Rechtsanwalt, Ärztin, Arzt) oder nicht. Angehörige freier Berufe und Nicht-Angehörige freier Berufe unterscheiden sich in ihrer Eigeninitiative (Frese, Fay, Hilburger, Leng & Tag, 1997). Für Unternehmen ist die Eigeninitiative (EI) von Beschäftigten erfolgsrelevant (Frese & Keith, 2015). Besonders wichtig sind EI und Lernorientierung in wissensintensiven Dienstleistungstätigkeiten (z. B. Steuerberatung, berufliches Lehramt). Dort ist ein hohes Fachwissen erforderlich, um die Arbeitsaufgaben zu erfüllen und es ergeben sich laufend Veränderungen in relevanten Wissensbeständen (z. B. durch gesetzliche Vorgaben, technische Veränderungen). Um im Digitalisierungsprozess unternehmerisch erfolgreich arbeiten zu können ist es von besonderem Interesse, die Zusammenhänge zwischen Digitalisierung und Eigeninitative zu kennen. Fördert die Digitalisierung die Eigeninitiative der Beschäftigten? Welche Einflussfaktoren spielen eine Rolle? Wie können diese Faktoren berücksichtigt werden?

Eigeninitiatives Handeln kann fehlerhaft sein. Das gilt besonders für wissensintensive Dienstleistungsberufe (Arntz, Gregory, Lehmer, Matthes & Zierahn, 2016), denn mit der Digitalisierung steigt die Gefahr der Informationsüberflutung. Sie entsteht, „wenn der Zeitpunkt des Erhalts informationshaltiger Daten nicht mit dem Zeitpunkt des Bedarfs für diese Informationen im Arbeitsablauf übereinstimmt“ (Rau & Hoppe, 2020, S. 27). Dann sind Entscheidungen über die Relevanz bzw. Irrelevanz zu treffen oder Informationen für die spätere Anwendung im Gedächtnis zu bewahren. Fehler sind hier quasi vorprogrammiert. Die Entwicklung eines Umgangs mit auftretenden Fehlern innerhalb einer Organisation ist deshalb im Zuge der Digitalisierung notwendig. Die organisationale Fehlerkultur (FK) gibt darüber Auskunft, wie der Umgang mit Fehlern von Beschäftigten wahrgenommen wird. Sie umfasst organisationale Praktiken und Vorgehensweisen in Bezug auf die Kommunikation über Fehler, das (kollegiale) Teilen von Wissen über Fehler, die gegenseitige Hilfe in Situationen, in denen Fehler auftreten und das schnelle Entdecken und Umgehen mit Fehlern (van Dyck, Frese, Baer & Sonnentag, 2005). Sie kann niedrig (im Sinne von Vermeidung) oder hoch (im Sinne von Management) ausgeprägt sein.

Der vorliegende Beitrag untersucht den Zusammenhang zwischen Digitalisierung, FK und EI von Beschäftigten in wissensintensiven Dienstleistungstätigkeiten unter Berücksichtigung der Berufszugehörigkeit und der Betriebsgröße. Exemplarisch für wissensintensive Diensleistungstätigkeiten wird eine Stichprobe von Beschäftigten in Steuerberatungskanzleien betrachtet. Empirische Analysen zeigen positive korrelative Zusammenhänge von Digitalisierung, EI und FK (Hummert, Traum, Görs & Nerdinger, 2019). Aufgrund der Notwendigkeit im Zuge der Digitalisierung einen Umgang mit Fehlern zu entwickeln, wird angenommen, dass die organisationale Fehlerkultur den Zusammenhang zwischen Digitalisierung und Eigeninitiative der Beschäftigten mediiert.

Digitalisierung

Mit dem Begriff Digitalisierung wird allgemein der „Wandel der Industrie- zur Informationsgesellschaft“ (Rau & Hoppe, 2020, S. 8) bezeichnet. Wir definieren Digitalisierung als „die Einführung bzw. verstärkte Nutzung von Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) durch (arbeitende) Individuen, Organisationen, Wirtschaftszweige und Gesellschaften mit den charakteristischen Folgen der Beschleunigung, zunehmenden Abstraktheit, Flexibilisierung und Individualisierung von Prozessen und Ergebnissen“ (Traum, Müller, Hummert & Nerdinger, 2017, S. 4). Diese Definition weicht von anderen dadurch ab, dass sie die Folgen der Digitalisierung integriert. Das liegt darin begründet, dass Folgen der Digitalisierung im untersuchten Wirtschaftsbereich bereits in einer qualitativen Vorstudie erkennbar waren (Hummert, Traum, Müller & Nerdinger, 2018). Die Folgen sind insofern ein wesentlicher Bestandteil der Digitalisierung und somit wichtig für deren Begriffsfassung und Verständnis. Darin spiegelt sich auch die ‘Technik-Getriebenheit’ vieler Branchen wider, nicht zuletzt derjenigen, die in der vorliegenden Studie im Fokus stehen soll: Steuerberatung. Das Geschäftsmodell der Steuerberatung umfasst bereits seit der Mitte des letzten Jahrhunderts die verschiedenen Stufen des Entwicklungszyklus zur Industrie 4.0 (Egner, 2018). Papierloses Arbeiten und digitaler Austausch mit Mandanten und Behörden werden immer mehr erwartet und die Kanzleien sind faktisch zur Digitalisierung gezwungen (EGovG, 2013;BStBK, 2020).

Unsere Definition umreißt zentrale Punkte der Digitalisierung in einem wissensintensiven Dienstleistungsbereich, die ganz oder teilweise auf andere Bereiche (z. B. Schule, Arztpraxis) übertragbar sind. Das ist der Verzicht auf physisch vorhandene Objekte, z. B. Ordner, Dokumente (Abstraktheit); das gesundheitsschädigende Potential ständiger Erreichbarkeit (Flexibilisierung) von Beschäftigten bzw. die daraus resultierende „Fragmentierung der Nicht-Erwerbszeit mit Abschnitten von Arbeit und Beeinträchtigung der Ruhezeit bei gleichzeitiger Ausdehnung der Arbeitszeit“ (Rau & Hoppe, 2020, S. 32) und die zunehmende Kundenbezogenheit (Individualisierung) bei der Leistungserstellung (Prozesse und Ergebnisse). Letzteres verweist darauf, dass der Digitalisierung im Bereich wissensintensiver Dienstleistungen (Arntz et al, 2016; Görs, Traum, Koevel & Nerdinger, 2022) besondere Bedeutung zukommt. Beschäftigte müssen zeitliche Strukturen und Vorgehensweisen zunehmend selbst ergebnisorientiert gestalten und dabei auftretende Schwierigkeiten überwinden.

Der Digitalisierungsgrad einer Tätigkeit hängt u. a. von gesetzlichen Vorgaben, individuellen Arbeitsgestaltungsmöglichkeiten und nicht zuletzt auch von den Charakteristika und Zielstellungen der Arbeitstätigkeit ab (vgl. Traum, 2022, S. 7). Der arbeitsplatzbezogene Digitalisierungsgrad (ADG) beschreibt das Ausmaß, in welchem die Tätigkeit an einem konkreten Arbeitsplatz bereits digitalisiert ist. Hier können Unterschiede bestehen, auch innerhalb einer Organisation (Hummert et al., 2019; Hummert, Traum, Görs & Nerdinger, 2022).

Eigeninitiative (EI)

Eigeninitiative (Frese et al., 1996) beschreibt ein Verhalten von Beschäftigten, die einen selbstgesteuerten und aktiven Zugang zur Arbeit haben und mit ihrem Einsatz über das formal vorgeschriebene Arbeitspensum hinausgehen. EI ist durch Beharrlichkeit und das Überwinden von Schwierigkeiten bei der Zielverfolgung gekennzeichnet (vgl. Frese & Fay, 2001, S. 134). EI geht konform mit den Zielen der Organisation, hat einen langfristigen Fokus und ist ziel- und handlungsorientiert. Diese Fähigkeit versetzt Beschäftigte in die Lage, aktiv Lösungen für unerwartet auftretende oder vorhergesehene Probleme in ihrem Arbeitsumfeld herbeizuführen und dabei die Begrenzungen organisational festgelegter Rollen zu überschreiten (Gartmeier et al., 2009). Es bestehen enge Zusammenhänge zu wichtigen beruflichen Erfolgsfaktoren wie Karriereplanung, Leistungsmotivation und langfristigen beruflichen Leistungen (Frese & Keith, 2015).

Maßgeblich für den Erfolg betrieblicher Leistungen in Dienstleistungsunternehmen ist beständiges, proaktives Handeln im Sinne der Kunden (Nerdinger, 2011) und damit letztendlich des Dienstleistungsunternehmens. Technische Veränderungen, welche die Digitalisierung mit sich bringt, beeinflussen dieses Handeln und eröffnen neue Handlungsmöglichkeiten. Internet- und Kommunikations-Technologien (IKT) bieten Beschäftigten erweiterte Feedbackmöglichkeiten, z. B. Rückmeldungen über Fehler durch spezielle Prüfsoftware. Möglichkeiten zur Etablierung eines „auftragsbezogenen Informationsflusses“ (Rau & Hoppe, 2020, S.28) sind ebenso gegeben, wie eine ständige Flut inhaltsleerer oder aktuell nicht benötigter Daten. Letzeres hat eine ständige Belastung der kognitiven Kapazitäten zur Folge, z. B. in Form von Ablenkung oder Belastung des Arbeitsgedächtnisses beim Behalten von später benötigten Informationen. Der auftragsbezogene Informationsfluss ist abhängig vom jeweiligen Arbeitsauftrag und orientiert sich daran, wer die Informationen zu dem Zeitpunkt benötigt. Er sollte das Ziel jeder Arbeitsgestaltung in wissens- bzw. Informations-intensiven Branchen sein. In der Gestaltung eines auftragsbezogenen Informationsflusses liegt großes Potential für die Eigeninitiative (EI) von Beschäftigten. Daraus ergibt sich die Annahme, dass Eigeninitiative von abhängig Beschäftigten bei der Einführung von IKT nicht nur hochgradig wünschenswert ist, sondern sie durch die Digitalisierung auch herausgefordert wird.

Weitere Möglichkeiten gesundheits- und leistungsförderlicher Arbeitsgestaltung durch die Beschäftigten sind selbst‐initiierte Maßnahmen des Gesundheitsschutzes wie eine aktive Pausengestaltung oder die Aufbewahrung des eigenen Smartphones in einem Nachbarraum und nicht auf dem Schreibtisch neben sich. Mit dieser simplen Handlung kann die eigene Arbeitsgedächtniskapazität – und damit die kognitive Leistungsfähigkeit – wirksam geschützt werden (Ward, Duke, Gneezy & Bos, 2017), einer Verringerung der Arbeitsproduktivitiät (Duke & Montag, 2017) wird entgegengewirkt. EI bietet auch eine gute Basis für partizipative Leistungsziele, die im Vergleich zu vorgegebenen Leistungszielen günstiger auf die Gesundheit und Autonomie von Beschäftigten wirken (Hoppe et al, 2020). In Zeiten zunehmender Digitalisierung, bei vermehrter Virtualität von Arbeitsteams (zuletzt in der Corona-Pandemie) und sinkendem Einfluss hierarchischer Führung auf die Teamleistung (Hoch & Kozlowski, 2014), ist Eigeninitiative gefordert, weil sie positiv mit Elementen geteilter Führung (z. B. Problemlösen, Schwierigkeiten überwinden) in Bezug steht (vgl. Coun et al., 2015, S.12). Geteilte Führung beschreibt einen Prozess gegenseitiger Beeinflussung, charakterisiert durch gemeinsames Entscheiden und geteilte Verantwortung, wodurch sich die Teammitglieder gegenseitig zur Zielerreichung führen (Day, Gronn, & Salas, 2004; Pearce & Conger, 2003). Sie wirkt positiv auf die Leistung virtueller Teams (Hoch & Kozlowski, 2014).

Zwischen den Beschäftigten in Steuerberatungskanzleien bestehen Unterschiede, die sich auf ihre Eigeninitiative auswirken können. Steuerberaterinnen und –berater (StB) gehören zu den freien Berufen (Dautzenberg & Dennerlein, 2018). Sie haben die „Befugnis zu unbeschränkter Hilfeleistung in Steuersachen“ (StBerG, 2021, § 3) und damit auch mehr als die Beschäftigten, die nicht Angehörige freier Berufe sind, die Verantwortung für die Ergebnisse der Arbeit in Steuerberatungskanzleien. Die Verantwortung für die Arbeitsergebnisse ist neben anderen Faktoren (wie inhaltlichen und zeitlichen Freiheitsgraden und Rückmeldungen) ein wesentliches Element der Lernförderlichkeit einer Tätigkeit (Rau, 2006; Rau et al., 2021). StB sind aufgrund ihrer Qualifikation und per Gesetz zur selbständigen Berufstätigkeit ermächtigt. Empirische Befunde (Frese et al., 1997) zeigen, dass Selbständige eine höhere EI aufweisen als abhängig Beschäftigte. Theoretisch ist auch bei angestellten StB, die für eine berufliche Selbständigkeit qualifiziert sind, eine höher ausgeprägte EI zu erwarten als bei Steuerfachangestellten, die nicht für eine berufliche Selbständigkeit qualifiziert sind. Wir prüfen, ob sich die Beschäftigten bereits im Ausgangsniveau der abhängigen Variable (EI) unterscheiden.

Zur Vereinfachung der Lesbarkeit wird im Folgenden die Abkürzung FB (‘Freie Berufe’) synonym für alle abhängig Beschäftigten in Steuerberatungskanzleien verwendet, die Angehörige freier Berufe sind (z. B. Steuerberaterinnen, Steuerberater, Wirtschaftsprüferinnen, Wirtschaftsprüfer). Die Abkürzung NFB (‘Nicht Freie Berufe’) wird synonym für alle abhängig Beschäftigten verwendet, die nicht Angehörige freier Berufe sind (z. B. Steuerfachangestellte). Aus der Betrachtung ausgeschlossen werden selbständig Beschäftigte (z. B. Geschäftsführung). Wir prüfen zuerst die Hypothese:

H1: FB weisen eine höhere EI auf als NFB.

Empirische Befunde zeigen positive Zusammenhänge zwischen Digitalisierung und Tätigkeitsmerkmalen wie Handlungsspielraum, Vielseitigkeit, Information und Mitsprache, betrieblichen Leistungen (Hummert et al., 2019; Hummert et al., 2022). Erweiterte Handlungsspielräume ermöglichen mehr EI. Angenommen wird, dass der arbeitsplatzbezogene Digitalisierungsgrad (ADG) die EI der angestellten Beschäftigten in Steuerberatungskanzleien positiv beeinflusst. Ob Unterschiede in der Wirkung der Digitalisierung auf die EI von NFB und FB bestehen, soll explorativ geprüft werden:

H2a: Der arbeitsplatzbezogene Digitalisierungsgrad (ADG) der FB beeinflusst ihre Eigeninitiative (EI) positiv.

H2b: Der arbeitsplatzbezogene Digitalisierungsgrad (ADG) der NFB beeinflusst ihre Eigeninitiative (EI) positiv.

Fehlerkultur (FK)

Jede technische Neuerung birgt auch Gefahren (Kriegesmann et al., 2006). Diese offenbaren sich beispielsweise in Nutzungsfehlern, die auf mangelnder Erfahrung und mangelndem Anwendungswissen basieren. Vermutlich ist es kein Zufall, dass der Beginn der Fehlerforschung mit der beginnenden Einführung von IKT in den Büroalltag zusammenfällt (Frese & Brodbeck, 1989; Frese, 1993). Fehler als Bedrohung zu sehen, kann zu Passivität führen. Wenn „jemand nichts tut, macht er keine Fehler“ (Frese, 1993, S. 99), er erbringt aber auch keine Leistung (und kann nicht lernen). Wünschenswert ist deshalb ein proaktives Verhalten der Beschäftigten, das zum positiven Umgang mit und zur Vermeidung von Fehlern beiträgt, ihre negativen Auswirkungen minimiert, ihre positiven Auswirkungen maximiert und die produktive Nutzung der durch die Digitalisierung entstehenden Handlungsspielräume ermöglicht. Wirksam unterstützt wird das durch eine organisationale Fehlermanagementkultur. Sie beschreibt den positiven Umgang mit Fehlern bei der Arbeit innerhalb von Organisationen und Arbeitsgruppen. Wesentliche Elemente sind die Reduktion negativer emotionaler Konsequenzen (z. B. Selbstvorwürfe) und die Nutzung von Fehlern als informatives Feedback zum Lernen (Frese et al., 1991; Frese, 1995; Rau, 2006). Führungskräfte, die eine Fehlermanagementkultur pflegen, ermutigen ihre Beschäftigten, eigene Wege zur Verbesserung ihrer professionellen Kompetenzen zu erproben, statt ihnen strikte Anweisungen und Vorgaben zu machen und fördern so deren Lernorientierung (Liu & Xiang, 2020). Fehlermanagement lässt sich effizient trainieren, die Trainings stehen in positivem Bezug zum Umgang mit neuen Aufgaben (Keith & Frese, 2008).

Aufgrund der Unvermeidbarkeit von Fehlern in Innovationsprozessen ist davon auszugehen, dass die Fehlerkultur (FK) sich im Zuge der Digitalisierung verändert, anpasst oder sich ggf. neu entwickelt. Alle drei Aspekte sprechen dafür, einen Einfluss der Digitalisierung auf die FK anzunehmen. Innerhalb einer Organisation können Fehler als Lerngelegenheiten oder als Bedrohung betrachtet werden. Die Betrachtung als Lernmöglichkeit reduziert negative Emotionen, erhöht die Profitabilität (van Dyck et al., 2005) und wirkt positiv auf die Innovationsfähigkeit (Fischer, Frese, Mertins & Hardt-Gawron, 2018) von Organisationen und Arbeitsgruppen. Es ist anzunehmen, dass besonders in wissensintensiven Dienstleistungstätigkeiten mit ständigem Veränderungs-‍, hohem Digitalisierungs- und Fehlerpotential ein positiver Umgang mit Fehlern (Fehlermanagementkultur anstelle von Fehlervermeidungskultur) angestrebt wird. Theoretisch führt Fehlermanagementkultur zu einer Lernförderlichkeit und damit auch zur Gesundheitsförderlichkeit von Tätigkeiten (Rau, 2006), weil keine negativen Konsequenzen von Fehlern zu erwarten sind. Dies sollte sich positiv auf die Motivation und Verweildauer der Beschäftigten in Unternehmen auswirken. Gerade für wissensintensive Branchen, die zugleich vielen Veränderungen unterliegen (Regeln, Gesetze etc.), unter dem Anpassungsdruck der Digitalisierung stehen und an Fachkräftemangel leiden, ist das enorm wichtig. Wir gehen deshalb davon aus, dass die Digitalisierung hier eher eine Fehlermanagementkultur hervorbringt. In einer Kultur der Fehlervermeidung, verbunden mit Druck, Stress, Scham der Beschäftigten, wäre eine hohe Fluktuation wahrscheinlich und der Fortbestand des Unternehmens gefährdet.

Empirische Befunde zeigen Unterschiede im arbeitsplatzbezogenen Digitalisierungsgrad (ADG) zwischen Steuerberatenden und Steuerfachangestellten (Hummert et al., 2022, S. 67). Aufgrund dieser Unterschiede sind auch Unterschiede in der Entwicklung der FK zu erwarten. Bei niedrigem ADG, wenig neu eingeführten Technologien und Arbeitsweisen ist ein geringes Fehleraufkommen zu erwarten und die Erfordernis der Entwicklung einer positiven FK (Fehlermanagement) ist weniger notwendig und erwartbar. Zur Sichtbarmachung von Unterschieden wird die Prüfung des Zusammenhangs zwischen ADG und FK für FB und NFB getrennt vorgenommen.

H3a: Der arbeitsplatzbezogene Digitalisierungsgrad (ADG) von FB sagt eine positive organisationale Fehlerkultur (FK) vorher.

H3b: Der arbeitsplatzbezogene Digitalisierungsgrad (ADG) von NFB sagt eine positive organisationale Fehlerkultur (FK) vorher.

Gartmeier et al. (2009) zeigen einen Zusammenhang zwischen individueller Fehlerorientierung und EI von abhängig Beschäftigten. Theoretisch ist auch von der positiven Wirkung einer Fehlermanagementkultur auf die Eigeninititative auszugehen, weil Mitarbeitende, die in einer Umgebung arbeiten, in der Fehler als Lernchance betrachtet werden, offene Kommunikation gefördert wird und Schuldzuweisungen und Bestrafungen im Zusammenhang mit Fehlern vermieden werden, eher bereit sind, eigene Ideen einzubringen, eigenständig zu handeln und Verantwortung zu übernehmen, da sie keine Angst vor Fehlern oder den damit verbundenen negativen Konsequenzen haben müssen. Eine Fehlermanagementkultur schafft ein unterstützendes und vertrauensvolles Umfeld, in dem sich Mitarbeitende ermutigt fühlen, Neues auszuprobieren, (auch mal) Risiken einzugehen und innovative Lösungen zu entwickeln. Dies könnte ihre EI fördern. Unter der Annahme, dass die FK den Zusammenhang zwischen arbeitsplatzbezogener Digitalisierung und EI mediiert und zur Sichtbarmachung von Unterschieden zwischen FB und NFB werden folgende Hypothesen geprüft:

H4a: Eine positive FK (Fehlermanagement) beeinflusst die EI von FB positiv.

H4b: Eine positive FK (Fehlermanagement) beeinflusst die EI von NFB positiv.

Betriebsgröße bzw. Mitarbeiteranzahl

Ein möglicher Einflussfaktor auf den Zusammenhang zwischen FK und EI der Beschäftigten ist die Betriebsgröße bzw. die Anzahl der Beschäftigten. Jüngere empirische Befunde zeigen, dass kleine Unternehmen im Vergleich zu großen starke Unternehmenskulturen haben (Marchetti, & Puranam, 2022). Eine starke Unternehmenskultur ist gekennzeichnet durch eine hohe Bedeutung unternehmenskultureller Merkmale und eine hohe (diesbezügliche) Einigkeit der Beschäftigten (Chatman et al., 2014). Die Fehler des Einzelnen könnten in kleinen Kanzleien mit wenigen Beschäftigten und Fehlervermeidungskultur zu einer Verringerung der EI führen. Die Sichtbarkeit und die persönliche Zurechenbarkeit von Fehlern werden möglicherweise als schwerwiegender wahrgenommen, wenn keine Kultur des konstruktiven Umgangs damit etabliert ist.

In größeren Kanzleien sind auch andere Führungsstrukturen zu erwarten als in kleinen (z. B. Mehrliniensysteme, Matrixorganisationen). In Matrixorganisationen werden zwei organisationale Autoritäts- bzw. Führungslinien kombiniert, beispielsweise Produkt (z. B. Jahresabschluss, Lohnbuchhaltung) und Funktion (z. B. Steuerfachwirtin, IT-Spezialist). Das kann zu widersprüchlichen Zielvorgaben führen. Beschäftigte und Führungskräfte in Mehrliniensystemen in Form einer Matrixorganisation sind stets mit der Anforderung konfrontiert, auftretende Widersprüche in den Anweisungen vorgeordneter Ebenen sichtbar zu machen und diese Ebenen mit den Widersprüchen zu konfrontieren. Aufgrund nicht endgültig geregelter Konflikte gewinnen sie aber auch „Freiräume für Eigeninitiative“ (Schreyögg, 2008, S. 156), die ein nachgeordneter Beschäftigter oder Manager in der klassischen Linienorganisation nicht hat. Diese Freiräume können unterschiedlich genutzt werden. So kann die jeweilige Führungskraft (z. B. Teamleiterin, Fachvorgesetzter) eine strenge Fehlervermeidungskultur pflegen. Sie kann auch engagiert, motivierend, unterstützend und vorbildgebend auf Teammitglieder einwirken und einen positiven Umgang mit Fehlern vorleben. Je kleiner das Unternehmen ist, desto größer sollte der Grad der Übereinstimmung über gemeinsame Praktiken, Normen, etc. im Umgang mit Fehlern sein (culture strength, Marchetti & Puranam, 2022), da kleine Unternehmen kürzere, einfachere Kommunikationsabläufe haben, die für die Bildung gemeinsamer Überzeugungen und Praktiken unerlässlich sind (van den Steen, 2010). Je größer die Übereinstimmung, desto stärker die Kultur und damit auch der Zusammenhang zwischen FK und EI. Demnach wären unterschiedlich starke Zusammenhänge zwischen FK und EI der abhängig Beschäftigten in großen Kanzleien im Vergleich zu kleinen Kanzleien zu erwarten. In kleinen Kanzleien sollte der Zusammenhang zwischen FK und EI enger sein als in größeren, weil hier eine stärkere Unternehmenskultur, d. h., eine hohe Einigkeit darüber wie mit Fehlern umzugehen ist zu erwarten ist.

Angenommen wird deshalb, dass die Betriebsgröße bzw. Mitarbeiteranzahl den Zusammenhang zwischen FK und EI der Beschäftigten moderiert. Geprüft werden die Zusammenhänge separat für FB und NFB:

H5a: Die Mitarbeiteranzahl moderiert den Zusammenhang zwischen FK und EI der FB.

H5b: Die Mitarbeiteranzahl moderiert den Zusammenhang zwischen FK und EI der NFB.

Methode

Design und Erhebung der Stichprobe

Die Daten zur Prüfung der Hypothesen wurden in einer Feldstudie an aktuell Beschäftigten in Steuerberatungskanzleien von Juni bis August 2018, über einen Zeitraum von 13 Wochen, in einer Online-Erhebung erhoben. Der Link zur Online-Studie wurde über die Partner eines Praxiskooperationsprojektes gestreut. Darüber hinaus erfolgte eine Bewerbung der Studie in sozialen Medien. Der Fragebogen wurde 1.400 mal aufgerufen und von 466 Beschäftigten in Steuerberatungskanzleien bearbeitet, davon wurden 9 Teilnehmende aufgrund mangelnder Datenqualität ausgeschlossen (z. B. mehr als 10 % fehlende Werte im Datensatz). Damit umfasste die Stichprobe letztendlich N = 457 Teilnehmende (weitere Hinweise zur Studie siehe: Hummert et al., 2019). Die Rücklaufquote liegt in Bezug auf die Anzahl der Aufrufe bei 33 %.

Instrumente

In den folgenden Abschnitten werden die verwendeten Instrumente vorgestellt. Im Sinne einer ökonomischen Bearbeitung wurde zur Messung aller Konstrukte eine 5-stufige Likert Skala (1 trifft überhaupt nicht zu – 5 trifft voll und ganz zu) verwendet.

Arbeitsplatzbezogener Digitalisierungsgrad (ADG)

Der arbeitsplatzbezogene Digitalisierungsgrade (ADG) wurde mit einer Skala erfasst, die aus 13 Items besteht (Görs, Müller, Traum, Hummert & Nerdinger, 2022). Die interne Konsistenz der Skala ist als gut zu bewerten (Cronbach’s α = .82). Beispielitems sind „Bei meiner Arbeitstätigkeit tausche ich Dokumente elektronisch mit meinen Mandanten/innen aus“; „Bei meiner Arbeitstätigkeit benutze ich cloudbasierte Dienste“. Das Instrument unterscheidet sich von anderen Inventaren zur Erfassung von digitalisierter Arbeit (Poethke et al., 2019). Es deckt relevante Aspekte ab, die in Steuerberatungskanzleien im Zusammenhang mit der Digitalisierung am individuellen Arbeitsplatz auftreten (Görs, Traum, Koevel & Nerdinger, 2019).

Fehlerkultur

Die wahrgenommene Fehlerkultur (FK) wurde mit 5 Items der Skala error-management-cultur (EMC) von van Dyck et al. (2005) erfasst. Sie wurden auf den Bereich Steuerberatung angepasst. So wurde das Wort „Kanzlei“ anstelle von „Betrieb“ verwendet. Niedrige Ausprägungen deuten auf eine Fehlervermeidungskultur, hohe Ausprägungen deuten auf eine Fehlermanagementkultur, also einen positiven Umgang mit Fehlern hin. Die interne Konsistenz der Kurz-Skala war gut (Cronbach‘s alpha = .82). Die 5 Items erfragen Normen und Vorgehensweisen, die in Bezug auf das Erkennen von und den Umgang mit Fehlern in der Organisation vorhanden sind. Zwei Beispielitems lauten: „In unserer Kanzlei gibt es Einigkeit darüber, dass man bei der Bewältigung einer Aufgabe eine Menge aus den Fehlern lernen kann. bzw. „Wenn man einen Fehler alleine nicht beheben kann, wendet man sich an seine Kollegen/innen.“

Eigeninitiative

Eigeninitiative (EI) wurde mit der von Frese et al. (1997) entwickelten Skala erfasst. Sie umfasst sieben Items zu proaktivem Verhalten, Ideengenerierung, Problemlösung und Verbesserungsinitiativen (Cronbach’s alpha = .83). Beispielitems sind „Ich gehe Probleme aktiv an“ oder „Ich bin besonders gut darin, Ideen umzusetzen.“

Betriebsgröße bzw. Mitarbeiteranzahl

Die Betriebsgröße wurde über die Anzahl der Beschäftigten ermittelt. Sie wurde direkt bei den Studien-Teilnehmerinnen und Teilnehmern erfragt.

Ergebnisse

Stichprobenbeschreibung und korrelative Zusammenhänge

Die Gesamtstichprobe (N = 457) setzte sich zusammen aus n = 90 angestellten Beschäftigten, die Angehörige freier Berufe sind (FB), n = 355 sind angestellte Beschäftigte, die nicht Angehörige freier Berufe sind (NFB), n = 12 Personen gehörten zur Geschäftsführung und damit nicht zu den abhängig Beschäftigten. Sie werden in der weiteren Auswertung nicht berücksichtigt, da sie andere Ausprägungen der fokussierten Merkmale aufweisen als abhängig Beschäftigte (Langowitz & Allen, 2010).

Die FB waren durchschnittlich 41 Jahre alt (M = 41.13, SD = 10.74), davon waren 43 Frauen (47.8 %), 46 Männer (51.7 %), eine Person ließ die Frage nach ihrem Geschlecht unbeantwortet. Die NFB waren durchschnittlich 37 Jahre alt (M = 36.56, SD = 12.25), es waren 268 Frauen (75.5 %), 83 Männer (23.6 %), vier Personen ließen die Frage nach ihrem Geschlecht unbeantwortet. Tabelle 1 zeigt die korrelativen Zusammenhänge der Studienvariablen separat für beide Gruppen (abweichende Stichprobengrößen beruhen auf fehlenden Daten).

Unmittelbar fällt auf, dass sowohl bei FB, als auch bei NFB signifikante positive Zusammenhänge zwischen arbeitsplatzbezogenem Digitalisierungsgrad (ADG), Eigeninitiative und Fehlermanagementkultur bestehen. Weiterhin ist erkennbar, dass der Zusammenhang zwischen ADG und EI bei FB stärker ist (r = .32) als bei NFB (r = .19). Der arbeitsplatzbezogene Digitalisierungsgrad hat demnach unterschiedlich starke Auswirkungen auf die Eigeninitiative abhängig Beschäftigter in Steuerberatungskanzleien, die gemäß ihrer Qualifikation Angehörige freier Berufe sind und jenen, die nicht Angehörige freier Berufe sind. Der Zusammenhang zwischen FK und EI ist bei FB und NFB in etwa gleich stark (r = .33 bzw. r = .35). Die Mitarbeiteranzahl lag in der Gesamtstichprobe durchschnittlich bei 23 (M = 23.25, SD = 16.38, Mod = 20) mit einer Range von 1 bis 100 Beschäftigten (Min = 1, Max = 100). Es handelte sich also überwiegend um Mikro- und Kleinunternehmen, zum Teil auch um mittlere Unternehmen (Destatis, 2021). Diese Größe ist in der Branche üblich (DATEV e.G, 2018).

Eine Prüfung mittels t-Test für unabhängige Stichproben ergibt signifikante (alle ps ≤ .001) Unterschiede zwischen beiden Gruppen hinsichtlich der EI (t‍(442) = -3.77, Cohen’s d = .56, 95 %-Konfidenzintervall: -0.678 – -0.211). Hypothese 1 wird bestätigt. Die FB weisen eine höhere EI auf als die NFB. Explorativ wurden beide Gruppen auch in Bezug auf ADG (t‍(433) = -4.37, Cohen’s d = .74, 95 %-Konfidenzintervall: -0.751 – -0.282), ihr Alter (t‍(439) = -3.49, Cohen’s d = 11.96, 95 %-Konfidenzintervall: -0.616 – -0.149) und die FK verglichen. Beim Alter sind die Unterschiede durch die längere Ausbildungszeit von FB im Vergleich zu NFB erklärbar. Beim arbeitsplatzbezogenen Digitalisierungsgrad zeigen sich vermutlich Auswirkungen der kanzleiinternen Arbeits- und Aufgabenverteilung zwischen den unterschiedlich qualifizierten Beschäftigten. Hinsichtlich der wahrgenommenen FK (t‍(442) = -.40, Cohen’s d = .71, 95 %-Konfidenzintervall: -0.279 – 0.184) bestehen keine signifikanten Unterschiede zwischen FB und NFB.

Tabelle 1 Mittelwerte, Standardabweichungen und Inter-Korrelationen der Studienvariablen

Modellprüfung

Die Prüfung der Hypothesen 2 bis 5 erfolgt separat für abhängig Beschäftigte Angehörige freier Berufe (FB) (Hypothesen 2a, 3a, 4a und 5a) und abhängig Beschäftigte, die nicht Angehörige freier Berufe sind (NFB) (Hypothesen 2b, 3b, 4b und 5b). Die moderierte Mediationsanalyse wird mittels des SPSS Macros PROCESS (Hayes, 2018, Version 3.2) berechnet. Zur Prüfung wird Model 15 (Hayes, 2013, S. 451) genutzt. Dadurch wird sichergestellt, dass ein (evtl. vorhandener) moderierender Einfluss der Mitarbeiteranzahl auf den Zusammenhang zwischen ADG und EI nicht übersehen wird. Die zu prüfenden Hypothesen und Ergebnisse sind in Abbildung 1 dargestellt. Die Bezeichnungen der Variablen wurden entsprechend den Bezeichnungen im Model 15 von Hayes (2013) verwendet (X: UV, Y: AV, M: Mediator, W: Moderator). Tabelle 2 zeigt für FB und NFB die Koeffizienten und Interaktion‍(en).

Abbildung 1 Anmerkungen:p = .12, °p < .05, *p < .01, **p < .001; FB = Angestellte Beschäftigte, die Angehörige Freier Berufe sind (n = 89); NFB = Angestellte Beschäftigte, die nicht Angehörige freier Berufe sind (n = 340). Abbildung 1. Zusammenhang zwischen Arbeitsplatzbezogenem Digitalisierungsgrad (ADG), Eigeninitiative (EI), organisationaler Fehlerkultur (FK) und Betriebsgröße bei angestellten Beschäftigten Angehörigen freier Berufe (FB) und Nicht-Angehörigen freier Berufe (NFB) in Steuerberatungskanzleien.
Tabelle 2 Eigeninitiative (EI) von Angehörigen freier Berufe (FB) und Nicht-Angehörigen freier Berufe (NFB) erklärt durch den Arbeitsplatzbezogenen Digitalisierungsgrad (ADG), die organisationale Fehlerkultur (FK), die Mitarbeiteranzahl (MA) und die Interaktion zwischen organisationaler Fehlerkultur und Mitarbeiteranzahl (FK x MA)

In der Prüfung für die FB erweisen sich die Mehrheit der theoretisch erwarteten Zusammenhänge und das Gesamtmodell als signifikant, R = .42, R2 = .17, MSE = .26, F(5,83) = 3.49, p < .05. 17 % der Varianz der EI der FB wird durch die arbeitsplatzbezogene Digitalisierung (ADG) und Fehlerkultur (FK) erklärt, H2a wird bestätigt. FK mediiert den Zusammenhang partiell. Die Modellprüfung für die FB zeigt einen signifikanten Zusammenhang zwischen ADG und FK, R = .33, R2= .11, MSE = .43, F‍(1,87) = 10.30, p < .05. 11 % der Varianz der FK werden nach Einschätzung der FB durch ADG erklärt. Weiter zeigt sich ein signifikanter Einfluss der FK auf die EI der FB. Die Hypothesen H3a und H4a werden bestätigt. Nicht bestätigt wird H5a, der moderierende Einfluss der Mitarbeiterzahl auf den Zusammenhang zwischen FK und EI. Somit ist der Einfluss der FK auf die EI der FB unabhängig davon, ob es sich um eine große, mittlere oder kleine Kanzlei handelt. Die Mitarbeiteranzahl moderiert auch nicht den Zusammenhang zwischen ADG und EI. Digitalisierung (β = .20) und Fehlerkultur (β = .20) wirken gleichermaßen auf die Eigeninitiative der FB.

Auch in der Modellprüfung für die Gruppe der NFB erweisen sich die theoretisch erwarteten Zusammenhänge und das Gesamtmodell als signifikant, R = .39, R2 = .15, MSE = .28, F‍(5,334) = 11.78, p < .001. 15 % der Varianz der EI der NFB werden durch ADG und FK erklärt. Hypothese H2b wird bestätigt. FK mediiert den Zusammenhang partiell. Es zeigt sich ein signifikanter Zusammenhang zwischen ADG und FK, R = .179, R2 = .03, MSE = .50, F‍(1,338) = 11.24, p < .001. 3 % der Varianz der FK lassen sich durch den arbeitsplatzbezogenen Digitalisierungsgrad der NFB erklären. Weiter zeigt sich ein signifikanter Einfluss der FK auf die EI der NFB. Die Hypothesen H3b und H4b werden bestätigt. Die Fehlerkultur (β = .25) hat einen größeren Einfluss auf die Eigeninitiative der NFB als die Digitalisierung (β = .11).

Für die Teilstichprobe der NFB wird der moderierende Einfluss der Mitarbeiteranzahl auf den Zusammenhang zwischen FK und EI (Hypothese H5b) nicht bestätigt (p = .12). Der Index der moderierten Mediation beträgt Index = -.0006, BootSE = .0006, BootLLCI = -.0019; BootULCI = .0004.

Diskussion

Die Ergebnisse zeigen, dass sich Angestellte, die Angehörige freier Berufe sind (z. B. Steuerberater_innen) in ihrer EI von Angestellten unterscheiden, die nicht Angehörige freier Berufe sind (z. B. Steuerfachangestellte) – Hypothese 1 wurde bestätigt. Der arbeitsplatzbezogene Digitalisierungsgrad in Steuerberatungskanzleien erklärt einen Teil der Varianz der EI der Beschäftigten. Das gilt für Angehörige freier Berufe und für die Beschäftigten, die nicht Angehörige freier Berufe sind (H2a, H2b bestätigt). Die FK mediiert den Zusammenhang zwischen arbeitsplatzbezogenem Digitalisierungsgrad und EI bei beiden Beschäftigten-Gruppen partiell (H3a, H3b, H4a, H4b bestätigt). Zudem zeigte sich, die Arbeit der FB ist im Mittel stärker digitalisiert als die der NFB.

Die Betriebsgröße bzw. Mitarbeiteranzahl hat keinen Einfluss auf den Zusammenhang zwischen FK und EI der abhängig beschäftigten Angehörigen freier Berufe (Steuerberaterinnen, Steuerberater, Wirtschaftsprüferinnen, Wirtschaftsprüfer, Rechtsanwältinnen, Rechtsanwälte etc.) und auch keinen statistisch signifikanten Einfluss auf den Zusammenhang zwischen FK und EI der Beschäftigten, die nicht Angehörige freier Berufe sind. Das heißt, eine Fehlermanagementkultur ist bei jeder Betriebsgröße bzw. Mitarbeiteranzahl wichtig.

Stärken und Grenzen

Die Stärke der vorliegenden Studie liegt in ihrem Praxisbezug. Alle Teilnehmenden sind Beschäftigte in Steuerberatungskanzleien. Sie befinden sich mitten im digitalen Transformationsprozess. Die Digitalisierung der Arbeitsprozesse und Ergebnisse ist in der Steuerberatung aufgrund gesetzlicher Vorgaben bereits vorangeschritten doch nicht abgeschlossen. Es wurden unterschiedliche arbeitsplatzbezogene Digitalisierungsgrade (ADG) festgestellt. Der ADG-Wert wies in der Gesamtstichprobe (N = 457) eine leichte Streuung auf (M = 3.13, SD = .75, Min = 1.15, Max = 5). Homeoffice ist in der Branche schon länger gang und gäbe (wenn auch weniger strikt als unter Pandemiebedingungen) – das gilt auch für den Erhebungszeitpunkt. Eine weitere Stärke der vorliegenden Arbeit ist die separate Betrachtung zweier Beschäftigtengruppen, die sich grundlegend in ihrem Qualifikationsniveau und der Verantwortung für die Arbeitsergebnisse unterscheiden: die Gruppe der abhängig Beschäftigten, die (gemäß Qualifikation) zu den freien Berufen gehören (FB) und die Gruppe der abhängig Beschäftigten, die (gemäß Qualifikation) nicht zu den freien Berufen gehören (NFB). So lassen sich die Ergebnisse auch auf andere wissensintensive Dienstleister übertragen (z. B. Informatikerinnen, Informatiker, berufliche Lehrkräfte, Ärztinnen, Ärzte).

Eine Limitierung der Arbeit besteht darin, dass der Erhebungszeitraum nicht in der tax-season lag, somit nicht in der Zeit der höchsten Arbeitsintensität in den Kanzleien. Möglicherweise wäre dort aufgrund des Zeitdrucks und der potenziell eingeschränkten Möglichkeiten einer intensiven Fehleranalyse und -nutzung die Einschätzung der FK anders ausgefallen. Mit dem verwendeten EMC wurde die wahrgenommene FK erfasst. Hier können durchaus Unterschiede zwischen verschiedenen Beschäftigten in derselben Kanzlei bestehen. Diese wurden nicht berücksichtigt.

Der Querschnittsansatz der Erhebung lässt nur eine Vermutung über die Wirkrichtung zu. Denkbar ist, dass ADG auch zumindest teilweise von der EI der Beschäftigten vorhergesagt wird. Am plausibelsten erscheint eine wechselseitige Beeinflussung beider Aspekte. Die in diesem Beitrag fokussierte Wirkrichtung ADG auf EI ist (auch) der Tatsache geschuldet, dass zum Erhebungszeitpunkt die Digitalisierung in den teilnehmenden Kanzleien längst begonnen hatte und unterschiedlich weit fortgeschritten war. Die Beantwortung der Frage, inwieweit die EI der Beschäftigten ADG auch vorhersagt, war so praktisch nicht möglich. Die betrachtete Wirkrichtung spiegelt letztlich auch die „Technik-Getriebenheit“ der Branche wider, die ein papierloses Arbeiten und einen digitalen Austausch mit Behörden und Mandanten forciert.

Die Diskrepanz zwischen Aufrufen der Online-Befragung (1 400) und vollständigen Teilnahmen (N = 457) zeigt eine Selbstselektion der Befragten. Im Hinblick auf die hier untersuchte Fragestellung erscheint dies unproblematisch. Die Analysen zeigen beim Digitalisierungsgrad eine ausreichende Streuung und eine Normalverteilung der Daten. Aufgrund der Anonymität der Befragung ist nicht von sozial erwünschten Antworten auszugehen. Rückschlüsse auf die Identität von Befragten oder auf die Kanzleizugehörigkeit sind nicht möglich. Dies war den Teilnehmenden bekannt. Insofern sollte auch die Motivation zu sozial erwünschten Antworten fehlen.

Theoretische Relevanz

Theoretisch bedeutsam ist, dass die Kanzleigröße (Anzahl der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter) keinen moderierenden Einfluss auf den Zusammenhang zwischen organisationaler FK und EI der FB hat. Das heißt, Fehlermanagementkulur fördert proaktives Verhalten der angestellten Angehörigen freier Berufe (FB) unabhängig von der Kanzleigröße. Bei FB könnte generell eine stärkere Identifikation mit den Organisationszielen vorhanden sein als bei den NFB, weil das Erreichen der Ziele dem unternehmerischen Erfolg dient und sie sich aufgrund der Zugehörigkeit zu den freien Berufen stärker mit der unternehmerischen Perspektive identifizieren als die NFB. Dieser Befund könnte auch für andere Organisationen gelten, in denen Angehörige freier Berufe angestellt sind (z. B. Rechtsanwaltskanzleien, Arztpraxen).

Führungskräfte, die eine Fehlermanagementkultur pflegen, fördern die Lernorientierung der Beschäftigten (Liu & Xiang, 2020). Aufgrund der Lernförderlichkeit kann ein Bezug zwischen Fehlermanagementkultur und Servant-leadership angenommen werden. Servant-leadership richtet sich auf die Entwicklung und das Wachstum der Mitarbeitenden (motivation to serve) und ist selbstlos, einfühlsam, nicht an einer reinen Kosten-Nutzen-Analyse orientiert (non-calculative motivation to lead, Paas Poell & Batistič, 2020). Hier besteht eine theoretische Nähe zur prosozialen Machtmotivation (Baumann, Chatterjee & Hank, 2016). Sie ermöglicht Führung unter Berücksichtigung eigener und fremder Bedürfnisse und Interessen und wirkt so unterstützend auf Lernen und Entwicklung. Das Anerkennen und Annehmen von Fehlern und die Nutzung als Lerngelegenheit, nicht als Stressor und Bedrohung könnte ein Wegbereiter für Servant-leadership sein, weil dadurch eine unterstützende, dienende Haltung gegenüber den Mitarbeitenden eingenommen wird.

Unter dem Einfluss der Digitalisierung nimmt verfügbares Wissen ständig zu, die benötigte Zeit zur Verarbeitung dieses Wissens tut dies nicht. Deshalb kommt es im Bereich entgrenzter wissensintensiver Arbeit besonders häufig zu Fehlkalkulationen im Zeitbedarf (Gühne et al., 2021). Damit verbunden sind unmittelbare Auswirkungen auf die Arbeitsintensität, die zu einer Gesundheitsgefährdung führen können (Rau, 2022). Ein wesentliches Element der Arbeitsintensität ist die Zeit, soziale Ressourcen tragen zur Verringerung der Arbeitsintensität (AI) und zur Reduzierung psychischer Belastung bei (Rau & Göllner, 2018). Als Ressource gilt die Möglichkeit, Arbeit (auch Nacharbeit) an Kolleginnen und Kollegen abzugeben. Theoretisch ist die FK auch hier bedeutsam. Sie sollte sich positiv auf die Arbeitsintensität auswirken. Subjektiv und objektiv zu prüfen sind die Zusammenhänge zwischen Arbeitsintensität und Fehlerkultur.

Die Dienstleistung der Steuerberaterinnen und -berater beruht auf dynamischem Wissen und seiner Anwendung. Eine hohe Dynamik, viele Wissensbestände, viele Änderungen beinhalten stets ein erhöhtes Fehlerpotenzial. Das gilt erst recht, wenn sich die Tätigkeiten selbst verändern, wie es in der digitalen Transformation der Fall ist. Die hier gewonnenen Erkenntnisse lassen sich theoretisch auch auf andere Dienstleistungsberufe übertragen, in denen dynamisches Wissen erforderlich ist und IKT eingeführt werden, z. B. auf Lehrkräfte an beruflichen Schulen. Diese Lehrkräfte sind aufgrund von Entwicklungen in der Wirtschaft fortlaufend von Veränderungen ihrer Lehrinhalte betroffen (Kaiser & Kalisch, 2019, S. 9). Aufgrund gesetzlicher Vorgaben zur digitalen Transformation von Schulen ändern sich auch die Lehrprozesse. Jüngere objektive Analysen zeigen, die Tätigkeit beruflicher Lehrkräfte geht einher mit einem hoch ausgeprägten extrinsischen Lernpotential, d. h. der Notwendigkeit von Weiterbildung, bei geringem intrinsischen Lernpotential, also fehlenden Gelegenheiten in der Tätigkeit etwas zu lernen (Besser, Rau & Traum, 2022). Die Ursache ist fehlendes oder nicht nutzbares Feedback. Eine Gestaltungsempfehlung für die Arbeit dieser Lehrkräfte ist deshalb die Einführung einer auf Organisationsebene verankerten Feedbackkultur (Besser et al., 2022, S. 65). Der erste Schritt auf diesem Weg könnte die Einführung einer Fehlermanagementkultur auf Basis vorhandener Qualitätsmanagementprozesse sein.

Bei der Übertragung der Ergebnisse auf andere wissensintensive Dienstleistungen ist jedoch stets der Charakter der Tätigkeit zu berücksichtigen. Im Bereich der Steuerberatung handelt es sich vorwiegend um eine monologisch-objektveränderende Tätigkeit, die Arbeit von beruflichen Lehrkräften ist überwiegend dialogisch-interaktiv (Hacker, 2009, S. 19; Traum, 2022). Im Hinblick auf die Art potenzieller Fehler im Kontext digitaler Transformation sind Unterschiede zu erwarten (z. B. Fehler im Prozess, Fehler im Ergebnis), die unterschiedliche Maßnahmen erfordern (z. B. aktives Einholen von Feedback, Plausibilitätsprüfung per Software). Die erforderlichen Vorgehensweisen können sich auf die FK auswirken. Wichtig ist hier eine Analyse der Fehler als erster Schritt.

Praktische Relevanz

Die Ergebnisse lassen sich unmittelbar für die Praxis nutzen, weil man daraus differenzierte Gestaltungsempfehlungen für digitalisierte Arbeit ableiten kann. Sie zeigen die Zusammenhänge zwischen arbeitsplatzbezogener Digitalisierung (ADG), Eigeninitiative (EI) und Fehlerkultur (FK), die im Zuge der digitalen Transformation der Tätigkeiten von Beschäftigten in wissensintensiven Dienstleistungen auftreten können und beruhen auf einer großen Stichprobe von aktuell beschäftigten Personen. Interpretiert man die Befunde vor dem Hintergrund objektiver Tätigkeitsanalysen, dann sind FK und EI der Beschäftigten in der Digitalisierung hochgradig wünschenswert (Traum, Hummert, Görs & Nerdinger, 2020; Traum, Hummert, Görs, Koevel & Nerdinger, 2022). Unterschiede bestehen zwischen der EI von Angestellten, die Angehörige freier Berufe und Angestellten, die nicht Angehörige freier Berufe sind. Diese Information ist nützlich, wenn es um Neueinstellungen geht.

Die Digitalisierung hängt eng mit der EI der Beschäftigten zusammen. Sie verändert die FK durch die Einführung neuer Techniken und die damit verbunden, zwangsläufig auftretenden Fehler. Hier wurde gezeigt, dass Unterschiede in der EI von Beschäftigten teilweise auf die wahrgenommene FK zurückzuführen sind. Fehlermangementkultur ist bedeutsamer für die Eigeninitiative der NFB als für die Eigeninitiative der FB. Doch der Zusammenhang zwischen ADG und Fehlerkultur ist bei FB stärker als bei NFB. Zwischen FB und NFB bestanden zudem vorab signifikante Unterschiede in der Eigeninitiative. Die Anzahl der Beschäftigten in der Organisation spielt in der vorliegenden Stichprobe keine (statistisch) bedeutsame Rolle, wenngleich augenscheinlich in kleinen Kanzleien mit Fehlervermeidungskultur bei NFB die niedrigste Ausprägung, bei Fehlermanagementkultur die höchste Ausprägung von Eigeninitiative vorlag.

Objektiv-bedingungsbezogene Analysen der Tätigkeiten in Steuerberatungskanzleien zeigen, dass die „Lernförderlichkeit“ (Rau et al., 2021, S. 176), die eine zentrale Rolle für die Gesundheitsförderlichkeit einer Tätigkeit spielt, an digitalisierten Arbeitsplätzen nicht automatisch gegeben ist. Oft fehlen verwertbare Rückmeldungen und die Verantwortung für die Arbeitsergebnisse ist nicht ausreichend gegeben (Traum et al., 2020;Traum et al., 2022). Die Etablierung einer organisationalen Fehlermangementkultur eröffnet hier einen wirksamen Gestaltungsansatz, der sowohl die EI wie auch die Lernförderlichkeit positiv beeinflussen kann. Möglich wäre das z. B. durch zeitnahes und detailliertes Feedback von Vorgesetzten oder Kollegium. Die Voraussetzung sind ausreichende Kooperationsmöglichkeiten in der Arbeit. Bei beruflichen Lehrkräften besteht häufig die Gefahr der Isolation (Besser, Traum, Kaiser & Rau, 2022, S. 149). Feedback kann durch vorhandene organisationale Qualitätsmanagementsysteme (in Kanzleien, Schulen etc.) wirksam unterstützt werden (Scheel & Hausmann, 2013).

Weiterhin ist bei der Entwicklung von Führungskräften auf eine entsprechende Haltung sowie auf die Befähigung zur Verbreitung von Verhaltensweisen zu achten, die grundsätzlich Fehler als Lerngelegenheiten wahrnimmt und nicht als etwas, was zu verstecken oder zu bestrafen ist (Oliveira, Santos & Ratten, 2023). Belohnungssysteme können Anreize für Beschäftigte setzen, sich mit Fehlermanagement in relevanten Aspekten zu befassen. Auch betriebliche Aktionen wie eine Wahl des „Fehler des Monats“ können geeignet sein, den Umgang mit Fehlern als Lerngelegenheiten zu unterstützen.

In Zeiten mit hohem Arbeitsaufkommen (z. B. tax season) bleibt weniger Zeit zum Lernen. Die präventive Etablierung einer Fehlermanagementkultur erscheint deshalb besonders sinnvoll, weil sie in Stresssituationen die emotionalen Konsequenzen von Fehlern abmildert. Beschäftigte erleben mehr Sicherheit bei der Arbeit, weil sie Feedback und Gelegenheit zum Austausch erhalten. Gemeinsam werden Fehler analysiert und Strategien entwickelt, wie sie in Zukunft vermieden oder positiv genutzt werden können. Hier geht es sowohl um soziales Coping von Stress (eine indirekte Folge von Fehlermanagement) als auch um das gemeinsame Lernen aus Fehlern. Das Anerkennen von Fehlern und der damit verbundene negative Affekt lässt sich im vertrauten Kollegenkreis besser annehmen. Das zeitweise Aushalten negativen Affekts ist auch die Voraussetzung für das Lernen aus Fehlern und Selbstwachstum (vgl. Kuhl, 2001, S. 1038).

Fazit

Die Digitalisierung der Tätigkeit erhöht nicht automatisch die Eigeninitiative der Beschäftigten, auch wenn sie sie ermöglicht. Darauf deuten die unterschiedlich starken Zusammenhänge zwischen arbeitsplatzbezogenem Digitalisierungsgrad und Eigeninitiative bei unterschiedlichen Beschäftigtengruppen in Steuerberatungskanzleien (Tabelle 1). Arbeitsplatzbezogener Digitalisierungsgrad (ADG) und Fehlerkultur (FK) haben beide einen signifikanten Einfluss auf die Eigeninitiative (EI) der abhängig beschäftigten Angehörigen freier Berufe und der Nicht-Angehörigen freier Berufe – FK mediiert den Zusammenhang zwischen ADG und EI partiell. Fehlermanagment führt zu mehr, Fehlervermeidung zu weniger Eigeninitative der Beschäftigten. Besonders stark ist die Wirkung der FK auf die EI der angestellten Nicht-Angehörigen freier Berufe (z. B. StFA). Generell sollte deshalb eine Fehlermanagementkultur gepflegt werden, um die Eigeninitative der Beschäftigten zu fördern. Aus den Ergebnissen kann zudem abgeleitet werden, dass in einer Kanzlei mit vielen angestellten Angehörigen freier Berufe (FB) die Eigeninitiative insgesamt auf einem höheren Niveau ist als in einer mit weniger angestellten FB. Hier liegt Potential der Übertragbarkeit auf andere Organisationen, in denen Angehörige freier Berufe und Nicht-Angehörige freier Berufe zusammenarbeiten (z. B. Arztpraxen, Rechtsanwaltskanzleien): Sollen Eigeninitative und Innovationslust gefördert werden, lohnt sich sowohl die Einführung einer Fehlermanagementkultur als auch die Neueinstellung von Angehörigen freier Berufe.

Wir danken den Beschäftigten der ECOVIS AG, EVENTUS GmbH und aller anderen teilnehmenden Kanzleien für ihre Mitwirkung an der Datenerhebung.

Literatur