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Open AccessOriginalarbeit

Die Rolle von arbeitsplatzbezogener Flexibilisierung und die Betrachtung von individuellen Werten für Mitarbeitendenbindung in der Arbeitswelt 4.0

Published Online:https://doi.org/10.1026/0932-4089/a000364

Abstract

Zusammenfassung. In der Arbeit 4.0 ist durch neue Beschäftigungsmöglichkeiten für Mitarbeitende eine Langzeitbindung an ein Unternehmen seltener. Unternehmen reagieren mit flexibilisierten Arbeitsplätzen, um diesem Wunsch der Mitarbeitenden nachzukommen. Flexibilisierung reduziert die Absicht das Unternehmen zu verlassen. Dabei ist wichtig, räumliche und zeitliche Flexibilisierung zu differenzieren. Außerdem gewinnen individuelle Werte bezüglich Stabilität und Kontinuität an Bedeutung und können den Bindungswunsch stärken. Hauptziel dieser Untersuchung ist, anhand eines kontroll- und ressourcentheoretisch fundierten Rahmens in zwei aufeinander aufbauenden Studien (N = 448, N = 202) die (potenziell unterschiedlich starken) Zusammenhänge von zeitlicher und räumlicher Flexibilisierung mit Mitarbeitendenbindung zu analysieren und zu prüfen, ob sich diese Zusammenhänge bestätigen lassen, wenn zusätzlich individuelle Werte in die Analyse einbezogen werden. Die Ergebnisse zeigen, dass zeitliche und räumliche Flexibilisierung unterschiedlich mit der Bleibeabsicht zusammenhängen. Während zeitliche Flexibilisierung positive Zusammenhänge zeigt, finden sich in Bezug auf räumliche Flexibilisierung keine Zusammenhänge. Werte bezüglich Stabilität und Kontinuität scheinen dabei nicht mit einer stärkeren Mitarbeitendenbindung zusammenzuhängen.

The Role of Job-Related Flexibility and Individual Values in Retaining Employees in the Modern Work Environment (Work 4.0)

Abstract. In the modern work environment, new employment opportunities generally mean less frequently a long-term commitment to one company. Companies are responding with more flexibility to meet employees’ wishes. Providing job-related flexibility reduces the intention to leave. Yet, it is important to differentiate between flextime and flexplace. Furthermore, stability and continuity values are playing increasingly important roles and may enhance the wish to stay. This study examines the potentially different relationships between flextime and flexplace and staying intention based on control and resource theories in two separate studies (N = 448 and N = 202), and furthermore whether these relationships can be confirmed under consideration of stability and continuity values. The results show that flextime and flexplace are related differently to staying intention: While flextime showed positive relationships, no relationships were discovered with flexplace. Thus, these values do not seem to be related to the staying intention.

Der gesellschaftliche und demografische Wandel geht einher mit einem Fachkräftemangel, der es erforderlich macht, Mitarbeitende und deren Fachwissen im Unternehmen zu halten (Allen, Bryant, & Vardaman, 2010). Zudem wandelt sich die Arbeitswelt im Sinne einer Loslösung von starren Arbeitsstrukturen und einer stärkeren Vernetzung durch neue Technologien. Das eröffnet vielen Mitarbeitenden neue Beschäftigungsfelder und schafft für Unternehmen zusätzlich die Notwendigkeit, diese stärker an sich zu binden (v. Rossenberg et al., 2018). Aufgrund der veränderten Arbeitsstrukturen, Organisationsformen und Beschäftigungsmöglichkeiten im Sinne stärker individualisierter Arbeitsverhältnisse durch Arbeit 4.0 ist eine Langzeitbindung von Mitarbeitenden an ein Unternehmen nicht mehr der Regelfall (Schoiswohl, 2016).

Eine Möglichkeit für Unternehmen die Bindung zu stärken ist, Bedürfnissen und Wünschen der Mitarbeitenden in Bezug auf die Flexibilisierung von Arbeitsumgebungen vermehrt nachzukommen (Gerdenitsch, 2017; Richman, Civian, Shannon, Hill & Brennan, 2008). Der Trend zur Flexibilisierung ist dabei nicht erst im Rahmen von Arbeit 4.0 relevant, sondern reicht bereits einige Jahre zurück (vgl. u. a. Atkinson, 1984). Unter Flexibilisierung fallen eine Vielzahl betrieblicher Maßnahmen, die im Zusammenhang mit der Aufweichung von festen Strukturen in Unternehmen stehen (Gerlach, Hübler & Meyer, 2001). Der digitale Wandel und Arbeit 4.0 fördern jedoch vielfach Arbeitszeitmodelle und -formen (wie Vertrauensarbeitszeit oder Home-Office) die es erlauben über den Beginn, Dauer, Ende und den Ort der Arbeit freier zu entscheiden (Kauffeld & Sauer, 2019). In vielen Studien werden diese Formen der Flexibilisierung (also zeitliche und räumliche) in den Vordergrund gerückt (z. B. Allen et al., 2013; Minssen, 2012). Dabei hat sich in anderen Kontexten (als der Bindung von Mitarbeitenden) gezeigt, dass es bedeutend ist, zeitliche und räumliche Flexibilisierung differenziert zu betrachten (z. B. in Bezug auf Work-Life-Balance; Allen et al., 2013).

Flexibilisierungsmaßnahmen haben grundsätzlich ein großes Potenzial sich positiv auf die Qualität von Beschäftigungsverhältnissen auszuwirken (Hornung, Herbig & Glaser, 2008). Die Effektivität von Flexibilisierung lässt sich insbesondere kontroll- und ressourcentheoretisch erklären (z. B: in Bezug auf work engagement; Rudolph & Baltes, 2017), da eine stärkere Selbstbestimmtheit in Bezug auf die Arbeitsverrichtung bzw. eine bessere Verteilung eigener Ressourcen zwischen Berufs- und Privatleben ermöglicht wird (z. B. Deci & Ryan, 1995; Hobfoll, 1989). Der Flexibilisierung von Arbeitsumgebungen wird auch eine positive Wirkung auf die Bindung bzw. eine Verringerung von Fluktuationsabsichten zugeschrieben (z. B. Masuda et al., 2012; Richman et al., 2008).

Es konnte jedoch kein theoretisch fundiertes Rahmenmodell zu den Zusammenhängen von Flexibilisierung und Mitarbeitendenbindung gefunden werden. Aus diesem Grund ordnet unsere Untersuchung die Erkenntnisse aus einer Metaanalyse (Gajendran & Harrison, 2007) sowie weiteren Einzelstudien zu den Auswirkungen flexibilisierter Arbeitsumgebungen (z. B. Allen, 2013, Rudolph & Baltes, 2017) kontroll- und ressourcentheoretisch ein und spannt einen Rahmen zu den Zusammenhängen von zeitlicher und räumlicher Flexibilisierung und Mitarbeitendenbindung auf. Dieser wird für die beiden aufeinander aufbauenden Studien dieses Beitrags zu Grunde gelegt.

Da eine Differenzierung der Zusammenhänge von zeitlicher und räumlicher Flexibilisierung Relevanz gezeigt hat und die explizite Unterscheidung in Bezug auf Mitarbeitendenbindung nicht bekannt ist, untersucht die erste Studie dieses Beitrags die potentiell unterschiedlich starken Zusammenhänge von zeitlicher und räumlicher Flexibilisierung mit Mitarbeitendenbindung. Die Kernfragestellung der ersten Studie ist, wie a) die zeitliche und b) die räumliche Flexibilisierung von Arbeitsumgebungen mit der Mitarbeitendenbindung zusammenhängen.

Die Flexibilisierungsmaßnahmen von Unternehmen werden jedoch auch kontrovers diskutiert. Neben positiven Auswirkungen können diese, durch die zunehmende Auflösung fester Strukturen in der Arbeitswelt, auch als Belastung wahrgenommen werden (Hornung et al., 2008). Durch organisationale Veränderungen können Unsicherheiten entstehen und der Wunsch nach Stabilität und Kontinuität auf Seiten der Mitarbeitenden kann wachsen (Arieli, Sagiv & Roccas, 2019). In Zeiten des Wandels von Arbeitsbedingungen und –formen, wozu auch die Flexibilisierung zählt, können demnach individuelle Werte von Mitarbeitenden und Wünschen nach Stabilität und Kontinuität an Bedeutung gewinnen, was eine stärkere Bindungsabsicht von Mitarbeitenden an das Unternehmen zur Folge hätte.

Diese individuellen Wünsche nach Kontinuität und Stabilität wurden bislang losgelöst von Untersuchungen zur Flexibilisierung betrachtet. Beide Entwicklungen, die Flexibilisierung von Arbeitsumgebungen auf der einen und individuelle Werte zur Wahrung von Stabilität und Kontinuität auf der anderen Seite, scheinen jedoch für Mitarbeitendenbindung relevant zu sein. Aus diesem Grund ist die Kernfragestellung der zweiten Studie, ob sich die Zusammenhänge zwischen a) zeitlicher und b) räumlicher Flexibilisierung und der Mitarbeitendenbindung erneut bestätigen lassen, wenn individuelle Werte zur Wahrung von Stabilität und Kontinuität zusätzlich in die Analyse einbezogen werden. Als Teilfragestellung wird hierbei überprüft, c) wie die individuellen Werte von Mitarbeitenden mit der Bindung an das Unternehmen zusammenhängen.

Diese Untersuchung trägt damit zum aktuellen wissenschaftlichen Diskurs bei, indem sie einen kontroll- und ressourcentheoretisch fundierten Rahmen zu den Zusammenhängen von Flexibilisierung und Mitarbeitendenbindung aufspannt und in zwei aufeinander aufbauenden Studien die (potenziell unterschiedlich starken) Zusammenhänge von zeitlicher und räumlicher Flexibilisierung untersucht, die sich bereits in anderen Kontexten gezeigt haben. Dadurch sollen Hinweise für eine wirkungsvollere Gestaltung flexibler Arbeitsumgebungen zur Bindung wichtiger Fachkräfte gewonnen werden und die Rolle der Flexibilisierung für Mitarbeitendenbindung weiter geklärt werden. Ein weiterer Beitrag ist, den entwickelten Rahmen um individuelle Werte zur Wahrung von Kontinuität und Stabilität zu erweitern und die Zusammenhänge erneut zu betrachten, um zu untersuchen, ob individuelle Werte einen zusätzlichen positiven Zusammenhang mit Mitarbeitendenbindung aufweisen. Denn beide Aspekte (Flexibilisierung und individuelle Werte) scheinen relevant für die Bindung von Mitarbeitenden an ein Unternehmen zu sein, wurden bislang jedoch losgelöst voneinander betrachtet. Unsere Untersuchung soll zeigen, inwiefern unterschiedlich starke Zusammenhänge zwischen räumlicher und zeitlicher Flexibilisierung und Mitarbeitendenbindung bestehen und diese bestehen bleiben, wenn zusätzlich individuelle Faktoren betrachtet werden.

Theoretischer Rahmen

Flexibilisierung von Arbeitsumgebungen in der Arbeit 4.0

Im deutschen Sprachraum ist der Begriff Arbeit 4.0 verbreitet, um die Entwicklungen und Veränderungen in der modernen Arbeitswelt zu umschreiben. Der Begriff Arbeit 4.0 leitet sich aus dem Verständnis der Industrie 4.0 ab, zielt dabei jedoch nicht auf die technische Umsetzung der entsprechenden Prozesselemente, sondern rückt Arbeitsformen und Arbeitsverhältnisse sowie deren zukünftige Ausgestaltungsmöglichkeiten in der gewandelten Arbeitswelt in den Fokus (Hirsch-Kreinsen, 2014). In der deutschsprachigen Literatur besteht Konsens darüber, dass die Arbeit 4.0 „vernetzter, digitaler und flexibler“ (BMAS, 2016, S. 198) sein wird. Weitgehend offen ist dabei jedoch, wie die zukünftige Arbeitswelt im Einzelnen aussehen wird. Arbeit 4.0 kann beschrieben werden als „die zunehmend digitalisierte, flexible und entgrenzte Form des Arbeitens. Sie […] führt zu einer Reorganisation von Arbeitsformen und Arbeitsverhältnissen in vielen Bereichen. Dazu gehört beispielsweise eine erhöhte Subjektivierung, Individualisierung, Partizipation und Demokratisierung bei Entscheidungen, welche die Arbeit betreffen“ (Poethke, Klasmeier, Diebig, Hartmann & Rowold, 2019, S. 131).

Merkmale, die diskursübergreifend als wesentlich für die moderne Arbeitswelt erachtet werden, sind die in zunehmendem Maße digitalisierte und flexibilisierte Arbeitsorganisation und die voranschreitende Auflösung der Grenze zwischen Arbeit und Privatleben (u. a. Korunka & Kubicek, 2017; Poethke et al., 2019). Diese Veränderungen werden auch unter den Schlagwörtern Digitalisierung, Flexibilisierung und Entgrenzung zusammengefasst (z. B. Korunka & Kubicek, 2017; Poethke et al., 2019). Für das Individuum führen die Neuerungen in der Arbeitswelt vor allen Dingen zu größeren Freiräumen und mehr Flexibilität (Poethke, Klasmeier & Rowold, 2017).

Flexibilisierung ist nicht erst ein Phänomen der Arbeit 4.0, sondern war bereits in den letzten Jahrzehnten ein wichtiger Prozess in Unternehmen. Sie steht im Allgemeinen mit der Aufweichung fester Strukturen und mit Maßnahmen im Zusammenhang, die der schnellen und besseren Anpassung an und Reaktion auf sich ändernde äußere Rahmenbedingungen und Anforderungen dienen (Gerlach, Hübler & Meyer, 2001; Hornung et al., 2008). Dabei werden unter dem Flexibilisierungsbegriff eine Vielzahl betrieblicher Maßnahmen zusammengefasst. Es finden sich zahlreiche Ansätze, den Begriff der Flexibilisierung zu präzisieren und Maßnahmen u. a. hinsichtlich verschiedener Ebenen, Zielsetzungen oder Einsatzfelder der Flexibilisierung im Unternehmen zu klassifizieren (vgl. u. a. Atkinson, 1984; Bernard, 2000). Hierzu gehören Aspekte wie temporale, örtliche, funktionale, finanzielle oder beschäftigungsbezogene Flexibilisierung (vgl. u. a. Atkinson, 1984). Dementsprechend ist die Studienlage zu den Zusammenhängen der Flexibilisierung im organisationalen Umfeld nicht eindeutig, da die verschiedenen Flexibilisierungsmaßnahmen unterschiedliche Konsequenzen für die Mitarbeitenden mit sich bringen.

Eine Klassifizierung, die insbesondere die unterschiedlichen Auswirkungen der Flexibilisierungsmaßnahmen berücksichtigt, ist eine Differenzierung nach mitarbeitenden-orientierten und kapazitäts-orientierten Formen der Flexibilisierung und somit danach, wer über die Flexibilisierung entscheidet und sie steuert (Hornung et al., 2008). Unternehmen setzen kapazitäts-orientierte Formen der Flexibilisierung ein, um die Kapazitäten an den Arbeitsanfall anpassen zu können (Hornung et al., 2008). Maßnahmen wie Schichtarbeit oder leistungsabhängige Vergütung bedeuten dabei eher mangelnde Selbstbestimmungsmöglichkeiten der Mitarbeitenden. Sie wirken daher tendenziell belastend. Mitarbeitenden-orientierte Flexibilisierungsmaßnahmen sollen hingegen die Spielräume zur individuellen Ausgestaltung des Beschäftigungsverhältnisses erhöhen, ohne dass dies erhebliche negative Konsequenzen bezüglich anderer Arbeitsbedingungen (z. B. höhere Belastungen) nach sich zieht. Derartige Maßnahmen (wie flexible Arbeitszeiten) wirken sich u. a. aufgrund der erhöhten Selbstbestimmung positiv auf die psychologische Qualität des Arbeitsverhältnisses aus und stehen im Rahmen unserer Untersuchung im Vordergrund. Dabei hängt es immer von der spezifischen Umsetzung und Ausgestaltung ab, ob Flexibilisierung tatsächlich Möglichkeiten zur individuellen Ausgestaltung von Arbeitsbedingungen bietet und sich somit qualitätssteigernd auswirkt (Hornung et al., 2008).

Obwohl der Trend zur Flexibilisierung nicht neu ist, bekommt der Begriff in der Arbeit 4.0 aufgrund der zunehmenden Vernetzung und neuen Formen der Digitalisierung und Virtualisierung noch einmal besondere Schwerpunkte, da Arbeitsformen und -modelle Mitarbeitenden stärker ermöglichen über Beginn, Ende und den Ort der Arbeit zu entscheiden (Kauffeld, 2019). Zeitliche und räumliche Flexibilisierung von Arbeitsumgebungen sind oftmals wichtige Aspekte in bisherigen Studien (vgl. Allen et al., 2013; Minssen, 2012, Poethke et al., 2019). Unter der zeitlichen Flexibilisierung wird die Flexibilität von Arbeitszeiten bei regulären Arbeitsverhältnissen verstanden, die von den Mitarbeitenden (z. B. zur besseren Vereinbarung von Familie und Beruf) (mit)‌bestimmt werden kann. Räumliche Flexibilisierung meint eine Flexibilität bezüglich des Arbeitsortes, wie sie beispielsweise bei der Telearbeit oder Homeoffice gegeben ist (Schaper, 2019). Der Trend zur Flexibilisierung wird dabei auch besonders aktuell von Unternehmen vorangetrieben, um auf die Bedürfnisse der Mitarbeitenden nach mehr Flexibilität einzugehen und diese so stärker an sich zu binden (Gerdenitsch, 2017).

Kontroll- und ressourcentheoretische Verortung

Die positiven Auswirkungen von flexiblen Arbeitsumgebungen lassen sich vor allem durch Kontrolltheorien (z. B. Deci & Ryan, 1995) und Ressourcentheorien (z. B. Hobfoll, 1989) erklären. Die Grundannahme der kontrolltheoretischen Perspektive ist, dass die selbstständige Bestimmung über die Art und Weise der Arbeitserledigung, wie es in flexiblen Arbeitsumgebungen möglich ist, das Kontrollerleben der Mitarbeitenden erhöht (Rudolph & Baltes, 2017). Eine Selbstbestimmung in Bezug auf die Zeit- und Aufgabeneinteilung sowie die Art und Weise der Ausführung erhöht die wahrgenommene Autonomie der der Mitarbeitenden (Hackman & Oldham, 1976). Weiterhin sind in flexiblen Umgebungen arbeitende Beschäftigte weniger einer direkten Beobachtung durch Vorgesetzte ausgesetzt, was die Wahrnehmung von Freiheit und Diskretion erhöht (DuBrin, 1991). Beispielsweise wird die positive Wirkung in Studien damit erklärt, dass zufällige Beobachtungen durch Vorgesetzte aufgrund der räumlichen Distanz wegfallen und direkte Überwachungsmechanismen ersetzt werden durch stärkere Selbstkontrolle und die Anforderung, die Beziehung zum Vorgesetzten bewusst neu auszugestalten. Beispielsweise könne der Wunsch verstärkt werden, die Vorgesetzten auf dem aktuellen Stand zu halten. Sowohl Mitarbeitende als auch Vorgesetzte könnten demnach mehr Aufmerksamkeit auf eine strukturierte und qualitativ hochwertige Kommunikation legen, und ihre Beziehung strategisch stärken wollen, da sie sich über die Risiken eines verringerten Kontakts bewusst sind (Gajendran & Harrison, 2007; Halford, 2005).

Die ressourcentheoretische Perspektive geht davon aus, dass Zeit, Aufmerksamkeit und Energie endliche Ressourcen sind, worum die Lebensbereiche Arbeit und Familie im Wettbewerb stehen. Ein Konflikt tritt dann auf, wenn die Anforderungen eines Lebensbereichs die Ressourcen, die eigentlich zur Erfüllung der Anforderungen aus dem anderen Lebensbereich benötigt werden, bedrohen (Grandey & Cropanzano, 1999). Durch flexible Arbeitsumgebungen werden die Mitarbeitenden stärker befähigt, die Ressourcen im eigenen Ermessen bestmöglich auf die Lebensbereiche zu verteilen. Vor allem die zeitliche Flexibilisierung erlaubt eine bessere Vereinbarkeit von beruflichen und familiären Aktivitäten (Allen et al., 2013). Flexibilität wird demnach als Möglichkeit gesehen die es Mitarbeitenden erlaubt, die vorhandenen Ressourcen an die Anforderungen beider Lebensbereiche besser anpassen zu können (Allen et al., 2013).

Rahmenmodell zu den Zusammenhängen von zeitlicher und räumlicher Flexibilisierung und Mitarbeitendenbindung

In Bezug auf Flexibilisierung in der Arbeit 4.0 ließ sich bislang kein theoriebasiertes Rahmenmodell finden, welches die Zusammenhänge zwischen (zeitlicher und räumlicher) Flexibilisierung und der Bindung von Mitarbeitenden kontroll- und ressourcentheoretisch beschreibt.

Nachfolgend werden daher die Erkenntnisse aus Einzelstudien in Verbindung mit einem metaanalytischen Rahmenmodell von Gajendran und Harrison (2007) kontroll- und ressourcentheoretisch eingeordnet, um daraus einen Rahmen und die Annahmen für unsere beiden Studien abzuleiten.

Zusammenhänge von Flexibilisierung und Mitarbeitendenbindung

In Bezug auf eine kontroll- und ressourcentheoretische Fundierung lassen sich zum einen Einzelstudien finden, die vor allem direkte Zusammenhänge von Flexibilisierung und bindungsrelevanten Faktoren, wie der Work-Life-Balance (Allen et al., 2013), Gesundheit und Wohlbefinden (z. B. Kossek & Michel, 2011) oder dem Arbeitsengagement (Rudolph & Baltes, 2017) erklären. Diese beziehen sich jedoch nicht unmittelbar auf die Bindung von Mitarbeitenden als untersuchtes Konstrukt, sondern auf die genannten Faktoren, die mit der Mitarbeitendenbindung in Zusammenhang stehen.

Darüber hinaus gibt es Studien, die Flexibilisierung (v. a. zeitliche) in einen direkten Zusammenhang mit verringerten Fluktuationsabsichten oder geringerer Fluktuation bringen (Masuda et al., 2012; Muse, 2011). Diese lassen sich jedoch nicht konsequent theoretisch einordnen.

Weiterhin konnte in einer Metaanalyse (aus 46 Studien mit rund 12.000 Mitarbeitenden; Gajendran & Harrison, 2007) empirisch gezeigt werden, dass flexibilisierte Arbeitsumgebungen (was hier vor allem das Telecommuting meint) grundsätzlich positiv mit Arbeitsverhalten zusammenhängen und die Absicht, das Unternehmen zu verlassen, reduzieren (durchschn. korr. Korrelation zwischen flexiblen Arbeitsumgebungen und Kündigungsabsicht ρ = -.10). Die in diesem Zusammenhang untersuchte flexible Arbeitsumgebung (telecommuting) beinhaltet im Unterschied zum klassischen Büroarbeitsplatz die räumliche und zeitliche Trennung der Arbeitsaufgaben von dem regulären Arbeitsplatz und den festgelegten Arbeitszeiten sowie die Nutzung elektronischer Medien zur Aufgabenerfüllung (Gajendran & Harrison, 2007). Dies wurde kategorial erhoben und nur zwischen ‚traditioneller Arbeitsumgebung‘ und ‚flexibler Arbeitsumgebung‘ unterschieden.

Diese dichotome Einteilung ist in der gegenwärtigen Situation nicht mehr ausreichend. Beispielsweise kann man heute nicht mehr klar sagen, was eine traditionelle Arbeitsumgebung ist, da die meisten Betriebe Möglichkeiten zur flexiblen Arbeitsgestaltung (in unterschiedlichem Ausmaß) anbieten. Flexibilisierung sollte demzufolge als kontinuierliches Konstrukt angesehen werden. Dies wird im Rahmen unserer Studien berücksichtigt.

Vermittelnde Variablen

Zur Erklärung der Zusammenhänge von flexiblen Arbeitsumgebungen und Mitarbeitendenbindung konnten Gajendran und Harrison (2007) in ihrer Metaanalyse drei wesentliche Wirkmechanismen (wahrgenommene Autonomie, Work-Life-Balance und die Beziehungsqualität zu Vorgesetzten) identifizieren, die wir im Folgenden kontroll- und ressourcentheoretisch einordnen.

Wahrgenommene Autonomie

Die arbeitsplatzbezogene Autonomie beschreibt das Ausmaß, zu dem Mitarbeitende selbst strukturieren und kontrollieren können, wie und wann Arbeitsaufgaben erledigt werden (Spector, 1986, S. 1006). Es herrscht überwiegend Konsens, dass ein positiver Zusammenhang zwischen flexiblen Arbeitsumgebungen, welche eine freie Zeiteinteilung, Wahl des Standorts, Priorisierung in der Aufgabenerfüllung sowie Kontrolle über Pausen, Licht- und Luftverhältnisse ermöglichen, und wahrgenommener Autonomie besteht (z. B. Hackman & Oldham, 1976). Diese Annahmen lassen sich vor allem aus einer kontrolltheoretischen Perspektive erklären (Deci & Ryan, 1995), da die Selbstbestimmung in Bezug auf die Bedingungen der Arbeitsausführung bei der Flexibilisierung im Vordergrund steht. Insgesamt zeigte sich die wahrgenommene Autonomie als einflussreichster Mediator in dem metaanalytischen Modell (Gajendran & Harrison, 2007).

Work-Life-Balance

Nach ressourcentheoretischen Überlegungen (z. B. Grandey & Cropanzano, 1999; Hobfoll, 1989) stellt Flexibilisierung eine Ressource für eine bessere Vereinbarkeit von Arbeit und Familie dar. Evidenzen in Bezug auf eine bessere Integration von Arbeit und Familie aufgrund einer stärkeren Flexibilität (z. B. Raghuram & Wiesenfeld, 2004) konnten in der Metaanalyse bestätigt werden. Eine verbesserte Work-Life-Balance vermittelte den Zusammenhang von flexiblen Arbeitsumgebungen und der Mitarbeitendenbindung (Gajendran & Harrison, 2007). Als entscheidendes Element zur besseren Vereinbarkeit von Arbeit und Familie wird angesehen, inwieweit die Gestaltung der Lebensbereiche in der Kontrolle des Mitarbeitenden liegt (Ashforth, Kreiner & Fugate, 2000).

In einer weiteren Studie in Bezug auf die Work-Life-Balance zeigt sich, dass die Flexibilisierung von Arbeitsumgebungen zwar in positiver Beziehung mit der Vereinbarkeit von Beruf und Familie stehen kann, es jedoch Unterschiede zwischen räumlicher und zeitlicher Flexibilisierung gibt (Allen et al., 2013). Zeitliche Flexibilisierung weist dabei stärkere positive Zusammenhänge auf als die räumliche Flexibilisierung. Eine Erklärung dafür ist, dass räumliche Flexibilisierung zusätzlichen Störfaktoren unterliegen kann und mehr Zielkonflikte birgt. Das Arbeiten im Homeoffice bringt beispielweise potenziell mehr Unterbrechungen aus dem Privatleben mit sich (Allen et al., 2013; Ashforth et al., 2000).

Beziehungsqualität zu Vorgesetzten

Im Rahmen der Metaanalyse wurde ein positiver Effekt von flexiblen Arbeitsumgebungen auf die Beziehungsqualität zu Vorgesetzten gefunden. Die verbesserte Beziehungsqualität konnte darüber hinaus den positiven Zusammenhang zwischen flexiblen Arbeitsumgebungen und Mitarbeitendenbindung erklären (Gajendran & Harrison, 2007). Den positiven Effekt erklären sich die Autoren durch Führungsstile, denen eine Ergebnisorientierung zugrunde liegt, und die in flexiblen Arbeitskontexten ausgeprägter genutzt werden. Es geht stärker um die Beurteilung der Arbeitsergebnisse, im Unterschied zu einer Kontrolle des Arbeitsprozesses, die bei klassischen Büroarbeitsplätzen eher im den Vordergrund stehen. Aus einer kontrolltheoretischen Perspektive sind Mitarbeitende weniger einer direkten Einwirkung durch Vorgesetzte ausgesetzt und dies stärkt das Gefühl von Freiheit (DuBrin, 1991). Eine weitere Erklärung kann sein, dass Mitarbeitende und Vorgesetzte mehr Aufmerksamkeit auf hochwertige Kommunikation legen können, da sie sich über die Risiken des verringerten Kontakts durch Flexibilisierung bewusst sind (Gajendran & Harrison, 2007; Halford, 2005).

Zusammenfassend wird, basierend auf den Erkenntnissen der Metaanalyse und in Anlehnung an die beschriebenen kontroll- und ressourcentheoretischen Überlegungen für diese Untersuchung grundsätzlich angenommen, dass ein positiver Zusammenhang zwischen beiden Arten der Flexibilisierung und Mitarbeitendenbindung besteht, da sie grundsätzlich Entscheidungsfreiheiten und Wahlmöglichkeiten der Mitarbeitenden erhöhen. Als Indikator für die Mitarbeitendenbindung wird die Bleibeabsicht gewählt (vgl. z. B. Meifert, 2005).

Konkret nehmen wir an, dass ein positiver Zusammenhang zwischen zeitlicher Flexibilisierung und Bleibeabsicht besteht und dieser Zusammenhang über die Variablen, Autonomie, Work-Life-Balance sowie Beziehungsqualität zu Vorgesetzten vermittelt wird (Hypothese 1 a).

Weiterhin nehmen wir an, dass ein positiver Zusammenhang zwischen räumlicher Flexibilisierung und Bleibeabsicht besteht, der ebenso über die Variablen Autonomie, Work-Life-Balance sowie Beziehungsqualität zu Vorgesetzten vermittelt wird (Hypothese 1b).

Räumliche Flexibilisierung unterliegt dabei (wie beschrieben) zusätzlichen Störfaktoren, die durch das Arbeiten von unterwegs (bspw. im Zug) oder durch Zielkonflikte mit dem Privatleben während der Arbeit im Homeoffice entstehen (vgl. Allen et al., 2013; Ashforth et al., 2000). Außerdem ist denkbar, dass Mitarbeitende, die räumlich flexibel sind und viele Kontakte zu externen Partnern pflegen (Kunden, Lieferanten) leicht abgeworben werden können (Schreiber & Rietiker, 2010), was den Zusammenhang zwischen räumlicher Flexibilisierung und Mitarbeitendenbindung verringern könnte. Ergänzend zu den Ergebnissen der Metaanalyse und basierend auf der Evidenz von Allen et al. (2013) nehmen wir deshalb für zeitliche Flexibilisierung stärkere positive Zusammenhänge an als für räumliche Flexibilisierung (Hypothese 1c).

Werte zur Wahrung von Stabilität und Kontinuität

Nach Schwartz (2011) werden Werte als situationsübergreifende Ziele beschrieben, die sich in ihrer Wichtigkeit unterscheiden und als richtungsweisende Prinzipien dienen. Die individuellen Werte formen Entscheidungen und Verhaltensweisen in Arbeitskontexten (Arieli et al., 2019). Individuen sind motiviert auf eine Weise zu handeln, die ihnen die Erfüllung der für sie wichtigen Werte und dahinterliegenden Ziele erlaubt (z. B. Sagiv & Schwartz, 1995). Werte spielen eine wichtige Rolle für die Passung von Unternehmen und Mitarbeitenden und sind ein wichtiger Faktor für organisationale Identifikation und Verbleib im Unternehmen (Arieli et al., 2019).

In Bezug auf arbeitsbezogene Verhaltensweisen haben Studien den positiven Zusammenhang von Bewahrungswerten (u. a. Sicherheit, Beständigkeit, Tradition) und der Übereinstimmung mit organisationalen Interessen und Autoritäten herausgearbeitet (Arieli et al., 2019). Bewahrung des Bestehenden steht somit in direkter Verbindung mit organisationaler Identifikation und Konformität bzw. Compliance (Sverdlik & Oreg, 2015). Personen, denen Stabilität und Kontinuität wichtig ist, kommen besser in Kontexten mit hoher Stabilität zurecht und können sich gut an die Vorgaben und Interessen des Managements anpassen (Arieli et al., 2019). Demnach kann es gerade in Zeiten des Wandels sinnvoll sein, Bewahrungswerte hervorzuheben. Es konnte gezeigt werden, dass es einen Unterschied macht, ob der Wandel vorgegeben wird oder es den Betroffenen freigestellt wird, ob sie die Veränderungen annehmen. Mitarbeitende mit hohen Ausprägungen in Bewahrungswerten würden demnach einen vorgegebenen Wandel eher unterstützen, da dies mit Zielen der Anpassung und Folgsamkeit einhergeht (Oreg, 2003). Bei vorgegebenem organisationalem Wandel hängen hohe Stabilitäts- und Bewahrungswerte mit der Identifikation mit dem Unternehmen zusammen (Sverdlik & Oreg, 2015). Folglich lässt sich annehmen, dass vor allem Bewahrung von Bestehendem als zugrundeliegende Wertvorstellung zur Bindung der Mitarbeitenden beiträgt.

Aus diesem Grund werden in der zweiten Studie die individuellen Bewahrungswerte als zusätzliches Konstrukt in das Modell aufgenommen. Zudem wird die Bleibeabsicht in dieser Studie zu einem zweiten Messzeitpunkt erfasst.

Für die zweite Studie nehmen wir an, dass sich die Zusammenhänge aus der ersten Studie zwischen zeitlicher Flexibilisierung und Bleibeabsicht vermittelt über die Variablen Autonomie, Work-Life-Balance sowie Beziehungsqualität zu Vorgesetzten bei zusätzlicher Betrachtung der Werte zur Wahrung von Stabilität und Kontinuität bestätigen lassen (Hypothese 2a).

Weiterhin nehmen wir an, dass sich die Zusammenhänge zwischen räumlicher Flexibilisierung und Bleibeabsicht vermittelt über die Variablen Autonomie, Work-Life-Balance sowie Beziehungsqualität zu Vorgesetzten bei zusätzlicher Betrachtung der Werte zur Wahrung von Stabilität und Kontinuität bestätigen lassen (Hypothese 2b). Die Zusammenhänge der bestehenden Variablen im Modell sollten sich dabei in der Richtung nicht unterscheiden und eine vergleichbare Höhe aufweisen.

Auch in der zweiten Studie nehmen wir für zeitliche Flexibilisierung stärkere Zusammenhänge mit der Bleibeabsicht an als für räumliche Flexibilisierung (Hypothese 2 c).

Ergänzend dazu wird in der zweiten Studie überprüft, ob es einen direkten Zusammenhang zwischen individuellen Werten und Bleibeabsicht gibt. Basierend auf den oben aufgeführten Erkenntnissen nehmen wir an, dass Werte zur Wahrung von Stabilität positiv mit der Bindung von Mitarbeitenden zusammenhängen (Hypothese 2 d).

Methode

Studie 1

Stichprobe und Durchführung

Zur Analyse des Modells wurde eine Online-Umfrage (Software ESF Survey) mit Mitarbeitenden deutscher Unternehmen durchgeführt.

Es handelt sich um eine unabhängige Gelegenheitsstichprobe von Mitarbeitenden aus verschiedenen deutschen Unternehmen unterschiedlicher Branchen. Die Rekrutierung erfolgte über persönliche Kontakte sowie soziale Medien (Facebook, Xing, LinkedIn und SurveyCircle). Die Befragung fand im Januar und Februar 2018 statt. Um einschätzen zu können, inwieweit unsere Stichprobe die deutsche Erwerbsbevölkerung repräsentiert, haben wir die wichtigsten Merkmale mit repräsentativen Erhebungen (z. B. Statistisches Bundesamt (StBA), 2021) verglichen (vgl. in Klammern).

Die Stichprobe (N = 448 Stichprobe Gesamt, bzw. Personen, die den Fragebogen aufgerufen haben N = 888, Abbruchquote = 49,6 %) besteht aus 61 % weiblichen Teilnehmerinnen (Bundesdurchschn. Erwerbstätige: Frauen 47 %, StBA, 2020b) mit einem Durchschnittsalter von M = 35 Jahren (SD = 12) (Bundesdurchschn. Erwerbstätige: 44 Jahre, StBA, 2018). 60 % haben einen Hochschulabschluss (Bundesdurchschn. Erwerbstätige: 30 %, StBA, 2020a). 37 % der Teilnehmenden gehören ihrer Organisation seit weniger als 5 Jahren an, 21 % bis zu zehn Jahren, 15 % bis zu 20 Jahren und 27 % mehr als 20 Jahren (Bundesdurchschn. Erwerbstätige: 37 % unter 5 Jahre, 19 % bis zu 10 Jahre, 44 % 10 Jahre und mehr, StBA, 2021). Zwei Drittel sind Vollzeitbeschäftigte (Bundesdurchschn. Erwerbstätige: 71 %, Bundeszentrale für politische Bildung, 2020). 5 % sind Teil des Top-Managements (z. B. Vorstand), 13 % sind Teil der mittleren (z. B. Abteilungsleiter_in) und 19 % der unteren Führungsebene (z. B. Teamleiter_in, Vorarbeiter_in), fast ein Drittel sind Verwaltungsangestellte (Sachbearbeitung, Assistenz; 28 %), 8 % sind Facharbeiter_innen und 3 % sind An-/Ungelernte und 30 % in anderen Funktionen tätig (keine Vergleichsreferenz). 36 % arbeiten in einem kleinen Unternehmen (bis zu 49 Mitarbeitende), 24 % in einem mittleren (50 – 499 Mitarbeitende) und 40 % in einem Unternehmen mit mindestens 500 Mitarbeitenden (bundesdurchschn. Anteil d. Erwerbstätigen, die in einem kleinen Unternehmen arbeiten: 41 %, StBA, 2020c).

Messinstrumente

Die Flexibilisierung wurde anhand der Skala des Fragebogens zur Erfassung zentraler Merkmale der Arbeit 4.0 (Poethke et al., 2019) erhoben. Im Rahmen dieser Skala lassen sich zwei Items der zeitlichen Flexibilisierung (z. B. „Ich kann mir meine Arbeitszeit flexibel einteilen.“) und drei Items der räumlichen Flexibilisierung zuordnen (z. B. „Ich arbeite regelmäßig im Homeoffice“).

Die Erfassung der Autonomie erfolgte anhand von drei Items (z. B. „Im Rahmen meiner Tätigkeit kann ich selbstständig und autonom arbeiten.“; angelehnt an Hackman & Oldham, 1975). Die Kurzskala erfasst neben den Aspekten des selbstständigen und autonomen Arbeitens noch Aspekte zur Verantwortungsübernahme und zu abwechslungsreichen Aufgabeninhalten.

Work-Life-Balance wurde mithilfe der Trierer Kurzskala zur Erfassung von Work-Life Balance (5 Items, Syrek, Bauer-Emmel, Antoni & Klusemann, 2011) erhoben (z. B. „Ich kann die Anforderungen aus meinem Privatleben und die Anforderungen aus meinem Berufsleben gleichermaßen gut erfüllen.“). Die Skala thematisiert Aspekte der Zufriedenheit mit der Balance und mit der Verteilung der Prioritäten zwischen Arbeits- und Privatleben sowie einem gelingenden Ausgleich belastender und erholsamer Tätigkeiten.

Die vier Items zur Erfassung der Beziehung zum Vorgesetzten (z. B. „Zu meinem Vorgesetzten habe ich ein vertrauensvolles Verhältnis.“) wurden in Anlehnung an bestehende Instrumente entwickelt (Mohr, Wolfram, Schyns & Paul, 2004; Wolfram & Mohr, 2014). Diese Kurzskala erfasst die folgenden beziehungsbezogenen Aspekte: vertrauensvolles Verhältnis, Transparenz von Entscheidungen, Offenheit für die eigenen Belange sowie Erhalt von Feedback.

Zur Erfassung der Bleibeabsicht (Mitarbeitendenbindung) wurden zwei Items (z. B. „Ich wäre froh, mein weiteres Arbeitsleben in diesem Unternehmen zu verbringen.“) verwendet (angelehnt an Meifert, 2005). Diese Kurzskala thematisiert v. a. den Verbleibewunsch bei dem Unternehmen.

Für alle Skalen wurden sechsstufige Antwortmöglichkeiten von 1= trifft gar nicht zu bis 6 = trifft voll zu vorgegeben. (Für die internen Konsistenzen der verwendeten Skalen siehe Tabelle 1, Items siehe Anhang).

Statistische Analysen

Die Fragestellungen dieser Studie wurden mithilfe von Strukturgleichungsmodellen in AMOS (Version 26) überprüft. Zusätzlich zum inferenzstatischen Chi-Quadrat (χ²) Test wurden besonders die deskriptiven Gütekriterien zur Bewertung der Modellpassung herangezogen. Der χ²/df-Quotient (χ²/df ≤ 2 guter Fit, ≤ 3 akzeptabler Fit), der Root Mean Square Error of Approximation (RMSEA ≤ .05 guter Fit, ≤ .08 akzeptabler Fit) sowie der Comparative Fit Index (CFI ≥ .97 guter Modellfit, ≥ .95 akzeptabler Modellfit) wurden zur Beurteilung der Modelle und zu deren Vergleich mit alternativ denkbaren Modellen verwendet (Moosbrugger & Schermelleh-Engel, 2008, S. 319).

Die Analyse der indirekten und totalen Effekte erfolgte mithilfe von Bootstrapping (2.000 samples) auf Basis eines fünfprozentigen Signifikanzniveaus. Die Höhe der spezifischen indirekten Effekte in Bezug auf die einzelnen Mediatoren wurde in diesem Rahmen mithilfe des Plugins „MyIndirectEffects“ (AMOS; V. 26; Gaskin, 2021) geschätzt. Üblicherweise wird im Rahmen der Mediationsanalyse in AMOS ein gesamter indirekter Effekt über alle Mediatoren geschätzt. Durch das Plugin erfolgt eine separate Berechnung der einzelnen indirekten Effekte für jeden Mediator (Gaskin, 2021).

Studie 2

Stichprobe und Durchführung

Zur erneuten Überprüfung der Zusammenhänge zwischen Flexibilisierung und Bleibeabsicht und zur Erweiterung des Rahmenmodells um die Bewahrungswerte wurde eine weitere Stichprobe herangezogen, die Erhebung erfolgte zu zwei Messzeitpunkten (Nt1 = 372 und Nt2 = 202, Stichprobe Gesamt zu t1 N = 573, Abbruchquote t1 = 35.1 %; Stichprobe Gesamt zu t2 N = 208, Abbruchquote = 2.89 %; Befragungszeitraum t1 Januar 2019; t2 März 2019). Dabei wurde die abhängige Variable zum zweiten Messzeitpunkt erhoben. Die Rekrutierung der Teilnehmenden erfolgte in gleicher Weise wie in der ersten Studie. Die Stichprobe (Nt1 t2 = 202) bestand aus 55 % weiblichen Teilnehmerinnen (Bundesdurchschn. Erwerbstätige: Frauen 47 %, StBA, 2020b) mit einem Durchschnittsalter von M = 35 Jahren, wie auch in der ersten Studie, (SD = 11) (Bundesdurchschn. Erwerbstätige: 44 Jahre, StBA, 2018). 64 % der Befragten verfügen über einen Hochschulabschluss (Bundesdurchschn. Erwerbstätige: 30 %, StBA, 2020a). 28 % der Teilnehmer_innen gehören ihrer Organisation seit weniger als 5 Jahren an, 31 % bis zu zehn Jahren, 18 % bis zu 20 Jahren und 23 % mehr als 20 Jahren (Bundesdurchschn. Erwerbstätige: 37 % unter 5 Jahre, 19 % bis zu 10 Jahre, 44 % 10 Jahre und mehr, StBA, 2021). 81 % sind Vollzeitbeschäftigte (Bundesdurchschnitt der Erwerbstätigen: 71 %, Bundeszentrale für politische Bildung, 2020). 5 % sind Teil des Top-Managements (z. B. Vorstand), 10 % Teil der mittleren (z. B. Abteilungsleiter_in) und 30 % der unteren Führungsebene (z. B. Teamleiter_in, Vorarbeiter_in). 38 % der Befragten sind Angestellte der Verwaltung (Sachbearbeiter_in, Assistenz), 10 % sind Facharbeiter_innen und 2 % An-/Ungelernte und der Rest der Beteiligten ist in anderen Funktionen tätig (keine Vergleichsreferenz). 21 % arbeiten in einem kleinen Unternehmen (bis zu 49 Mitarbeitende), 21 % in einem Unternehmen mit 50 – 499 Mitarbeitende und 58 % in einem Unternehmen mit mindestens 500 Mitarbeitenden (bundesdurchschnittlicher Anteil d. Erwerbstätigen in kleinen Unternehmen bis 49 Mitarbeiter 41 %, StBA, 2020c).

Messinstrumente

In der zweiten Studie wurden dieselben Skalen wie in der ersten Studie für Flexibilisierung, Autonomie, Work-Life-Balance, Beziehung zu Vorgesetzten und Bleibeabsicht verwendet. Zusätzlich wurden die individuellen Bewahrungswerte erhoben.

Die Erfassung der Bewahrungswerte erfolgte mithilfe von drei Items aus der deutschsprachigen Kurzversion des Portraits Value Questionnaire (PVQ; Schmidt, Bamberg, Davidov, Herrmann & Schwartz, 2007). Die Portraits beziehen sich dabei mit jeweils einem Item auf die Aspekte Sicherheit (z. B. sicheres Umfeld), Tradition (z. B. Zurückhaltung und Bescheidenheit) und Konformität (z. B. korrektes Verhalten). Ein verbales Porträt beschreibt Ziele, Erwartungen oder Wünsche, die einen impliziten Hinweis auf die Bedeutsamkeit der Bewahrungswerte geben (z. B. „Es ist ihr/ihm wichtig, in einem sicheren Umfeld zu leben. Er/Sie vermeidet alles, was seine Sicherheit gefährden könnte.“). Eingeschätzt wurden diese Portraits anhand einer einleitenden Frage („Wie ähnlich ist Ihnen die beschriebene Person?“) und Antwortmöglichkeiten auf einer sechsstufigen Likert Skala (sehr unähnlich bis sehr ähnlich).

Statistische Analysen

Entsprechend der ersten Studie wurden die Fragestellungen der zweiten Studie mithilfe von Strukturgleichungsmodellen (AMOS) anhand derselben Analyseschritte untersucht. Es galten dieselben Gütekriterien zur Beurteilung der Ergebnisse (vgl. Kapitel statistische Analysen zu Studie 1).

Ergebnisse

Ausprägungen und interne Konsistenz der untersuchten Konstrukte in den Studien1 und 2

In der ersten Studie weisen die untersuchten Skalen ausschließlich zufriedenstellende interne Konsistenzen auf (α = .77 – α = .89; vgl. Tab. 1) und deuten somit auf reliable Konstrukte zur Erfassung und auf stabile Zusammenhänge in Bezug auf deren Gerichtetheit und Höhe hin.

Die räumliche Flexibilisierung ist im Mittel deutlich geringer ausgeprägt als die zeitliche Flexibilisierung (räuml. Flex. M = 2.61, zeitl. Flex. M = 3.60, vgl. Tab 1).

Auch in der zweiten Studie weisen die Skalen überwiegend zufriedenstellende interne Konsistenzen auf (α = .68 - α = .90; vgl. Tab. 1). Lediglich die Skala zur Erfassung der Bewahrungswerte liegt mit gerundeten α = .50 unterhalb der empfohlenen Richtwerte von α ≥ .70 als akzeptable interne Konsistenz (Bortz & Döring 2006). Dieser Aspekt wird im Rahmen der Limitationen der Studie diskutiert.

Die räumliche Flexibilisierung ist ebenso in der zweiten Studie im Mittel deutlich geringer ausgeprägt als die zeitliche Flexibilisierung (räuml. Flex. M = 2.85, zeitl. Flex. M = 4.24, vgl. Tab 1). Bei einer vergleichenden Betrachtung beider Stichproben finden sich überdies ähnliche Ausprägungen in den Mittelwerten und Standardabweichungen bei der Mehrzahl der Variablen.

Tabelle 1 Deskriptiva und Interkorrelationen der Skalen in den Studien 1 und 2

Die Interskalenkorrelationen der untersuchten Konstrukte in Studie 1 und 2 zeigen Zusammenhänge der Konstrukte untereinander in ähnlicher Höhe und Richtung, sowie eine weitgehende Übereinstimmung in den signifikanten und nicht signifikanten Korrelationen (vgl. Tab. 1).

Zusammenhänge zeitlich und räumlich flexibilisierter Arbeitsumgebungen mit Bleibeabsicht (Studie 1)

In der ersten Studie kann unser theoretisch angenommenes Rahmenmodell (vgl. u. a. Allen, 2013; Gajendran & Harrison, 2007) grundsätzlich strukturell bestätigt werden. Die lokalen Modellgütekriterien sprechen für eine zufriedenstellende Passung des Modells in Bezug auf die erhobenen Daten. Die Ladungen der Items auf den latenten Konstrukten sind substantiell (λ > .60). Aspekte der Flexibilisierung sind in der Lage 55 % der Varianz der Bleibeabsicht aufzuklären (vgl. Abb. 1).

Hypothese 1a: positiver Zusammenhang zwischen zeitlicher Flexibilisierung und Bleibeabsicht

In Bezug auf die zeitliche Flexibilisierung kann wie erwartet ein positiver Zusammenhang mit der Bleibeabsicht bestätigt werden, der vollständig über die Variablen Autonomie, Work-Life-Balance und die Beziehung zu Vorgesetzten vermittelt wird (stand. indirekter Effekt R = .43, p ≤ .05 vgl. Tab. 2). Die Wahl- und Entscheidungsmöglichkeiten im Hinblick auf die zeitliche Gestaltung (z. B. Beginn und Ende) der eigenen Arbeitszeit haben also erwartungskonform einen positiven Zusammenhang mit der Bindung der Mitarbeitenden. Betrachtet man die spezifischen Mediationen, wird der Zusammenhang zwischen zeitlicher Flexibilisierung und Bleibeabsicht insbesondere über die Autonomie vermittelt (stand. indirekter Effekt R = .13).

Abbildung 1 Anmerkungen: χ² = 591.78, df = 179, p = .000, χ² / df = 3.31, RMSEA = .072, CFI = .926, *p ≤ .05. Mit den Kontrollvariablen Alter, Geschlecht, Dauer der Betriebszugehörigkeit, wurden folgende sign. Zusammenhänge ermittelt: Dauer der Betriebszugehörigk. und Autonomie (r = .24), Alter und Bleibeabsicht (r = .23), p ≤ .05
Abbildung 1. Strukturgleichungsmodell zu den Wirkungsweisen zeitlicher und räumlicher Flexibilisierung.

Hypothese 1b: positiver Zusammenhang zwischen räumlicher Flexibilisierung und Bleibeabsicht

Die räumliche Flexibilisierung zeigt im Unterschied zur zeitlichen Flexibilisierung keinen Zusammenhang mit der Bleibeabsicht. Es liegt entgegen unseren Erwartungen weder ein direkter noch ein indirekter Zusammenhang mit der Bleibeabsicht in dem Modell vor. Das deutet darauf hin, dass das Arbeiten von unterwegs (z. B. aus dem Zug) oder aus dem Homeoffice nicht in Verbindung mit der Absicht, bei einem Unternehmen zu bleiben, steht. Der Zusammenhang zwischen räumlicher Flexibilisierung und Work-Life-Balance ist sogar negativ ausgeprägt (–.32).

Hypothese 1c: zeitliche Flexibilisierung im Vergleich zu räumlicher Flexibilisierung

Zeitliche Flexibilisierung hängt wie erwartet stärker mit der Bleibeabsicht zusammen als räumliche Flexibilisierung, bzw. konnte zwischen räumlicher Flexibilisierung und Bleibeabsicht kein Zusammenhang gefunden werden. Aus den Ergebnissen wird somit deutlich, dass räumliche und zeitliche Flexibilisierung sich in ihren Zusammenhängen zur Bleibeabsicht unterscheiden.

In der Studie wurden die Variablen Dauer der Betriebszugehörigkeit, Alter und Geschlecht kontrolliert. Es zeigten sich signifikante Zusammenhänge der Dauer der Betriebszugehörigkeit mit Autonomie (r = .24) sowie grundsätzlich auch ein signifikanter Zusammenhang von Alter mit Bleibeabsicht (r = .23). Unabhängig von flexibilisierten Arbeitsumgebungen besteht somit ein Zusammenhang von längerer Betriebszugehörigkeit mit mehr Autonomie sowie zwischen dem Alter der befragten Mitarbeitenden und deren Bleibeabsicht.

Bestätigung der Zusammenhänge zeitlicher und räumlicher Flexibilisierung mit Bleibeabsicht unter Betrachtung individueller Wertvorstellungen (Studie 2)

Die Untersuchung zu den Zusammenhängen von Flexibilisierung und Bleibeabsicht wurde im Rahmen der zweiten Studie zu zwei Messzeitpunkten durchgeführt, um der Common Method Problematik zu begegnen (vgl. Diskussion). Das Modell lässt sich im Rahmen dieser Studie erneut gut abbilden (vgl. Abb. 2). Es weist vergleichbare Parameter in der Modellgüte auf, sowie einen Anteil an aufgeklärter Varianz von 34 %.1

Hypothese 2a: positiver Zusammenhang zwischen zeitlicher Flexibilisierung und Bleibeabsicht

Der positive Zusammenhang der zeitlichen Flexibilisierung und der Bleibeabsicht wird vergleichbar zur ersten Studie vollständig über die drei Mediatoren vermittelt (stand. indirekter Effekt R = .29, p ≤ .05 vgl. Tab. 2). Bei dieser Mediation liegt ausschließlich ein signifikanter indirekter Effekt vor (eine sogenannte Indirect-only mediation, vgl. Klassifikation nach Zhao, Lynch & Chen, 2010). Bei der Betrachtung der spezifischen Mediationen werden die Zusammenhänge zwischen zeitlicher Flexibilisierung und Bleibeabsicht vor allem über die Beziehung zum Vorgesetzten (stand. indirekter Effekt R = .16, p < .05) positiv vermittelt (vgl. Tab. 2).

Abbildung 2 Anmerkungen: χ² = 464.96, df = 241, p = .000, χ² / df = 1.929 RMSEA = .068, CFI = .900, *p ≤ .05. Zu den Kontrollvariablen Alter (r = .54), Geschlecht (r =.14), Dauer der Betriebszugehörigkeit (r = -.34), wurden sign. Zusammenhänge mit der Bleibeabsicht ermittelt, Geschlecht und Autonomie (r = -.19), (p ≤ .05), N = 202
Abbildung 2. Erneute Prüfung und Erweiterung des Strukturgleichungsmodells zu den Wirkungsweisen zeitlicher und räumlicher Flexibilisierung.

Hypothese 2b: positiver Zusammenhang zwischen räumlicher Flexibilisierung und Bleibeabsicht

Vergleichbar zur ersten Studie weist die räumliche Flexibilisierung auch in der zweiten Studie entgegen unserer Erwartungen keinen direkten und auch keinen indirekten Zusammenhang mit der Bleibeabsicht auf. Auch in dieser Studie ist der direkte Zusammenhang der räumlichen Flexibilisierung mit der Work-Life-Balance in ähnlicher Höhe negativ ausgeprägt (–.39).

Hypothese 2c: zeitliche Flexibilisierung im Vergleich zu räumlicher Flexibilisierung

Insgesamt lassen sich in dieser Stichprobe die unterschiedlichen Zusammenhänge zwischen der räumlichen und zeitlichen Flexibilisierung und Bleibeabsicht erneut zeigen. Auch hier hängt die zeitliche Flexibilisierung stärker mit der Bleibeabsicht zusammen als die räumliche Flexibilisierung, bzw. weist die räumliche Flexibilisierung keinen Zusammenhang mit der Bleibeabsicht auf.

In Bezug auf die Kontrollvariablen zeigen sich signifikante Zusammenhänge des Geschlechts mit Autonomie (r = -.19), sowie von Alter (r = .54), Dauer der Betriebszugehörigkeit (r = -.34) und Geschlecht (r = .14) mit Bleibeabsicht.

Tabelle 2 Indirekte Effekte zwischen räumlicher und zeitlicher Flexibilisierung und Bleibeabsicht, mediiert durch die Faktoren Autonomie, Work-Life-Balance sowie Beziehung zum/zurVorgesetzten

Hypothese 2d: positiver Zusammenhang zwischen Bewahrungswerten und Bleibeabsicht

Die zusätzlich erfassten Bewahrungswerte zeigen im Rahmen dieser Studie entgegen unserer Annahmen keinen signifikanten Zusammenhang mit der Bleibeabsicht. In diesem Fall scheint der individuelle (und arbeitsplatzunabhängige) Wunsch nach Bewahrung von Bestehendem anders als die Flexibilisierung nicht mit einer stärkeren Bleibeabsicht zusammenzuhängen.

Diskussion

Diese Untersuchung leistet einen Beitrag zum wissenschaftlichen Diskurs, indem sie einen auf Kontroll- und Ressourcentheorien basierenden Rahmen zu den Zusammenhängen von Flexibilisierung und Mitarbeitendenbindung aufspannt und die unterschiedlich starken Zusammenhänge von zeitlicher und räumlicher Flexibilisierung, die bereits in anderen Kontexten gefunden wurden, auch für Mitarbeitendenbindung zeigen konnte. Ein weiterer Beitrag ist die Erweiterung des entwickelten Rahmens um Werte zur Wahrung von Kontinuität und Stabilität. Sowohl Flexibilisierung als auch individuelle Werte scheinen Studien zufolge Relevanz für die Bindung von Mitarbeitenden an ein Unternehmen zu haben, wurden bislang jedoch losgelöst voneinander betrachtet. Durch die gemeinsame Betrachtung in unserer Untersuchung sollte der Fragestellung nachgegangen werden, inwieweit Zusammenhänge arbeitsplatzbezogener Faktoren (zeitlicher und räumlicher Flexibilisierung) mit Mitarbeitendenbindung bestehen bleiben, wenn zusätzlich individuelle Werte in die Analyse einbezogen werden. Es konnte gezeigt werden, dass die unterschiedlich starken Zusammenhänge von zeitlicher und räumlicher Flexibilisierung und Mitarbeitendenbindung bestehen bleiben, wenn die Werte als zusätzliche Variable in das Modell aufgenommen werden. In Bezug auf die untersuchten Hypothesen zu den Zusammenhängen der unterschiedlichen Arten der Flexibilisierung (1 a, b, c und 2 a, b, c) zeigten die Ergebnisse in den beiden Studien deutliche Unterschiede in Bezug auf zeitliche und räumliche Flexibilisierung in Verbindung mit der Bleibeabsicht sowie mit den Mediatoren (Autonomie, Work-Life-Balance und der Beziehung zu Vorgesetzten). Die Unterschiede in den Zusammenhängen zeitlicher und räumlicher Flexibilisierung gehen in der Tendenz einher mit bekannten Ergebnissen zu unterschiedlichen Zusammenhängen von zeitlicher und räumlicher Flexibilisierung, die in Bezug auf die Vereinbarkeit von Beruf und Familie untersucht wurden (Allen et al., 2013). Diese Tendenz scheint sich demnach in Bezug auf die Bindung von Mitarbeitenden übertragen zu lassen. Der positive Zusammenhang der zeitlichen Flexibilisierung mit der Bleibeabsicht wurde in beiden Studien über die drei Mediatoren vermittelt. Die räumliche Flexibilisierung zeigte jedoch anders als erwartet keine Zusammenhänge mit der Bleibeabsicht, auch nicht vermittelt über die Mediatoren.

Bei der Analyse der spezifischen Mediationen wurde der stärkste Zusammenhang der zeitlichen Flexibilisierung mit Mitarbeitendenbindung vermittelt über die erhöhte Autonomie (in der ersten Studie), bzw. über die positive Beziehung zu Vorgesetzten (in der zweiten Studie). Demnach waren in beiden Studien die Zusammenhänge zwischen zeitlicher Flexibilisierung und Bleibeabsicht bedeutsam, die sich kontrolltheoretisch erklären lassen: Die Autonomie in Bezug auf die Art und Weise der Arbeitsausführung, sowie eine verminderte direkte Kontrolle durch den Vorgesetzten hängen demnach stärker mit der Bindung von Mitarbeitenden zusammen als die (ressourcentheoretisch verortete) Work-Life-Balance. Es ließ sich kein spezifischer indirekter Effekt über diesen Mediationsweg zeigen.

Die Frage nach den Zusammenhängen der Werte zur Wahrung von Stabilität und Kontinuität und Mitarbeitendenbindung können wir aufgrund nicht zufriedenstellender Messqualitäten nicht abschließend beantworten (vgl. Limitationen). Der erwartete positive Zusammenhang zwischen den Bewahrungswerten und der Mitarbeitendenbindung (Hypothese 2 d) ließ sich nicht nachweisen.

Limitationen

In den beiden durchgeführten Studien zeigte sich eine vergleichbare Passung der beiden Strukturgleichungsmodelle und ein aussagekräftiger Anteil an aufgeklärter Varianz (55 bzw. 34 %) an der Mitarbeitendenbindung. Für die Entscheidung, in einem Unternehmen zu bleiben, existieren jedoch multifaktorielle Bedingungen. Eine Einschränkung der Studie ist, dass lediglich eine ausschnitthafte Betrachtung von Flexibilisierungsaspekten und individuellen Werten in Zusammenhang mit der Mitarbeitendenbindung vorgenommen werden konnte. Zukünftige Untersuchungen könnten weitere Aspekte der Flexibilisierung, insbesondere funktionale Flexibilisierung (unterschiedliche Aufgaben) oder die Flexibilisierung von Entscheidungsstrukturen, in die Analyse einbeziehen.

Eine weitere Limitation der Studie ist, dass die Daten im Querschnittdesgin, bzw. einem Design mit einem zweiten Messzeitpunkt erhoben wurden. Dieses Vorgehen ist nicht ausreichend, um kausale Interpretation der Studienergebnisse vorzunehmen. In Kombination mit der Erfassung der Daten per Selbsteinschätzung wird die Gefahr der Überschätzung der Zusammenhänge der Variablen erhöht (im Sinne des sogenannten Common-Method-Bias; Podsakoff, MacKenzie & Podsakoff, 2012). Wir begegnen dieser Problematik zum einen, indem wir die Ergebnisse nicht im Sinne von Ursache-Wirkungs-Mechanismen interpretieren können und dies sprachlich deutlich machen. Zum anderen haben wir in der zweiten Studie die abhängige Variable getrennt von den unabhängigen Variablen erhoben, um so in Teilen der methodischen Verzerrung entgegenzuwirken. In einer Folgestudie wäre interessant, die Variablen zu drei Messzeitpunkten zu erheben, indem unabhängige Variable, Mediatoren und abhängige Variablen separat erfasst werden. Auf diese Art würde eine Interpretation von Ursache-Wirkungszusammenhängen erleichtert. Überdies könnten weiterführende Untersuchungen mit teilweise optimierten Messinstrumenten arbeiten. Die Formulierungen der Items zur Flexibilisierung könnten noch konsequenter mitarbeitenden-orientiert umgesetzt werden. Flexibilisierung gilt insbesondere als förderlich, wenn sie selbst gesteuert werden kann. Beispielsweise klärt das verwendete Item zur Erfassung der räumlichen Flexibilisierung „Ich arbeite regelmäßig im Homeoffice“ nicht abschließend, ob diese Entscheidung fremd- oder selbstgesteuert ist.

Ebenso könnte die Bleibeabsicht differenzierter und mit mehr Items erfasst werden. Von Interesse wäre hierbei, das Konstrukt der Bindung an ein Unternehmen systematischer in Bezug auf Teilfacetten zu erfassen, um eine stabile Bindung von Wechselerwägungen frühzeitig abgrenzen zu können. Hierzu wurden bereits Vorarbeiten durchgeführt, in denen ein solches Instrument zur differenzierteren Erfassung von unterschiedlichen Bindungsformen und -ausprägungen, entwickelt wurde (Bender, Straatmann, Schürmann, Müller & Schaper, Manuskript in Vorb.). Auch zur Erfassung der Werte könnte in zukünftigen Untersuchungen ein anderes Instrument herangezogen werden. Die interne Konsistenz der von uns verwendeten Skala zur Erhebung der Bewahrungswerte war nicht zufriedenstellend. Die Zusammenhänge lassen sich nicht zuverlässig interpretieren. Wir berücksichtigen diesen Umstand, indem diese Variable nicht als zentraler Untersuchungsgegenstand, sondern als Teilfragestellung berücksichtigt wird. Es kann darin begründet liegen, dass es sich um inhaltlich unterschiedliche Aspekte in den Items handelt (Aspekte der Sicherheit, Konformität und Tradition), was auf die breite Konzeption des Konstrukts der Bewahrungswerte zurückzuführen ist.

Eine weitere Limitation unserer Studie ist schließlich, dass die Stichprobe nicht in allen Punkten die deutsche Erwerbsbevölkerung repräsentiert. Eine erneute Untersuchung könnte stringenter dafür Sorge tragen, dass repräsentative Erhebungen (beispielsweise des statistischen Bundesamtes) als Vergleichsbasis zur Rekrutierung der Stichprobe herangezogen werden und somit die Aussagekraft der Ergebnisse erhöht wird.

Wir haben uns dennoch entschieden, die Ergebnisse unserer Untersuchung zu berichten, auch wenn nicht an allen Stellen die gewünschten Messqualitäten erreicht werden konnten und Ergebnisse nicht in allen Punkten hypothesenkonform waren, um das Potential dieser Idee bzw. Fragestellung zur wissenschaftlichen Diskussion zu stellen.

Implikationen

Für die Forschung

Unsere Studie fokussierte die Überprüfung von Zusammenhängen in den entwickelten Modellstrukturen und zieht zur Erfassung der Mitarbeitendenbindung die selbst eingeschätzte Bleibeabsicht als Kriterium heran. Über die reine Absicht zu Bleiben hinaus wäre es zukünftig interessant, Erkenntnisse über den tatsächlichen Verbleib bzw. auch das Verlassen eines Unternehmens aufgrund von Veränderungen in der Flexibilisierung der Arbeitsumgebungen gewinnen zu können.

Außerdem haben wir die Fragestellung nach einem direkten Zusammenhang von individuellen Werten und Bleibeabsicht in den Vordergrund gestellt, unter Bezugnahme auf Studienergebnisse, die direkte Zusammenhänge von Werten und arbeitsbezogenem Verhalten zeigen konnten. Denkbar wäre hier ebenso eine Moderator-Fragestellung, z. B. die Frage, ob sich die Zusammenhänge von Flexibilisierung und Bleibeabsicht für Personen mit hoch oder niedrig ausgeprägten Bewahrungswerten unterscheiden.

Für die betriebliche Praxis

Die Studie soll einen Gedankenanstoß für unterschiedlich starke Zusammenhänge verschiedener Arten der Flexibilisierung mit Bleibeabsicht von Mitarbeitenden bereitstellen und Flexibilisierung in Bezug auf die Zusammenhänge mit Autonomie, Work-Life- Balance und Beziehungsqualität zu Vorgesetzten konkretisieren.

Die Ergebnisse zeigen, dass insbesondere die zeitliche Flexibilisierung positiv mit der Bindung von Mitarbeitenden zusammenhängt. Dass der direkte Effekt von Flexibilisierung auf Bleibeabsicht in den Modellen wegfällt, zeigt die besondere Relevanz der untersuchten vermittelnden Variablen. Wichtigste Stellschrauben zur Bindung sind gemäß den Ergebnissen aus den beiden Studien die kontrolltheoretisch verorteten Aspekte, in diesem Fall eine erhöhte Autonomie und die qualitätsvollere Beziehung zum_zur Vorgesetzten.

Es ist somit von Bedeutung, seitens des_der Vorgesetzten Vertrauen in den Umgang mit Flexibilität zu setzen, bzw. den selbstständigen Umgang mit der Flexibilität in Bezug auf die Arbeitszeit zu fördern. Für das betriebliche Personalmanagement ergibt sich hieraus vor allem der Ansatz, dass das Erleben von Freiheit und Selbstbestimmtheit in der Ausführung der Arbeit und in der Beziehung zum_zur Vorgesetzten ein relevanter Mechanismus für die Bindung von Mitarbeitenden ist. Neben der Gestaltung der Arbeitstätigkeit mit erhöhten Freiräumen (insofern das möglich und sinnvoll ist an den verschiedenen Arbeitsplätzen), liegt ein entscheidender Ansatzpunkt im Führungsverhalten. Wenn dies auf die Beurteilung von Arbeitsergebnissen und weniger auf die Kontrolle des Arbeitsprozesses ausgerichtet ist, und den Fokus auf eine strukturierte und hochwertige Kommunikation legt, können die Vorteile flexibler Arbeitsumgebungen für die Bindung von Mitarbeitenden genutzt werden. Im Rahmen des Personalmanagements könnte beispielsweise bei der Auswahl und Entwicklung der Führungspersonen sowie im Rahmen der Unternehmensleitlinien auf die Grundsätze von Selbstbestimmung und Freiräumen Wert gelegt werden

Literatur

1Zur Überprüfung der Güte der angenommenen Strukturmodelle wurden außerdem in beiden Studien die Messmodelle zu den latenten Variablen mit fünf Faktoren (zeitliche und räumliche Flexibilisierung, Autonomie, Work-Life Balance, Beziehung zu Vorgesetzten) mit Messmodellen mit weniger Faktoren (vier, drei, zwei und ein Faktor(en)) verglichen. Die Interpretation deutet darauf hin, dass die verwendeten Messmodelle die beste Passung aufweisen. Außerdem wurde das Strukturmodell jeder Studie mit einem Alternativmodell, bestehend aus ausschließlich direkten Zusammenhängen, verglichen. Auch hier weist das jeweils in Studie 1 und 2 verwendete mediierte Strukturmodell eine bessere Passung auf (vgl. Tab. E1 und Tab. E2 im Elektronischen Supplement).