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Lernrückstände nach der Corona-Pandemie aufholen

Published Online:https://doi.org/10.1024/2235-0977/a000345

Durch die Corona-Pandemie ist mit beträchtlichen Lernrückständen bei den meisten Schüler_innen zu rechnen. Genaue Zahlen liegen für Deutschland noch nicht vor. Bundesweite Lernstandserhebungen stehen erst im nächsten Kalenderjahr an (vgl. Das Deutsche Schulportal, 2021).

Die Studie von Engzell, Frey und Verhagen (2021) legt aber nahe, dass die Lernrückstände enorm sein müssten. Engzell et al. (ebd.) haben die Leistungsdaten von 350000 Schüler_innen (15% aller Schüler_innen) im Alter von 8–11 der 4.–7. Jahrgangsstufe aus nationalen Lernstandserhebungen (Mathematik, Rechtschreibung und Lesen) vor und nach dem achtwöchigen niederländischen Lockdown analysiert. Die Lernzuwächse innerhalb des Lockdowns wurden zusätzlich mit Daten aus den drei vorherigen Schuljahren verglichen. Die Ergebnisse zeigen, dass die Lernrückstände ein Fünftel eines Schuljahres abbilden, was genau der Zeit im Lockdown entspricht. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die niederländischen Schulen eine relativ kurze Zeit geschlossen waren. Nicht zuletzt auf Grundlage dieser Studie und unter Berücksichtigung der Unterschiede zwischen dem deutschen und niederländischen Schulsystem sowie zwischen den unterschiedlichen Zeiten in Homeschooling, Hybrid- und Wechselunterricht sind bei den deutschen Schüler_innen große Lernrückstände zu erwarten.

Das Diagnostizieren von Lernständen als Voraussetzung zum effektiven Fördern sowie das Fördern bei Lernschwierigkeiten und/oder Entwicklungsverzögerungen in den Bereichen Rechtschreibung, Lesen und Mathematik sind als Folge der Corona-Pandemie zu einer zentralen Aufgabe aller Lehrkräfte geworden. Das Aufholprogramm des Bundes (Bundesministerium für Bildung und Forschung, 2021) macht zudem deutlich, dass diese herausfordernde Aufgabe nur unter Einbezug von schulexternen Partnern aus der Lerntherapie, der Nachhilfe und weiterer bildungsnahen Institutionen und Einrichtungen mit psychosozialen Angeboten zu meistern ist. Die Veröffentlichung dieses Themenheftes koinzidiert mit dieser neuen Aufgabe. So hoffen wir, dass es dazu beitragen kann, den Diskurs zwischen Schule und Lerntherapie zu fördern.

Inhalte dieser Ausgabe

Dieses Themenheft Fehler(Teil 2) umfasst Beiträge, die im schulischen Bereich verankert sind. Sie betrachten Fehler vornehmlich aus der Unterrichtsperspektive sowie aus der Perspektive der Lehrerprofessions- und Professionalisierungsforschung.

Der Beitrag von Prediger und Dröse (2021) befasst sich mit der Kategorisierung von Fehlern bei Textaufgaben im Mathematikunterricht als Grundlage für ein passendes Lernangebot bzw. Förderung. Insbesondere wird anhand von Aufgabenbeispielen auf die Fehlerursachen und –muster eingegangen. Diese müssen im Unterricht berücksichtigt werden, wobei sich der Beitrag insbesondere auf Ursachen im sprachlichen und strategischen Bereich konzentriert. Das Prinzip des „Scaffolding“ als Überwindungshilfe und die gezielte Variation von Formulierungen trägt zum Verständnis von Textaufgaben im Unterricht bei.

Der Beitrag von Meier, McCaskey und Kucian (2021) geht der Frage nach, welche unterschiedlichen Subtypen der Rechenschwäche es gibt, und ob und wie sich diese in der Bearbeitung bestimmter Aufgabenformate und –formen unterscheiden. Es zeigt sich hierbei, dass Kinder und Jugendliche mit einer Dyskalkulie („developmental dyscalculia, DD“) grundlegende arithmetische Problemstellungen deutlich seltener lösen können sowie ein geringeres Strategiewissen besitzen bzw. dieses kaum oder gar nicht anwenden können. Zudem weisen sie Unterschiede in ihrer Mathematikängstlichkeit auf. Die Analysen konnten spezifische Aufgaben identifizieren, welche zwischen Kindern mit und ohne Dyskalkulie zu diskriminieren vermögen.

Hoffmann-Erz (2021) geht in ihrem Beitrag der zentralen Frage nach, wie Lehrkräfte Fehlerschwerpunkte feststellen. Welche Kriterien legen sie bei der Kategorisierung von Rechtschreibfehlern an? Wie ordnen sie die Rechtschreibfehler nach Relevanz für ein bestimmtes Lernangebot? Hoffmann-Erz weist mit Nachdruck auf die Notwendigkeit hin, Kompetenzen im Bereich der qualitativen Fehleranalyse und die daraus abzuleitenden Lernangebote in der Aus-, Weiter- und Fortbildung von Lehrkräften und Lerntherapeut_innen zu fördern. Darüber hinaus konstatiert sie, dass leicht handhabbare Instrumente für den Schulalltag nicht zur Verfügung stehen.

Der Beitrag von Siekmann (2021) befasst sich mit dem Thema Häufigkeiten im Schriftsystem und -erwerb. Sie analysiert frei verfasste Schülertexte der 3. bis 5. Jahrgangsstufe über die Kategorien Wortschatz, Phonem-Graphem-Korrespondenzen und Rechtschreibfehler bei der Wiedergabe des Phonems /f/. Dabei werden die 100 häufigsten Wörter aus den Kindertexten (Schreibwortschatz), die Häufigkeiten des Auftretens der verschiedenen Phonem-Graphem-Korrespondenzen für das Phonem /f/ sowie die häufigsten Fehlschreibungen für das Phonem /f/ ermittelt. Der Beitrag plädiert dafür, Häufigkeiten stärker in die Rechtschreibdidaktik und -förderung zu integrieren und innerhalb der Aus-, Weiter- und Fortbildung von Lehrkräften und Lerntherapeut_innen hervorzuheben.

Der Beitrag von Corvacho del Toro und Thomé (2021) stellt eine theoretische Modellierung des Orthografieerwerbs vor. Die Autor_innen versuchen, den Erwerb der Orthografie aus der Schriftlinguistik und der Fehlerforschung heraus zu begründen, und stellen eine idealisierte Lernprogression in Form von Meilensteinen dar. In der Schlussfolgerung weisen sie auf die phonematische Basis der deutschen Orthografie sowie auf die starke Orientierung am Wort (stammbildenden Morphemen) und dem Wortaufbau (Komposition, Derivation und Flexion) als effektiven rechtschreibdidaktischen Ansatz hin. Des Weiteren leiten sie theoretisch begründete Annahmen für die Unterscheidung zwischen Subtypen der Rechtschreibstörung ab.

Literatur